@ Love4eva (& all)
Danke für Deine Frage. Ich will es zu erklären versuchen, auch wenn es auf diesem Weg gar nicht so einfach ist. Ich lehne mich dabei an die Lehre der Bioenergetik an (Wilhelm Reich, Alexander Lowen etc.):
Im Prinzip hat
"florestine", ohne meine Definition zu kennen, eigentlich schon in meinem Sinne geantwortet. Leidenschaft ist für mich nicht etwa ein Gefühl an sich, sondern die Intensität, mit der Gefühle zugelassen und gezeigt (!) werden können.
Ich schreibe bewusst: k ö n n e n (nicht müssen)!
Auch aus psychotherapeutischer Sicht und in dem Bewusstsein, dass es (ähnlich wie bei Liebe) zahlreiche andere Erklärungs- und Denkmodelle gibt, sehe ich darin die Fähigkeit, zu seinen Gefühlen frei und offen stehen und sie ohne Hemmung ausleben zu können - wenn man es will und für angebracht hält. (Wobei es dann eben auch mal passieren kann, dass sie mit einem an der falschen Stelle "durchgehen" - das Risiko, das
"inmediasres" so wunderbar in Bezug auf das Feuer beschrieben hat.)
Viele Menschen, die therapeutischen Rat suchen, haben zuvorderst erhebliche Probleme damit, ihre Gefühle überhaupt wahrzunehmen. Manche streiten ihre Gefühle (die sie für andere jederzeit sichtbar haben) rundweg ab, vielleicht weil sie selbst sie nicht spüren können, denn es wurde ihnen ja niemals gestattet und es galt als schicklich, keine Gefühle zu zeigen - vor allem keine angeblich schlechten! Oder sind einfach nicht in der Lage, zu ihnen zu stehen geschweige denn sie zu zeigen. Oder sie haben gelernt, ihre Gefühle in sich hineinzufressen und allerlei psychosomatische Beschwerden zu bekommen (dazu empfehle ich die Lektüre des ergreifenden Taschenbuches von Fritz Zorn: "Mars").
Es wäre hilfreich für sie zu lernen, dass Gefühle an sich erstmal wertfrei sind (sie sind weder positiv noch negativ, sondern werden nur so bewertet, je nach Kultur oder Erziehung und Umfeld), dass sie sein dürfen und gezeigt werden dürfen. Wer gelernt hat, angeblich negative Gefühle nicht zeigen zu dürfen oder am besten gar keine Gefühle zu haben (und auf jeden Fall möglichst niemals zu zeigen), hat dann plötzlich Probleme, weil
er auf andere kalt und spröde wirkt - und dort, wo er selbst am liebsten mal " so richtig die Sau rauslassen" würde (also nach echter Intensität sucht), nämlich z. B. beim Sex, sie zu zeigen oder sogar, sie in voller Intensität zu fühlen. Ihm fehlt das gewisse Etwas: Leidenschaft.
Der Zulauf zu Therapien, in welchen man lernt, sich selbst wieder zu spüren und seine Gefühle zulassen und zeigen zu können, ist enorm. Es bringt aber auch mit sich, dass man dann nicht nur die "positiven" bzw. erwünschten wieder fühlt, sondern auch die vermeintlich "negativen" bzw. unerwünschten. Und das menschliche Elend, die vielen Dramen, die ich dort oft genug erlebt habe, zeigen immer wieder, wohin das Aberziehen von Gefühlen führen kann, am deutlichsten übrigens bei Männern (denn Jungs durften ja nicht heulen und keinen Schmerz spüren, sie mussten lernen, hart und cool zu sein, also
gefühlsamputiert, wie viele meiner Kollegen und ich das nennen!)
Wir hatten schon mal das harmlose und deshalb relativ emotionsfrei zu betrachtende Beispiel des Tanzens:
Man kann wunderbar und sehr gekonnt tanzen (oft zu sehen z. B. bei Tanzturnieren), aber ohne "Feuer". Man kann auch bei der wildesten und härtesten Musik sich gemessen und sittsam bewegen und darauf achten, auf keinen Fall zu "wild" dabei zu tanzen (was könnten denn die anderen über einen denken?).
Man darf selbstverständlich so tanzen. Und wer es tut, hat - hoffentlich! - auch viel Freude dabei. Leider sieht es manchmal nicht so aus.
Aber wer dabei auch mal seine eigene Wildheit und Ursprünglichkeit herauslassen kann, auch mal ohne Tabus und Hemmungen sich einfach ekstatisch bewegt (das muss nicht unbedingt hektisch sein!), sich z. B. mit geschlossenen Augen völlig hingegeben an Musik und Rhythmus bewegt, vielleicht sogar sexy bzw. geile Bewegungen im Sinne des ursprünglichen Balzens (aus dem ja mal das Tanzen, noch heute in der Tierwelt zu beobachten, entstanden sein dürfte) zulässt und in der Lage ist, auch mal alle vermeintlich "erwachsene" Anständig- und Sittsamkeit fallen zu lassen, weil er sich der Freude an der Musik und an seinen eigenen Bewegungen
hingeben kann, der zeigt eine gewisse Leidenschaft.
Wer seine Freude auch überschwänglich zeigen oder wer einfach mal losheulen kann, und zwar frei raus und ohne Hemmung (und all die anderen hier im Thread bereits angesprochenen Beispiele dafür) -
der zeigt meines Erachtens ebenfalls eine gewisse Leidenschaft.
Wer glaubt, lautes Lachen, hemmungsloses Heulen oder was auch immer, sei nicht schicklich und gesellschaftsfähig, der zeigt keine oder nur wenig Leidenschaft.
Wer das gerade nicht will, weil er z. B. als Bankangestellter hinter dem Schalter cool oder bei einer geschäftlichen Besprechung sachlich bleiben muss, der tut gut daran. Kommt er aber nach Hause und kann nicht anders als weiterhin so cool und sachlich ("stoisch" ruhig ohne wahre innere Harmonie) auch in Liebes- und Beziehungsdingen zu sein, seine gefühle weder spüren noch äußern noch zeigen kann (weil er es evtl. niemals lernen durfte), dem fällt es dann womöglich schwer, wenn er es gerne würde oder seine Partnerin es sich von ihm wünschen würde. Und da fehlt mir das, was ich Leidenschaft nenne und was ich Hunderten von Menschen im rahmen von Therapie- und Selbsterfahrungsgruppen mühevoll zu vermitteln versucht habe.
Und "komisch": Wer es durch die Übungen plötzlich konnte, fühlte sich auf einmal wie befreit, atmete auf und durch - und lebte eine völlig neue, freie, lockere und entspannte Lebendigkeit - und war mir unendlich dankbar. Und nicht zuletzt: Zahlreiche Frauen konnten erst dadurch wahre Ekstase und eine wahnsinnige Intensität beim Sex erleben, manche kamen erst dadurch, dass sie gelernt hatten, auch hier laut und offen und frei ihre Gefühle zuzulassen, auf einmal zu vorher nie gekannten machtvollen Orgasmen.
Es geht also nicht darum, immer und überall voll und ganz seine Gefühle zu zeigen, aber sie zeigen zu können und dort, wo man intensive Lebendigkeit spüren mag und es sinnvoll und möglich ist, es dann auch zu tun.
Also nicht so:
Es gibt Menschen, die...
... können kein Feuer entzünden, weil sie dafür zu kalt sind
... wollen kein Feuer entzünden, weil sie Flammen grundsätzlich als gefährlich oder negativ empfinden
... trauen sich nie ein Feuer zu entzünden, weil sie Angst haben es könnte außer Kontrolle geraten
... entzünden zwar ein Feuer, aber immer nur auf Sparflamme um niemals die Kontrolle zu verlieren
Auch nicht so:
... sind immer Feuer und Flamme und brennen damit alles rücksichtslos nieder
Sondern so:
... trauen es sich, obwohl sie wissen, dass es in Ausnahmefällen außer Kontrolle geraten kann
Ich will damit nicht sagen, dass jemand nicht tief fühlt oder zu Leidenschaft nicht fähig ist, der all das Angeführte noch nicht kann oder gar nicht können will. Aber ein anderer wird Schwierigkeiten damit haben, bei diesem Menschen so etwas wie Leidenschaft zu spüren oder zu sehen.
Etwa vergleichbar mit einem Mann, der mit einer Frau Sex hat und bemerkt, dass sie keinen Ton von sich gibt und sich nicht im geringsten bewegt, in keiner Weise mitreißen lässt: Keine Ahnung, was die Frau in dieser Situation wirklich fühlt, da steht mir kein Urteil zu. Aber auf den Mann wird sie in den meisten Fällen wie betäubt wirken, wie gelähmt, oder auch einfach nur unbeteiligt - aber wohl kaum leidenschaftlich. (Man darf mir gerne widersprechen, aber ich hab noch von keinem einzigen Mann jemals etwas anderes gehört.)
Puh, war das ein langer Beitrag. Aber ich hoffe, ich konnte jetzt einigermaßen nachvollziehbar erklären, was ich meine. Und ich freue mich auf Zustimmung ebenso wie auf Gegenargumente.
(Der Antaghar)