Höher, schneller, weiter...
manchmal habe ich das Gefühl, daß wir in einer Gesellschaft von höher, schneller ,weiter und extremer leben . Anstatt zu schauen : Passt der Mensch zu mir und sind im Zwischenmenschlichen Berührungspunkte da, schauen viele eher: Entspricht mein Gegenüber meinem Wunschzettel nach Aussehen, Neigungen im sexuellen Bereich, stellt er in der Öffentlichkeit was dar.
Ist es nicht so, dass in allen Bereichen unseres Lebens von aussen ständig diese Forderung "Höher, schneller, weiter" auf uns einprasselt. Manchmal deutlich, manchmal unterschwellig, doch irgendwo sind doch immerwährend solche Erwartungen an uns im Raum.
Diese übernehmen wir dann doch automatisch in unser Leben. Sei dies beruflich, sei dies privat, egal wo, man definiert sich selber über das ständige Aufwärts gehen und braucht es irgendwann zum Leben. Wie ein Schauspieler auf der Bühne, der ohne Applaus nicht mehr Leben kann...
Auch bei mir war das zu meiner späten Anfangszeit im BDSM nicht anders. Insbesondere, als ich erstmals ganz bewusst BDSM als Teil meiner Beziehung zu meinem Schatz, meiner Sklavin, gelebt habe, hatte ich das Gefühl. Aber jetzt, jetzt zeige ich doch mal, was für ein toller Dom ich bin und wie toll ich doch in kürzester Zeit meinen völlig unerfahrenen Schatz zu einer folgsamen Sklavin erziehe. Oefter habe ich mich dann in den ersten Wochen am Rande eines Absturzes bei meinem Schatz bewegt. Und wie war ich doch jeweils frustiert, wenn mein Schatz, meine Sklavin, nicht schon nach drei Wochen Beziehung genau das angezogen hat, was ich ihr befohlen habe. Sie hat es doch tatsächlich gewagt zu widersprechen.
So nach zwei, drei Monaten hatten wir dann eine ziemliche Krise. Nicht das wir uns nicht mehr liebten oder uns trennen wollten, nein, wir BEIDE waren durch meine blödsinnige Höher, schneller, weiter-Denkweise völlig überfordert. Wir haben beschlossen, BDSM, bzw. vor allem D/s gehört nicht mehr in unsere Beziehung. OK, harter Sex, ok, auch mal Schläge, Fesseln, Wachs und ähnliche Spiele, aber that's it.
Und was ist passiert, unsere eigenen, persönlichen Veranlagungen haben plötzlich Platz gefunden. Ich war und bin dominant, das kann und will ich gar nicht abstellen. Mein Schatz ist seit jungen Jahren devot, ohne dass sie begrifflich etwas mit dem Wort hätte anfangen können.
In dem Moment, in dem wir den von mir selbst auferlegten Druck abgeschaltet hatten, lebten wir mehr D/s als vorher.
Plötzlich hatten Sensibilität, Gefühle, Spüren und durch verantwortungsvolle Führung entwickeln, ihren Platz. Ich habe dann sehr schnell realisiert, dass ich mich ohne diesen Druck viel wohler fühle. Ich war plötzlich viel dominanter als vorher, weil ich rundum ich selbst war. Es kam von innen heraus.
Mein Schatz fühlte keinen künstlichen Druck mehr, der sie immer wieder dazu getrieben hat, sich in ihr Schneckenhaus zurück zu ziehen und sich zu wehren. Nein, unser Vertrauen wuchs, auch durch sonstige schwierige Momente, die mit ihrer Vergangenheit zusammenhingen, intensiv und gewann an Tragfähigkeit. Und zusammen mit dem wachsenden Vertrauen entwickelte sich unsere eigentlich von beiden gesuchte D/s-Beziehung. Doch Zeit spielte keine Rolle mehr. Wichtig war, dass wir uns sein konnten. Plötzlich war die Kleiderfrage keine Frage mehr. Mein Schatz hat inzwischen die ganze Garderobe (grösstenteils ;-)) nach meinen Wünschen erneuert. Sie trägt nicht nur, was ich ihr sage, nein, sie fragt, was sie heute tragen soll.
Natürlich gibt es noch viele andere Beispiele für unsere Entwicklung.
Doch das spielt gar keine Rolle. Durch das, dass wir uns selbst, frei von äusserlichem oder selbstauferlegtem Druck, zu leben gelernt haben, haben wir mehr erreicht, als meine Träume es je beinhaltet haben.
Wir leben heute in einer durchgängigen D/s-, oder auch 24/7-Beziehung, allerdings einer sehr "sanften", von aussen nicht wahrnehmbaren. Denn bis auf das goldene "R" (von Roland) an einer feinen Halskette, dass mein Schatz immer tragen muss, findet man bei uns keine äusserlichen Zeichen für unsere Lebensart. Auch befohlene Anreden wie Herr oder ähnlichem gibt es nicht, bzw. nur, wenn mein Schatz von sich aus das Bedürfnis hat, mich so zu nennen.
Wir, oder ehrlicher, vor allem ich habe begriffen, dass eine solche, auf tiefes Vertrauen und uneingeschränkte Offenheit angewiesene, Beziehungsform nur zu Glück und Stolz führen kann, wenn beide darin sich selbst sein können. Alles andere führt dazu, das der eine oder sogar beide darin mehr verlieren als erhalten.
Mein für mich grösster Stolz ist, dass meine Sklavin es in unserer Beziehung geschafft hat, aus einem vergangenheitsbedingten Tief an Selbstvertrauen und Stärke heraus zu finden und sich unglaublich zu entwickeln. Sie hat heute im Geschäft alles neue, verantwortungsvolle Aufgaben. Ihr Freundeskreis erkennt sie nicht wieder ob der Lebensfreude und Stärke, die sie ausstrahlt. Sie ist die "meistgesuchte Sorgentante" ;-)) in ihrem Freundeskreis, weil sie als eine der wenigen den Mut hat, wirklich ehrlich ihre Meinung zu sagen und nicht nur einfach Mitleid oder ähnliches vorzuspielen.
Und im gleichen Masse, wie sie auswärts ihre Stärke wieder gefunden hat, lässt sie sich zu Hause bewusst und voller Vertrauen fallen und damit von mir führen. Sie hat - so ihre Worte - nach anfänglichen Schwierigkeiten nun mit mir zusammen ihr Leben, ihren Hafen, ihre Tankstelle für die Lebenslust und -freude, gefunden.
Weil ich gemerkt habe, dass nicht die Theorie, nicht das noch so grosse Wissen über BDSM, nicht die Erwartungen von aussen, sondern nur die beiden daran beteiligten Menschen für das eigene BDSM wichtig sind, konnten wir uns unser EIGENES BDSM schaffen.
Herr-zliche Grüsse
Roland