Die wahre Sichtweise
- "Halllöle" – Gell, mir Schwoba kenned hald elles ausser Hochdeidsch –
"Mir und auch anderen weniger erfahrenen Subs wird oft von so manchen Doms deren Sichtweise als die einzig Wahre aufgetischt und alles andere sei falsch."
Der Grund hierfür ist ein einfacher: Dom spürt in sich ein tiefes sexuelles Bedürfnis, dessen Erfüllung aber nicht ganz so einfach ist, da er einen Partner oder eine Partnerin braucht, deren Bedürfnisse spiegelsymmetrisch sind. In dieser Situation ist Dom geneigt, durch Verweise auf die "wahre Art" von BDSM Druck auf Sub auszuüben, wenn ihre Bedürfnisse eben nicht ganz spiegelsymmetrisch sind. "Wenn du das nicht magst oder dies nicht aushältst, bist du keine echte Sub!" – Wir hatten die Diskussion ja bereits hier im JC in aller Ausführlichkeit.
Die Methode ist uralt und nicht auf BDSM beschränkt. Früher etwa versuchten Männer ein normiertes Ehefrauenbild zu erzeugen, um damit ihre Frauen unter Druck zu setzen, wenn sie mal nicht willig waren, die Beine breit zu machen, wenn der Wasserstand des Ehemannes zu sehr gestiegen war. "Du kommst deinen ehelichen Pflichten nicht nach!"
So verständlich Doms Haltung ist, so sehr ist sie aus Not geboren und vom Unverständnis gegenüber Sub geprägt. Das kann nicht gut gehen und nicht gut sein. Also Finger weg!
"Ich fände es interessant und hilfreich zu erfahren, wie sich das jeweils immer entwickelt hat, wie habt Ihr euer eigenes BDSM "aufgebaut"?
Ich glaube, mein Initialgefühl für BDSM-artige Erotik entstand lange, bevor ich die vier Buchstaben kennen lernte. Da ich in meiner Jugend mit meinen sexuellen Vorlieben, die hauptsächlich im Fetischbereich lagen, immer scheiterte, träumte ich früh davon , wie schön es doch wäre, eine Frau zu haben, die mir so sehr ergeben ist, dass sie mir jeden Lustwunsch erfüllt. Also, mit meinem heutigen Sprachschatz, eine "Submissive". Ich hatte den Traum, dass eine solche Frau mich vom Leiden an meinen unerfüllten Sehnsüchten befreien würde.
Als ich zum ersten Mal eine Peitsche benutzte, war dies für mich eine Art "Beweismittel": eine Frau, die sich von mir peitschen lässt, muss doch submissiv sein, sprich: die Erfüllung meiner erotischen Wünsche mir garantieren.
Es dauerte viele Jahre, bis ich mich aus solchen Krampfgedanken lösen konnte, die zu einer Menge Liebesleid führten. Ich begann, erstens mir klarzumachen, dass ich solche "perversen Lüste" haben darf (für die Unterstützung dieses Prozesses bin ich den Medien, früher Papier, heute Internet, sehr dankbar), mir zweitens klar zu machen, dass es Frauen gibt, die "auf so etwas stehen", und drittens mir zu sagen, dass ich eine solche Frau finden will.
"Mein" BDSM ist also um meine Bedürftigkeiten herum gebaut, und ich wette, dass das bei jedem so ist. Da ich eine starke, intelligente Partnerin brauche, ist meine Geliebte keine Dauer-Sub. Wir gehen nur zu Zeiten "ins Spiel". Da es mich kickt, meine Sub auch vor anderen vorzuführen, brauche ich eine Partnerin, die die Öffentlichkeit nicht scheut. Da es mich kickt, wenn andere Männer sich den Kopf verdrehen, wenn sie meiner Süssen begegnen, brauche ich eine Frau, die sich aufdonnern kann. Da es mich kickt, zu erleben, wie eine gefesselte Frau durch meine Manipulationen zum Orgasmus fliegt, brauche ich eine Geliebte, die Gefallen daran findet, wehrlos gefesselt zu sein. Da ich von Zeit zu Zeit eine Demonstration ihrer Hingabe brauche, will ich ihr Schmerzen zufügen können. Also muss sie dies kicken.
Aus solcherlei Selbstklärung konnte ich meine Geliebte suchen und – dank "Vorsehung" (Hank) auch finden.
Charmedlady, du frägst nach Rat.
Mein Rat ist, die eigenen Bedürftigkeiten vor sich selbst schonungslos und offen zu klären. Dazu gehören auch die Widersprüche in den eigenen Gefühlen ("Beim Gedanken, geschlagen zu werden, werde ich nass – aber nie würde ich es zulassen, dass ein Mann mich schlägt!"). Alsdann ist es gut, solche Dinge einem potentiellen Partner auch offen aussprechen zu können. Meist scheitern Liebschaften nicht am Partner, sondern an den eigenen ungeklärten inneren Widersprüchen und ungeprüften Vorerwartungen. Oft stockt Kommunikation, weil die eigenen Ängste oder Scham einem die Kehle zuschnürt. Wenn dann auch noch das Kopfkino des Gegenübers Purzelbäume schlägt, ist die Katastrophe schon fast vorprogrammiert.
Weiterhin lohnt es sich, über die seelische Struktur des Gegenübers sich ein wenig Klarheit zu verschaffen. Männer denken oft mit dem Schwanz. Das darf man ihnen nicht verübeln, aber man muss es wissen. Oft versuchen Menschen, Rollenbildern gerecht zu werden, denen sie nicht gewachsen sind (Stichwort: Möchtegern-Doms).
Wesentlich ist die Übung in der scheinbar einfachen Frage: "Wie fühlt es sich für mich an?" – Unser "Bauch" hat immer Recht, aber unsere Sehnsüchte machen oft solchen Lärm, dass wir seine zarte Stimme nicht hören.
Bei Subs empfinde ich oft ein weiteres Hemmnis auf dem Weg zum Glück: Sie wollen genügen, um von Dom geliebt zu werden. Damit lassen sie sich oft zu Dingen drängen, die ihnen nicht entsprechen und auch nicht gut tun. Zudem haben sie oft das Bedürfnis, Verantwortung für sich selbst an Dom abzugeben. Das mag im erotischen Spiel gelingen, aber im Leben hat jeder umumgeh- und unabgebbar für sich selbst die Verantwortung.
Sub hat oft das Bedürfnis, Dom möge mit ihm oder ihr "einfach machen", aber natürlich nur das, was in den eigenen Wünschen enthalten ist. Sub erwartet also von Dom Gedankenlesen. Das geht zwar, die allermeisten Doms haben das aber nicht geübt. Insofern muss Sub Wege finden, Dom ihre Bedürfnisse mitzuteilen, ohne dass es gleich nach "Dienstvorschrift" oder "Handlungsanweisung" riecht. Hier gibt es tausend subtile Möglichkeiten (mal einen SM-Roman offen 'rumliegen lassen und ein paar Stellen angestrichen haben) ohne den Zauber der Lust auf Dominanz zu zerstören.
Aber selbst all die Ratschläge führen zu keinerlei Garantie eines geglückten Auslebens von BDSM- und zwar deshalb, weil es in der Dynamik des Lebens für nichts eine Garantie gibt. Jedes Scheitern, das grosse wie das kleine, ist ein Zeichen, dass wir unser Bewusstsein erweitern sollen. Ob wir die Kraft dazu haben, ist dann unsere Sache.
stephensson
art_of_pain