Making Movies
Markus setzte sich neben das Bett, sagte zunächst nichts, nahm aber ihre Hand.
Julia wollte dem ersten Impuls folgen, die Hand wieder weg zu ziehen, aber sie tat es nicht.
Julia musterte die blauen Augen, in die sie sich einst verliebt hatte. War das erst ein paar Wochen her?
Sie konnte es kaum glauben…Sie sah Sorge und Betroffenheit.
Markus wollte etwas sagen, aber sie kam ihm zuvor.
„Ich möchte Markus Beyer aus Berlin zurück, bitte“, sagte sie mit leiser Stimme.
„Es tut mir leid, Julia, ich habe dich überfordert. Du bekommst den alten Markus zurück, versprochen!“ Er umklammerte ihre linke Hand fester.
„Only ten minutes!“ hatte die Stationsschwester geknurrt – blieben noch sieben…
„Ich liebe dich, Julia! Falls du in den letzten beiden Tagen einen anderen Eindruck gewonnen hast, dann ist es allein meine Schuld. Wir finden gemeinsam einen Weg, aber oberste Priorität hat, dass du wieder gesund wirst!“
„Ich liebe dich auch, Markus, aber versteh‘ auch bitte, dass ich Zeit brauche, um mich mit dem anzufreunden, was du…“
Sie ließ es unausgesprochen im Raum stehen und sie hoffte, Markus hatte verstanden, dass ihr manche Sexualpraktiken zu bizarr waren.
„Du bekommst alle Zeit der Welt, Liebste, um gesund zu werden und erst recht für das andere…“
Die Tür wurde aufgestoßen und die resolute, etwas füllig wirkende chinesische Stationsschwester stürmte herein wie ein Taifun.
„Time over, Sir!“ meckerte sie. Zu dem hatte sie heraus gefunden, dass die Patientin nicht unter dem Namen „Mrs. Beyer“ hier logierte, sondern als „Miss Lindner“, es sei denn, sie hatte noch keine Zeit gefunden, den Pass nach der Hochzeit ändern zu lassen.
Markus wollte seiner Verlobten noch einen Kuss geben, wurde aber hinaus bugsiert, konnte nur noch winken.
Jacques Bertrand wollte man erst recht nicht zur Patientin lassen, obwohl er sagte, er sei der Chef und müsse sich um seine Angestellte kümmern.
Dabei winkte er mit einem Geldschein.
Das hatte in Thailand und Kambodscha Wunder gewirkt, aber in diesem klinisch reinen Stadtstaat war man offensichtlich anders drauf.
Letztendlich hatte er sich mit Charme und Wortgewalt doch Zugang zum Krankenzimmer verschafft.
Julia war dem Regisseur dankbar, dass er nicht mit Plattitüden kam, wie „Was machst du denn für Sachen, Julie?“
Wieder einmal griff ein Mann nach ihrem linken Handgelenk.
„Ich fürchte, die behalten mich bis morgen hier. Es tut mir leid, Jacques!“
„Nein, mir tut es leid, Julie! Hitze und Stress, ich habe dich in 16 Stunden durch zwei Länder gejagt und verspreche dir, es kommt nicht wieder vor. Werde schnell gesund, Julie!“
Unausgesprochen blieb, was der Buschfunk trommelte. Bei so einer Produktion mit vielen Mitarbeitern blühte der Tratsch.
Da war von sexuellen Ausschweifungen die Rede, Julie hätte es nicht nur mit Markus, sondern auch mit Luc Besson und Francois Cluzet getrieben.
Ben Kingsley hatte nur Nein gesagt, weil er der Religionsgemeinschaft der Quäker angehöre und zu dem glücklich verheiratet sei – so zumindest die Klatsch- und Tratsch-Version…
Jacques Bertrand wusste, da war häufig mehr als nur ein Körnchen Wahrheit dran.
Er konnte aber seiner Darstellerin nun unmöglich ins Gesicht sagen, sie solle sich etwas zurück halten, was den Sex betraf.
Er hoffte, sie kam selbst auf den Trichter.
„Was wird nun aus der Produktion, Jacques?“ hörte er sie fragen.
„Kein Problem, Liebes, wir ändern das Drehbuch…“
‚Wieder einmal‘, schmunzelte Julia.
„Ja, Markus, also John Meyers, verliert dich im Getümmel von Singapur, ist der Meinung, du willst wieder einmal einen Journalisten-Kollegen kontaktieren, dabei hast du dich nur verlaufen. Diese Szenen drehen wir gleich morgen früh ohne dich. Kurier dich aus, Julie, du bekommst Pausen in der Südsee, versprochen.“
Jacques Bertrand drückte ihre Hand und verschwand, bevor ihn die Stationsschwester, dieser chinesische Drachen, hinaus warf.
Der Tropf war leer, die Kanüle wurde entfernt.
Der Stationsarzt schaute noch einmal vorbei, um der Privat-Patientin und Schauspielerin aus Europa, von der er allerdings noch nie etwas gehört hatte, gute Nacht zu sagen.
Sie solle sich keine Sorgen machen, alle Befunde wären negativ.
Sie habe weder einen Tumor noch einen Herzfehler. Man würde sie allerdings zur Beobachtung noch mindestens bis morgen hier behalten.
‚Klar‘, dachte Julia, ‚die Versicherung der Filmproduktion bezahlt ja auch alles.‘
‚Alles wird gut, wir drehen noch ein paar Szenen in der Südsee, relaxen zwischendurch am Pool – und dann ist dieses Abenteuer überstanden.‘
Über diesen Gedanken schlief Julia ein.
Am nächsten Vormittag kam es Julia hinter der sich automatisch öffnenden Glastür vor, als liefe sie gegen eine Wand.
Der Arzt hatte Recht gehabt: Gestern in ihrem Zustand wäre ihr wohl wieder schwindlig geworden.
40 °C im Schatten und Luftfeuchtigkeit wie in einer Waschküche.
Markus und die bisherige Produktionsassistentin Aurelie – von Bertrand zur persönlichen Betreuerin bestimmt – bemerkten den verzögerten Schritt und stützten sie sofort ab.
„Alles in Ordnung, Julia?“ fragte Markus.
„Puh, drinnen alles klimatisiert und hier…“
Man führte sie sofort in die mit laufendem Motor wartende Limousine.
Julia hatte festgestellt, dass in diesen tropischen Ländern kaum je einer den Motor abstellte, wenn er wusste, er würde demnächst wieder los fahren – damit die Air Condition weiter lief.
wird fortgesetzt...