Ethik - recht praktisch für eine Paarbeziehung?!
Um es vorweg zu nehmen, der Begriff "Liebesbeziehung" ist nicht gleichzusetzen mit dem Begriff Paar- bzw. Partnerschaftsbeziehung. Die Liebesbeziehung ist eine besondere Paarbeziehung und demzufolge dieser unterzuordnen. Sie ist von historischer Bedeutsamkeit für eine bestimmte Epoche, konkret geltend für das 18. als auch 19. Jahrhundert. Doch dieses romantische Liebesverständnis (da aus der Zeit der Romantik stammend) scheint auch noch recht reizvoll für die Moderne zu sein. Beziehungen wurden nun (ab dem 18. Jh.) idealerweise aus Gründen der Sympathie füreinander eingegangen, also aufgrund der besonderen Anziehung zwischen zwei besonderen Menschen und nicht mehr unbedingt weil es vom Elternhaus festgelegt. Das kann auch in Verbindung mit den ersten Individualisierungstendenzen in der Gesellschaft gesehen werden. Nebenbei schwang selbstredend immer noch das Moment der Exklusivität in jener Paarbeziehung mit, sprich die christlich motivierte (sexuelle) Treue war weiterhin en vogue. [Aber Obdacht: Treue ist nicht unbedingt davon abhängig, ob eine monotheistische Religion die Gesellschaft beherrscht. Muslimische Männer beispielsweise haben das Recht, ganz offiziell mehrere Frauen zu ehelichen, wenn sie, die Männer, dabei gewisse Normen erfüllen].
Weiterhin muss gesagt werden, dass offene Beziehungen keineswegs eine Ausprägung der Moderne (bzw, wie manche meinen, der Postmoderne) sind, in der wir uns befinden. Die gab es zu jeder Zeit. Doch es war seit jeher gesellschaftlich begrenzt, wer diese eingehen durfte. Im Alten Griechenland waren es die reichen, männlichen Bürger (die auch gleichzeitig alle Handlungsmacht besaßen), welche mehrfache Paarbeziehungen eingehen durften. Frauen, ärmere Männer und Sklaven waren also davon ausgeschlossen und wurden bei Zuwiderhandlungen bestraft. Ab dem Mittelalter waren offene Beziehungen offiziell gänzlich verboten (Bordelle und sogenannte Mätressenarrangements boten demgegenüber eine illegitime aber mehr oder minder geduldete Option diese Norm zu unterwandern, selbstredend ist das insbesondere ein Vorteil für reiche, recht mächtige Männer gewesen, die im Vergleich zu armen Männern aufgrund ihres sozialen Einflusses auch kaum dafür zur Verantwortung gezogen worden). Modern ist, dass offiziell beide Geschlechter solch einen Beziehungsmodus eingehen dürfen (jedenfalls in den demokratischen Gesellschaften des Abendlandes), ohne dafür belangt zu werden.
Machtstrukturen weisen also daraufhin, wer an gewissen sozialen Prozessen teilnehmen darf und wer nicht, was doch recht praktisch ist, um einen Staat zu reagieren, die Macht zu sichern (denn Sexualität als ein wesentlicher Teil von Paarbeziehungen ist nun einmal eine begrenzte Ressource, um die latente bis präsente Machtkämpfe entbrennen) und "Fremde" (im Sinne von Minderheiten, Andersdenkende, Migranten, aber auch anderen Milieus oder wie geschehen das „andere“ Geschlecht) davon durch Normen (einerseits "harte" staatliche Gesetze, andererseits "weichere " scheinbar private Regeln verpackt als Tugenden oder Werte) auszuschließen.
Weiterhin kann also mit Fug und Recht behauptet werden, dass eine Verbindung zwischen der Verteilung der Macht in einer Gesellschaft und deren Grad zur Öffnung hin zu offenen Paarbeziehungen besteht, in dem Sinne, dass demokratische im Vergleich zu als oligarchische oder aristokratische Gesellschaften weitaus gewillter sind Menschen ein offenes Paarmodel zu gestatten.
Der Reichtum von Gesellschaften, die Verteilung des Kapitals in der Gesellschaft selbst, ihr Grad des wissenschaftlichen Fortschritts, die Geburtenrate, die Bevölkerungsdichte, die Erwerbstätigkeitsquote der Frauen, Umweltbedingungen etc. bestimmen ebenfalls die soziale Akzeptanz von gewissen Beziehungsmodellen.
War es also vormals recht einfach, sich moralisch zu bewegen, da Gesetze als auch Tugenden/sittliche Werte in etwa konform waren, so ist heutzutage beinahe ein Balanceakt für jeden, den für sich passenden Beziehungsmodus zu finden, da offiziell alles erlaubt ist, gleichzeitig verschiedene Werteausrichtungen auf dem "Wertemarkt" angeboten werden. Obgleich traditionelle Werte insbesondere in höheren Milieus weiterhin hoch im Kurs stehen (wenn auch nur offiziell, da die die gelebte Praxis oft eine andere ist). So ist ist es vielleicht nicht einmal mehr so sehr die Herkunftsfamilie, die einem das danach zu strebende Beziehungsmodell ausweisen kann (schließlich wird oft arbeitsbedingt von dieser weggezogen, was heißt, auch in Partnerschaften selbstständiger zu werden), sondern vielmehr eigene Erfahrungen durch bereits gelebte Beziehungen sind es, welche einen hoffentlich auf den (für einen persönlich) richtigen Weg verweisen. Wobei dieser auch ständig mit neuen Erfahrungen abgeglichen wird und somit eher selten geradlinig verlaufen wird. Die moderne Krux dabei ist also ein gleichzeitiges Vorherrschen verschiedener akzeptierter Werte in der Gesellschaft, die sich beinahe ausschließen: Offenheit vs. Geschlossenheit in einer Beziehung, Treue vs. sexuelle (teilweise auch emotionale) Freiheit gar Polyamorie, Prinzipien vs. Unverbindlichkeit. So ist es für den einzelnen nicht leicht, das Passende für sich zu finden, zumal die genannten Werteausprägungen auch ihre vielen Grautöne haben, was es noch einmal schwieriger macht.
Einige meinen, man könnte jeden "lieben" und mit jedem eine Beziehung eingehen, wenn er/sie doch nur ähnliche Ansichten hätte (man also auf einer "Wellenlänge" wäre), obgleich jene selbst nicht wissen, weshalb sie manche dann nur emotional, andere sexuell, wiederum andere emotional als auch sexuell "lieben" könnten, da sie erstens davon ausgehen, dass jeder Mensch zu jedem vertrauensvoll und aufrichtig sein soll (auch zu unbekannten Menschen?) - was geradezu irrational ist und sie auch selbst nicht so umsetzen, und weil sie zweitens ihre Beziehungen nach unverbindlichen Regeln (quasi nach Gevater Willkür) führen (womöglich, dass diese Passage eine kleine Abrechnung mit den freiliebenden, aber dann doch unaufrichtigen Zeitgenossen darstellt). Viel angenehmer und daher praktisch wertvoller sowie sozial akzeptierter sind offene Beziehungen, in denen es klare Regeln gibt und ein social background aus Empathie, Rücksichtnahme, Aufrichtigkeit, Gerechtigkeit usw. die Basis bildet, ein jeder Beziehungsteilnehmer also auch im Bilde darüber ist, welche Ausprägung die Beziehung hat. Aber man darf davon ausgehen, dass funktionstüchtige, offene Beziehungen auch von der Mitgliederanzahl begrenzt sind, da jede Beziehung mittels Beziehungsarbeit gepflegt werden möchte. Ansonsten handelt es sich wohl eher um eine Aneinanderreihung von zahllosen, belanglosen Liebschaften, wobei die Interaktionspartner in seelenloser Manier miteinander verkehren... und das firmiert dennoch gern unter dem Deckmantel der offenen Beziehung, sicherlich um dann eben doch den moralischen Werten und dem sozialen Konsens zu entsprechen, demnach soziale Herabstufungen zu vermeiden, Doppelmoral in seiner schönsten Form.
Andererseits ist es höchst bemerkenswert, wenn jemand eine "geschlossene", feste Beziehung eingeht, nach geraumer Zeit dann bei sich den Bedarf einer weiteren intimen Person verspürt, weil der Partner einem scheinbar nicht (mehr?) genügt. Denn um nichts anderes geht es, als dass einem der Partner gewisse Erwartungen/Wünsche nicht erfüllen kann. Allerdings ist es dann gleichsam geradezu vermessen, vom Partner zu verlangen, dass er/sie sich mit dieser neuen Haltung des Partners arrangiert, da die Beziehung ursprünglich nur eingegangen worden ist, weil beide vormals das Prinzip der Treue als wichtig für sich erachteten. Eine Einstellungsänderung des einen Partnerschaftspart führt selbstredend dann zu Irritationen beim anderen. Das nun soziale Kritik auf den sich neu orientierten Partner einströmt, sollte klar sein (vor allem auch, dass der an der Treue festhaltende Part sich wie in einem falschen Film fühlt und daher mit Kritik nicht sparen wird).
Dass der Staat bei unübersichtlichen Familienkonstellationen (die aufgrund der offenen Paarbeziehungseinstellung der Erwachsenen bestehen), wo minderjährige Kinder im Spiel sind, genauer hinschaut (sprich auch moralische Urteile spricht), sollte allerdings einleuchtend sein. Einerseits möchte der Staat keinen finanziellen Nachteil „erben“, wenn teilweise nicht einmal der leibliche Vater bekannt ist und der Staat somit als Finanzgeber für den sogenannten „unbekannten“ Genitor in die Presche springen muss. Zudem ist für das Kindeswohl nicht förderlich, wenn die Beziehungspersonen fortlaufend gewechselt werden, was Unsicherheiten beim Schutzbefohlenen hervorruft. In solchen Fällen ist staatliche als auch soziale Kritik angebracht und das mit Recht, da das Recht der Kinder auf ein stabiles, verantwortungsvolles Lebensumfeld (was in erster Linie die Familie darstellt) wichtiger sein sollte, als dass grenzenlose Streben nach einem polyamoren Leben.
Was lernen wir daraus?
Die soziale Ethik mit ihren festen Normen wie Gesetzen als auch den weicheren Wertvorstellungen auch in Bezug von Paarbeziehungen ist veränderlich, aber geduldig wie ein Stück Papier. Heutzutage überlappen sie die verschiedenen Wertvorstellungen geradezu, sodass eine eindeutige Orientierung an dieser oder jener Wertvorstellung nur schwer möglich ist. Alsdann ist die persönliche Wertpräferenz von der Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen abhängig, von den gemachten Erfahrungen und kann sich daher auch wandeln.
Sodann ist es für jede Beziehung von Vorteil, wenn mit offenen Karten gespielt wird, was deren Exklusivitätscharakter, deren Offenheits- bzw. Geschlossenheitsgrad usw. betrifft, da es sich um intime Beziehungen handelt, welche immer voraussetzungsvoll sind und somit auch mit einer gehörigen Portion an Sensibilität bedacht sein müssen, damit diese für alle Partner (gleich wie hoch die Anzahl derer an der Beziehung ist) angenehm, erfüllend und lebensbereichernd ist.
Auch ist es oft für mindestens einen Beziehungsteilnehmer irritierend, wenn der Beziehungsmodus von geschlossen zu offen (oder umgekehrt) gewandelt wird (also wenn im ersten Fall des Beziehungsmodiwechsels einer der beiden Partner das erste Mal intimen Kontakt mit einer weiteren, also dritten Person hat), da dies auch mit einem Wandel von zentralen Werten einhergeht, von erst exklusiv zu dann doch mehr oder weniger willkürlich. Nur als Beispiel: Das besondere Vertrauensverhältnis ist kein besonderes mehr, da eine dritte Person hinzukommt; die intime Exklusivität wird ebenso unterminiert usw. Gesellschaftliche Kritik (mindestens vom Bekanntenkreis) dürften einem dann sicher sein.
Statistisch gesehen, trennen sich Beziehungspartner in solchen Situationen sehr häufig voneinander. Eine Trennung wäre so oder so dann das bessere Mittel, als vom Partner etwas zu verlangen, was ihn seelisch zermürbt, weil nie damit gerechnet wurde, als er/sie die Beziehung mit jenem nun recht spontan auf seine intime Freiheit pochenden Partner einging, und sich damit wohl auch kaum arrangieren kann. Aus „Liebe“ (im Sinne von Mitgefühl, Empathie, Rücksicht) sollte man dem doch sicherlich geschockten Partner die Möglichkeit lassen und auch geben (indem volle Ehrlichkeit bewiesen wird), selbst zu entscheiden, ob er die veränderte Situation annehmen kann oder nicht.