Eines vorweg: nimm das bitte nicht als Referenz für gute Betreuungsarbeit in Brandenburg. Ich kenne keinen weiteren Fall dieser oder ähnlicher Art hier.
Er ist ein Aspie mit leicht überdurchschnittlicher Intelligenz (IQ bei 120) und einer ausgeprägten Begabung (und besonderes Interesse) in Naturwissenschaften, insbesondere Chemie. Aber auch Sprachen fallen ihm relativ leicht (sowohl "menschliche" als auch Programmiersprachen) ;).
Auffällig sind seine ausgeprägte Empfindlichkeit gegenüber Schmerzen, Helligkeit, Lärm und Kälte. Naja, und die sehr ausgeprägten Unfähigkeit, sich in sozialem Umfeld adäquat zurecht zu finden und flexibel auf Veränderungen im gewohnten Umfeld reagieren zu können (selbst ein kurzfristiger Raumwechsel in der Schule kann zum Problem werden - wenn er es schon am Tag vorher weiß, ist es was anderes).
In seinem Verhalten äußern sich diese Probleme durch aggeressives Verhalten gegenüber allem, was ihm in die "Quere" kommt - da ist es auch egal, ob es ein Mensch ist oder "nur" eine Tür, die er mit dem Fuß tritt.
Und er klinkt sich auch schnell aus dem Unterricht aus, wenn der Stoff für ihn uninteressant ist. Da nimmt er sich dann eher in Geschichte das Mathebuch vor und löst Aufgaben viel weiter hinten im Buch, als die Klasse bereits von Stoff her ist. Oder er schaltet völlig ab und verzieht sich innerlich in eine Fantasiewelt (er hat auch schon versucht, mir das zu beschreiben, als ich willen wollte, was in ihm so vor geht, wenn er "nichts" macht).
Wenn ich in seiner Nähe bin (es reicht für ihn schon aus zu wissen, dass ich in der Schule bin), geht es mit seinem Verhalten. Er ist relativ ausgeglichen und kann auch seine Reaktionen teilweise ganz gut kontrollieren. Bin ich aber mal krank, dann steigt sein Aggressionspotential innerhalb weniger Tage wieder deutlich an.
Von den Mitschülern wird er sehr gut toleriert, einige können auch beruhigend auf ihn einwirken (und sie versuchen es auch). Liegt aber auch mit daran, dass es relativ kleine Klassen sind (Privatschule, ca. 15 Schüler) und sie von Anfang an über der Problematik aufgeklärt wurden.
Ach ja, und er ist nicht 11 Jahre alt - nein, er ist inzwischen in der 11. Klasse
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Die Begleitung sieht so aus, dass ich seit der 7. Klasse in jeder Unterrichtsstunde sein Banknachbar bin, sein Beschützer, sein "schlechtes Gewissen", sein "Trostpflaster" und sein "persönlicher Sekretär" (letzteres natürlich mit der Intention, dass er seine Selbstorganisation zunehmend auch slebst übernimmt). Ich motiviere ihn für den Unterrichtsstoff, "übersetze" allgemeine Aufforderungen an die Klasse in persönliche Aufgabenstellungen und erkläre ihm, wie er mit Hilfe seines Intellekts seine sozialen Probleme (derer er sich durchaus bewusst ist und was ihn auch quält) in vielen Fällen kompensieren kann.
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Das alles ist eine sehr ideale Form, um solche Kinder und Jugendliche in die Gesellschaft zu integrieren - die Alternative wäre gewesen, dass er in eine GB-Schule oder einen ähnlichen "geschützten" Bereich "abgeschoben" worden wäre. So sorge ich in einem flexiblen Rahmen für diesen individuellen "geschützten" Bereich in einem weitgehend "normalen" Umfeld mit der Möglichkeit, ihm Fertigkeiten an die Hand zu geben, sich zunehmend auch selbst zu "schützen". Und wenn ich sein Verhalten in der 7. Klasse und heute vergleiche, hat er dort sehr deutliche Fortschritte gemacht.
Leider wird es wohl kaum zur Regel werden, sondern eher die Ausnahmen sein.