Olivias Wunsch zu tanzen
„Olivia?“
„Ja?“
„Du möchtest tanzen?“
In meinem Bauch begann es zu kribbeln. Ich wußte sofort wer dran war und was seine Worte bedeuteten. Verzweifelt suchte ich nach Worten.
„Bist Du noch dran?“, versuchte er mein Schweigen zu brechen.
„Ja.“
„Du bist doch Olivia?“
„Ja.“
„Hat es sich erledigt?“
„Nein nein.“
Gedankenverloren starrte ich gegen die Wand.
Während ich mit der einen Hand das Handy festhielt, rutschte die andere langsam in meinen Schritt.
„Gut. Komme 20 Uhr zum Vortanzen ins Lollipop.“
„Ok.“, versuchte ich mich mit meiner unsicheren Stimme zu behaupten.
„Du weißt wo das Lollipop ist?“
„Ja.“
Kurz darauf war das Telefonat beendet.
Ohne mich erneut auf intime Weise zu berühren, ohne mich überhaupt zu berühren, wuchs meine Erregung mit jedem Augenblick. Zitternd nahm ich eine Zigarette aus der Schachtel und zündete sie an. Ich lief durch meine Wohnung und versuchte, mich auf jede nur erdenkliche Art abzulenken, vergeblich. Wie eine Katze schlich ich von einer Ecke zur anderen, solange bis ich nicht mehr konnte und allein durch das Zusammenpressen meiner Oberschenkel kam.
Unzählige Male hatte ich mir das vorgestellt, was ich nun in Kürze erfahren sollte und mich jedes Mal von der Welle meiner Triebhaftigkeit überrollen lassen. War das Szenario dieser verrückten, bisweilen bizarren Phantasie anfangs schnell verblasst, konnte ich im Laufe der Zeit immer weniger auf den nächsten, erlösenden Moment warten.
War es nun so weit? War der Abend, der mir die alles entscheidende Gewissheit, diese alles entscheidende Erkenntnis bringen sollte, endlich gekommen?
Wenn es nach meinem Anrufer ging durchaus. Gedankenversunken lief ich zum Fenster. Während ich mit meinen Blicken dem Zigarettenqualm folgte, dachte ich kurz an ihn und verbannte im selben Moment das Handy aus meinem Blick. Es war Zeit. Wie in Trance lief ich ins Bad und machte mich bereit.
Es kam der Tag, an dem wir ein mal mehr über uns sprachen. Dabei ging es weniger um die Beziehung zwischen uns, als vielmehr um die Verbindung zu uns selbst. Ich machte mich regelmäßig auf die Suche nach Erfahrungen, den eigenen und denen der anderen. Ich fand es spannend zu hören, was Menschen in ihrem Leben bereits alles erlebt hatten, was sie bewegte und was sie noch alles bewegen wollten und gab auf diese Weise meiner eigenen Sehnsucht Nahrung. Eng umschlungen lagen wir auf der Couch und starrten Löcher in die Luft.
„Warst Du schon einmal in einer Table Dance Bar?“, begann er mich urplötzlich zu fragen.
„Nein.“, antwortete ich überrascht.
„Du?“
„Ja.“
„Wann?“, antwortete ich mit der Erkenntnis, Eifersucht und Neugier gleichermaßen zu empfinden.
„Vor einiger Zeit.“, versuchte er mir irgendwie aus dem Wege zu gehen.
„Wann genau?“, setzte ich nach und versuchte abzuschätzen, ob vor oder nach unserem Kennenlernen.
„Vor ein paar Wochen.“
Seine Antwort hinterließ einen stechenden Schmerz.
„Mit wem?“
„Alleine.“
„Alleine?“
„Warum nicht?“
„Gehst Du regelmäßig alleine in eine Table Dance Bar?“, dass Wort alleine entsprechend betont.
„Nicht gerade regelmäßig doch ab und zu schon.“
„Je nachdem ob Du gerade eine Freundin hast?“
Stille.
„Ich gehe ja nicht immer alleine.“
„Mit wem warst Du denn schon einmal dort?“
„Mit einer Freundin.“
„Was hast Du denn für Freundinnen?“
Noch im selben Moment begann ich, die Frage auf mich zu beziehen.
„Kenne ich sie?“, fragte ich schnell weiter.
„Nein.“
Er lachte plötzlich laut los.
„Warum lachst Du?“
„Weil sie dort arbeitet.“
„In einer Table Dance Bar?“
Immer wieder begann er loszulachen und stand letzten Endes auf.
„Hast Du sie dort kennengelernt?“
Eifersucht und Neugier schienen immer stärker zu pulsieren.
„Ja.“
„Hattest Du was mit ihr?“
„Möchtest Du das wirklich wissen?“
Er zündete sich eine Zigarette an und stellte sich ans Fenster. Seine Art mir zu zeigen, wohin eine Antwort führen konnte, ließ mich augenblicklich verstummen. Nach einem kurzen Augenblick setzte ich ungeachtet dessen fort.
„Ist sie attraktiv?“
Aufmerksam beobachtete ich ihn von der Couch und achtete auf jedes noch so kleine Detail.
„Oh ja.“
Die Art wie er seine Antwort betonte, tat weh, dennoch wollte ich erfahren wie sehr.
„Wie sieht sie aus?“
Er hielt inne und drehte sich zu mir.
„Bis auf die Tatsache, dass sie schwarzes Haar hat und Du brünettes ähnelt ihr euch beide sehr.“
Schockiert starrte ich ihn an.
„Ich meine den Typ Frau.“
Stille.
„Und wie habt ihr euch kennengelernt?“, fragte ich vorsichtig weiter.
Er stockte erneut, ganz so, als ob er überlegte, wirklich weiter sprechen zu wollen.
„An dem Abend an dem wir uns kennengelernt haben, ist sie nach ihrem Auftritt ins Publikum gekommen und hat einen Lapdance angeboten.“
„Und? Hattest Du einen?“
„An diesem Abend nicht.“
„Weshalb?“
„Weil ein anderer mehr geboten hat.“
„Geboten?“, und grübelte über dieses Wort.
„Die Frauen kommen zuerst auf die Bühne.“, begann er vorsichtig anzuknüpfen.
„Während die Frauen auf der Bühne tanzen, flirten sie mit den Gästen. Je eindeutiger sie flirten, desto mehr Männer werden auf sie aufmerksam, desto mehr wollen einen Lapdance, desto höher wird ihr Preis.“
Ich schaute in sein Gesicht und versuchte abzuschätzen, ob das was er eben gesagt hatte wirklich ernst gemeint war.
„Wollen wir beide mal hin?“
„Nein, lieber nicht.“, versuchte ich das schreiende Ja zu unterdrücken.
„Sicher? Unter den Gästen waren auch Frauen.“
„Wirklich?“, antwortete ich mit gespielter Verwunderung.
„Natürlich. Es haben ja auch Männer gestrippt.“
„Konnte man sie auch ersteigern?“
Es war scheinbar die Laune der Natur, die ihn auf sein Angebot kommen und mich im Laufe der nächsten Tage zustimmen ließ, ohne absehen zu können, welche Reaktion ein gemeinsamer Besuch bei uns auslösen würde. Es vergingen einige Wochen bis wir das Vorhaben in die Tat umsetzen konnten, doch eines Abends war es schließlich so weit.