na gut
Als ich aufstehen will, um zur Toilette zu gehen, schließen sich M.s Finger fest um mein Handgelenk. Meine Aufwärtsbewegung wird im Ansatz gestoppt.
„Habe ich dir erlaubt, auf die Toilette zu gehen?“ , seine Stimme an meinem Ohr ist gefährlich, seine Augen blicken jedoch freundlich.
Fassungslos lasse ich mich wieder in den Sitz sinken. Er muss mir an den Augen absehen, dass ich damit nicht gerechnet habe. Mach ich so ein dummes Gesicht?
Um meine Verlegenheit zu überspielen, greife ich einen Prospekt vom Tisch und lese.
Erleben Sie:
-- Einen unvergesslichen Abend mit Freunden.
-- Ein Geschäftsessen der besonderen Art mit Kunden und Journalisten.
-- Ein sinnliches Festessen zu zweit.
-- Eine Incentive-Veranstaltung (oder ein Teambuilding-Seminar) für Ihre Mitarbeiter.
-- Ein echtes "blind date".
Oh ja. Alles zusammen und alles auf einmal.
„Also? Hier oder nie.“, lauernd schaut er mich an. „Der Abend kann nicht ewig warten und ich auch nicht.“
Dunkelrot, meine Gesichtsfarbe ist ganz sicher dunkelrot. Und gefühlt starren mich in diesem Augenblick Alle an. Oder doch nicht? Verlegen schau ich mich um. Mistkerl! Verfluche ich ihn. Warum gleich, warum nicht im Dunkeln? Später? Wenn wir alle am Tisch sitzen und das Licht aus ist?
Die Antwort gebe ich mir gleich selber, weil es dann Jeder kann.
Unruhig rutsche ich hin und her. Meine Ballerinas sind schnell von den Füßen, und jetzt der Rest?
Unter seinen amüsierten Blicken und nun ganz sicher dunkellila im Gesicht, rutschen meine Hände links und rechts unter mein Kleid. Langsam, ganz langsam ziehe ich den Slip zusammen mit der Strumpfhose runter. Zentimeter für Zentimeter, die Beine fest zusammengepresst. Verlegen schiele ich links und rechts zu meinen Nachbarn.
Nur ein einzelner Herr, etwa 50 Jahre alt und mir genau gegenüber sitzend, bemerkt mein Tun und lächelt zu mir rüber. Seine Augen verfolgen den Weg meiner Hände entlang meiner Beine. Es kommt mir fast vor, als ob er sabbern würde, während meine Hose und der Slip immer weiter runter wandert. Als alles unten ist, richte ich mich blitzschnell auf und stopfe das Knäuel in die Ritze von meinem Sessel. Verlegen sitze ich da, stürze mein Glas Sekt herunter, als ob es Brause wäre. Puh!!
„Hehe..“, sanft streicht M. über meinen Rücken, „mach nicht so ein bitteres Gesicht. Steh auf und gebe ihm deine Unterwäsche. Du weißt, wen ich meine.“
Am liebsten hätte ich ihm eben noch eine scheuern wollen, aber das bringt ein Schmunzeln in mein Gesicht zurück. Ja, der Ausdruck ist es wert! Langsam hole ich die Unterwäsche aus dem Sessel, packe sie etwas zusammen und gehe zum Tisch des Mannes.
Als ich meine Hand ausstrecke, erhebt er auch seine Hand und nimmt mir die Sachen ab. Oh?? Weiß der was? Hat M. ihm was gesagt?
Aber als ich wieder sitze und ihn fragen möchte, macht mir der Kellner einen Strich durch die Rechnung.
„Meine Dame? Der Herr! Darf ich ich vorstellen. Ich bin Mario, ihr persönlicher Kellner. Ich stehe Ihnen ab jetzt die ganze Zeit zur Verfügung. Haben Sie Wünsche oder Fragen? Sprechen Sie mich an, ich bin immer bei Ihnen. Ich führe Sie jetzt zu Ihrem Tisch“ und damit stehen wir auf und gehen Mario langsam hinterher.
Leise spricht Mario weiter, ich habe M. bei der Hand gefasst. Irgendwie gibt mir die Berührung Kraft und Sicherheit. Ein wenig bange ist mir schon. Nicht wegen M., sondern weil ich ein kleines Trampel bin. Und nun alles in vollkommener Dunkelheit. Ich sehe mich schon das Wein- oder das Wasserglas vom Tisch fegen. Wusch... Upps... ach lass liegen, siehst ja doch nichts... hahaha..
Auch über das Essen grübel ich nach. Merk ich es, wenn ich den Teller durchgeschnitten habe? Oder sollte ich doch lieber alles mit den Fingern essen und mir dann hinterher die Finger an der Tischdecke abwischen? Sieht ja keiner. Mittlerweile grinse ich über das ganze Gesicht. Unser Weg hat uns in das von vielen Kerzen anheimelnd leuchtende Restaurant geführt. Romantik pur!
Sanft schiebt mich Mario an den Stuhl und setzt mich hin. Meine Augen versuchen sich den Platz des Besteckes und der Gläser zu merken. Langsam berühre ich alles mit meinem Fingern, den Teller, das Besteck, die Gläser. Finde ich alles wieder, wenn das Licht erlischt? Meine Augen suchen M., versonnen betrachtet er mich. Was bringt dieser Abend? Da werden plötzlich alle Kerzen ausgepustet, das Gemurmel der anderen Gäste erstirbt.
„Willkommen beim Diner im Dunkeln!“, hören wir die Stimme eines Mannes auf der Bühne.
„Eine Herausforderung der außergewöhnlichen Art. Finden Sie das Glas Ihres Partners? Schmecken Sie, was Ihnen serviert wird? Eine Sinneserfahrung der besonderen Art. Ihr Auge hat jetzt Pause. Schärfen Sie Ihre anderen Sinne.
Beim freiwilligen Verzicht auf optische Reize erleben Sie, was Ihre anderen Sinne tatsächlich leisten können, wenn man sie nur fordert. Fühlen Sie einen sanften Lufthauch. (oh ja!)
Ertasten Sie die Gegenstände auf dem Tisch. (lach, habe ich schon)
Lassen Sie die Nase ungeahnte Sphären erkunden und erfahren Sie die Dramatik feiner Geschmacksnuancen ohne optische Täuschung.
Sie spüren die Präsenz Ihrer Tischnachbarn und staunen, wie selbst die oft so belanglose Konversation an räumlicher und intellektueller Tiefe gewinnt. Ein wahrer Sinnesrausch!
Abschließend noch: Ganz wichtig sind zwei Spielregeln: Zum einen sind Lichtquellen aller Art, wie Feuerzeuge und Rauchwaren, leuchtende Zifferblätter oder Handy-Displays in der Dunkelheit tabu. Zum anderen versuchen Sie bitte nicht, sich auf eigene Faust durch den dunklen Gastraum zu bewegen – Sie könnten sich und andere stoßen oder den Serviceablauf stören.
Tauchen Sie nun hinein in eine Welt aus Gerüchen und Geräuschen, Temperatur- und Tasteindrücken. Die Nase spürt Gerüche und Aromen in nie gekannter Fülle. Ihre Zunge erspürt intensiv jeden Bissen des vorzüglichen Menüs.
Ihre Ohren sind gespitzt und lauschen den Hintergrundgeräuschen, in die sich ab und an angenehme Musikklänge mischen. Ihr Kellner ist stets in Ihrer Nähe, um Sie in der ungewohnten und spannenden Situation zu unterstützen.
Die Show im Dunkeln beginnt, aktivieren Sie Ihre Sinne...“ (Aus dem Originalprogramm des Dinner im Dunkel)
Langsam taste ich wieder auf dem Tisch herum. Ein Teller, das Besteck, wie immer. Irgendwo die Gläser... meine rechte Hand tastet weiter. Pling, erschrocken zucke ich zurück. Mein Herz pocht plötzlich an meinem Hals.
Eine Hand hat sich auf meine Schultern gelegt, ein Luftzug streift mein Ohr. Meine Härchen, jede noch so kleine stellt sich auf. Mario? Oder Mikhael?