Bisher ohne Titel
Mich würde interessieren, was eure Eindrücke sind, was auch immer euch dazu in den Sinn kommen mag... Und auch wie ihr die Geschichte deuten würdet... Ich würde mich auch über einen Titelvorschlag freuen, da mir bisher kein guter eingefallen ist....Was ich an ihm liebte, war nicht sein Charakter (ich kannte ihn eigentlich gar nicht). Es war dieses Desinteresse. Nicht mir gegenüber - er mochte mich und mochte es mich alles mögliche zu fragen. Wir quatschten über Gott und die Welt, es war Small Talk, aber so nach und nach erfuhren wir dadurch dennoch eine Menge übereinander. Es war sein Desinteresse, sich mit meinen Motiven zu befassen. Denn ich war eine kühle Person und jeder Mensch fragte sich (und zu meinem Bedauern auch oft mich), warum ich immer so ernst schaue, warum ich so melancholisch sei, was diese Traurigkeit in meinem Gesicht suche, was sie bedeutete und so weiter. Er deutete mich nie. Er nahm mich an wie ich war und... nahm mich einfach. Ja, wir hatten ständig Sex. Das war die einzige Ebene echter Kommunikation zwischen uns. Und vermutlich auch die einzige Ebene, auf der ich mit einem Menschen überhaupt so gut kommunizieren konnte. Ohne diese Coolness dazwischen. Eine, die man natürlich nicht überwindet, indem man einander ständig fragte, warum man denn so verschlossen sei. Oder zwanghafte Versuche mich durchs Gespräch aufzutauen, mich zu ändern. Diese Nichtakzeptanz nervte. Er aber akzeptierte und stellte keine Fragen. Wenn wir uns trafen, lächelte er gleich von weitem. Er freute sich, ich lächelte auch, freute mich auch ein wenig, aber lächelte auch aus Verunsicherung. Er lehnte meist lässig gegen die Hauswand der Haltestelle, an der er auf mein Erscheinen wartete. Und auch während ich auf ihn zulief, lehnte er noch lässig und eben lächelnd weiter. Keine Regung ansonsten. Und auch von mir keine. Ich stellte mich plump vor ihn, unfähig, eine passende Begrüßung zu wählen. Ich sagte „hi“, und er sagte auch „hi“ und nach ein paar Sekunden Spannungsmoment, neigte er seinen Kopf zur Seite, streckte seine Arme nach mir aus und zog mich an sich heran. Er knutschte mich einfach ab. Das war schon beim ersten Treffen so gewesen. Und ich war damals wie auch heute noch ganz erstarrt dabei. Ich könnte auch nicht sagen, dass es vor Aufregung war, dass ich eher implodierte als explodierte. Nein, vielmehr empfand ich dabei einfach nicht viel und hatte gar nicht die Lust ihn so zu küssen. Aber ich machte mit und er beschwerte sich gar nicht. Er bemerkte meine Distanz bestimmt, aber sie störte ihn nicht. Eben aus Desinteresse. Das fand ich sofort toll. Er ließ mich damals wieder los, lächelte erneut und führte mich dann diese Straße entlang. Die Straße zu seiner Wohnung, wo wir sofort Sex haben würden. Auch das wollte ich eigentlich nicht, aber er ließ sich nicht beirren. Ich wehrte mich sogar, und er wehrte mein Wehren ab. Wir landeten im Bett. Ich hatte irgendwann aufgegeben. Auf mein Herumfuchteln folgten mich fest haltende Hände, auf mein Beissen reagierte er mit starken Ohrfeigen und auf ein „nein, ich will nicht!“ reagierte er gar nicht. Wow. Das war faszinierend. Ich erforschte sein ganzes Reaktionsspektrum. Seine Bewegungen waren immer so rasch, präzise und dabei ganz intuitiv. Actio und reactio. So einfach, und ich wusste, aus dieser Situation käme ich nicht mehr unpenetriert heraus. Und ich fand das okay. Wahrscheinlich fand ich es mehr als nur okay. Denn wir hatten wirklich immer Sex und es gab immer Sekunden, in denen ich hätte die Flucht ergreifen können. Aber ich tat es nicht. Stattdessen kam ich immer wieder.
Er war 16 Jahre älter als ich, lebte alleine, irgendwo am Ende da dieser düsteren Straße. Und sein Gesichtsausdruck war auch düster, man konnte nichts aus ihm lesen. Trotzdem war da oft ein Lachen im Gesicht. Es passte eigentlich nicht, es sah irgendwie pervers aus, wirkte aber authentisch und gar nicht aufgesetzt. Ich mochte es.
Irgendwann gab es eine Krise. Denn ich kam auf die Idee – die doch tatsächlich allmählich zu meiner Überzeugung heranwachste – dass es sich hierbei um Vergewaltigung handle. Ich zeigte ihn an. Und ich gewann ohne Umstände. Selbst im Prozess lächelte er noch, und suchte immer meine Blicke und ich lächelte heimlich zurück. Ich dachte, wenn das alles rum ist, komme ich wieder vorbei. Ans Ende der Straße.
Sein Anwalt handelte eine gute Strafe aus: viel Geld, wenig Jahre. Die Hälfte davon in der Psychiatrie. Wegen guten Benehmens sehr frühe Entlassung.
Ich zählte dabei die Jahre und dann tat ich es. Ich rief an und kam wieder. Doch diesmal lehnte er nicht lässig an der Wand. Er lehnte gar nicht, denn er erschien nicht. Er war nicht da. Ich tippte auf Verspätung, oder auf Rache, wegen dem Prozess. Er ließ mich warten. Daher lehnte ich nun, und wartete selbst lässig. Doch ein paar Sekunden nur, als mein Blick durch die Gegend schweifte, da sah ich ihn. Er stand am Ende der Straße, so schemenhaft in der Dunkelheit. Es war definitiv er. Ich lief auf ihn zu. Lächelte er? Ich konnte es nicht sehen. Ich lächelte vorsichtshalber. Wollte nicht, dass er denkt, ich wäre über den Prozess oder die ungewöhnliche Verschiebung unseres Treffpunkts erbost. Ich stand dann direkt vor ihm, und sah, ja, er lächelte auch. Da war ich erleichtert. Er knutschte mich, ich war wie gewohnt unbeteiligt. Er führte mich den restlichen kurzen Weg der Straße entlang und schloss die Wohnung auf.
Und alles war normal. Es verlief wie immer. Ich war darüber ungeheuer beruhigt und in dieser Ruhe wuchs meine Liebe zu ihm noch ein Stückchen mehr. Wir trafen uns jetzt wieder regelmäßig.