Devot bedient
Da wir uns in diesem Forum darum bemühen, bei dem Thema zu bleiben, das der jeweilig Threaderöffner vorgeschlagen hat, muss die Grundsatzdiskussion, was "devot" heisst, an einem anderen Ort fortgesetzt werden. Wir hatten schon einen solchen Thread, an den zu erinnern ich mich erlaube:
was genau ist devot?
Der Thread war zwischendurch etwas verunglückt, da eine Dame mit dem Pseydonym "Shelley" den Thread zum Ausdruck ihres eigenen Seelenschmerzes missbrauchte; dennoch gab es sehr anregende Gedanken darin, eine Lektüre lohnt sich also.
Markus_und_Birgit hatten aus Wikipedia eine Erläuterung von "devot" zitiert: "Devot bezeichnet das unterwürfige und ergebene Verhalten einer ranghöheren Person gegenüber". Das ist zunächst einmal richtig. Der Ursprung des Wortes entstammt der religiösen Sphäre, die uns hier, im erotischen Kontext, nicht vordergründig interessiert, uns aber wertvolle Hinweise auf das Bedeutungsfeld geben kann.
"Devot" hat eine Nähe zu "submissiv" - eine Haltung gegenüber eines anderen, die daraus resultiert, sich diesem unterworfen zu haben, denn "submittere" bedeutet "sich unterwerfen". Beide Begriffe von einander abzugrenzen ist nicht leicht; bei "submissiv" scheint mir ein (wenn auch nur gedachter oder geträumter)
Kampf vorausgegangen zu sein – etwa in der Art, wie zwei Wölfe um die Leitwolfposition kämpfen, und derjenige, der der Unterlegene ist, sich dann mit der Bauchseite nach oben hinlegt und damit submissiv ist. Viele Subs berichteten, dass ihr erotischer Kick darin besteht,
unterworfen zu werden. Die Unterwerfung ist das Resultat eines Kampfes. Der Kampf muss nicht immer stattgefunden haben; für den erotischen Kick eines Submissiven mag es ausreichen, das Gefühl zu haben, im
Falle eines Kampfes der oder die Unterlegene zu sein. Sich in die Unterlegenheitsrolle zu fügen ist Submissivität.
Devotheit hat nichts mit Kampf zu tun. Sie ist zunächst
Verehrung. Der Devote verehrt denjenigen (früher: das Göttliche), der ihm an Macht oder Einfluss oder Weisheit oder Güte oder Selbstbeherrschung überlegen scheint. Die Verehrung gründet auf dem Bewusstsein, dass die Rangordnung irgendwie
in der Natur liegt, also unumkehrbar, Fakt ist. Kein Kampf legt die Rangordnung fest. Götter stehen über den Menschen, fraglos. Die Verehrung impliziert auch
Bewunderung; zum Verehrten möchte man aufschauen, und man geht vor ihm in die Knie, wie die Katholiken vor der Jungfrau Maria. Das Verehrte, gegenüber dem man sich devot gibt, ist unhinterfragbare Autorität.
Was schwingt von diesen historischen Bedeutungsfeldern noch mit, wenn jemand durch sein Kreuzchen konstatiert, dass zu seinen erotischen Vorlieben "devot sein" gehört? Für mich hat das zunächst gar nichts mit BDSM zu tun; es ist die Sehnsucht, zum Partner aufschauen zu können. Es ist Ausdruck eines
Wunschbildes vom Partner: ich möchte mich von ihm leiten lassen können. Ich möchte mich behütet fühlen. Ich möchte zu ihm aufschauen können. Ich möchte Verantwortung abgeben können.
Irgendwie kommt bei dieser Aufzählung Sex gar nicht vor, dennoch meine ich in diesem Leben gelernt zu haben, dass zumindest viele Frauen sich ihrer Sexualität am liebsten genau dann hingeben, wenn für sie die genannten Wunschvorstellungen erfüllt sind (die Alice-Schwarzer-Diskussion will ich hier nicht wieder aufwärmen).
Devot sein heisst, so verstanden, natürlich nicht, sich bedienen zu lassen. Umgekehrt gilt dies aber genau so: Wenn der so mit Devotion gehuldigte Partner die Verehrung, die ihm gegenüber dargebracht wird, ausnützt, sich bedienen zu lassen, dann wird die Devotion bald auf Null sinken. Frühere Menschen waren gegenüber dem, was sie Gott nannten, devot, weil dieser Gott
für sie sorgte (das mögen wir heute nicht mehr glauben wollen, aber uns interessiert auch nur das Bedeutungsfeld von "devot").
Die von youwillfindme zitierte Quelle "sweetnothing": "Ich unterwerfe mich dir. Du kannst alles mit mir machen, was in deinem Willen liegt." wäre also nicht ganz korrekt, sondern beschriebe eher submissives Verhalten. Denn Devotion bedeutet nicht, dass der Angebetete willkürlich, wie es ihm ins Hirn fährt, "alles" machen kann. Devotion gründet vielmehr im Vertrauen, dass der Verehrte
sich um den Devoten sorgt und ihm nur Gutes will. Für frühere Menschen war es eben der "liebe" Gott und nicht der selbstherrliche, nur auf seinen eigenen Vorteil bedachte, die Menschen ausnützende Gott.
Und deshalb hat agondapaar Recht, wenn sie vermuten, dass es vorstellbar ist, der oder die Devote fühlte sich von "Top" "auf Händen getragen". Wenn Top zu Recht als Objekt von Devotion angesehen wird, ist er gütig und sorgt sich um seine Devote.
Nochmals: so gesehen hat das Ganze mit BDSM, also mit
speziellen Sexualpraktiken, noch gar nichts zu tun. "Devot" beschreibt eine Sehnsucht, das Verhältnis zweier Seelen in einer Liebesbeziehung betreffend. "Devot" ist insofern politisch, als der Begriff zunächst die Errungenschaften der Emanzipation auf die Müllhalde der Geschichte zu werfen scheint. Aber auch diese Frage gehört nicht in diesen Thread und wurde schon diskutiert.
BDSM kommt dann ins Spiel, wenn wir bedenken, dass auch in früherer religiöser Devotion diese durch bestimme
Riten zum Ausdruck gebracht wurde: Opfer, Gebet. So kann jemand unter seiner Lust, "devot" zu sein, verstehen, diese Devotion durch bestimmte Handlungen zum Ausdruck zu bringen. Und da wir für moderne Paarbeziehungen im Unterschied zur Kirche keinen allgemeingültigen Kanon für Devotionsbezeigungen haben, werden die zwei Beteiligten das für sich ausarbeiten müssen. An Kopfkino-Vorlagen mangelt es uns nicht.
"Sich bedienen lassen" liegt
nicht auf der Ebene von Devotion, gehört aber zu den schöneren Erlebnissen unseres Lebens. Wer geniesst es denn nicht, in einem Restaurant sich bedienen zu lassen, anstatt selbst in der Küche stehen zu müssen? Wenn jemand allerdings versucht, sich die Bedienung dadurch zu erheischen, indem er sich als devot bezeichnet, ist er nicht ehrlich. Wenn wir Begriffe wie "devot" so weit fassen wollten, dass "sich bedienen Lassen" auch noch darunter fällt, wird unsere Sprache sinnlos. Das wäre schade.
stephensson
art_of_pain