Huhn und Ei
Ich habe vor einigen Jahren in Berlin aus Spaß und Gelegenheit einen BDSM-Club (Gargoyle) eröffnet und fast 5 Jahre lang betrieben, und dabei eine TONNE an Thekengesprächen geführt.
Ein Evergreen der Thekengespräche war die Suche danach, warum man so "ist", wie man ist.
Und meine Beobachtung ist die Folgende:
Jene, die in ihrer Kindheit und Jugend irgendetwas erlebt haben, was als Begründung für ihre "seltsame" Neigung herhalten kann, waren ganz überwiegend der festen Überzeugung, dass sie "so" sind wegen exakt jenen Ereignissen -- egal, ob jene darin bestanden, tatsächlich missbraucht worden zu sein, oder als Kind vertrimmt, oder liebevoll erzogen außer das eine Mal, wo, oder einen strengen Lehrer gehabt, oder der erste Freund/die erste Freundin hat, oder zerrüttete Familie ...
Und dann gibt es da jene, die gewiss auch nach Gründen gesucht haben, bei denen es aber trotz allen Nachforschens nicghts gab, was dieses Sein und Fühlen erklären würde.
Den Hobby- und Berufspsychologen, die sich in jene Gespräche oft und gerne einmischen, und besonders gerne mit der These, dass da eben immer etwas "gewesen sei", auch wenn man es "verdrängt habe", möchte ich dann gerne entgegenschmettern, was eigentlich Homosexuelle erlebt haben sollen, um "so" zu werden.
Unterm Strich ist es doch so: Jeder hat Sachen, auf die er steht. Da gibt es einen Bereich, den man als "normal" bezeichnet, und dann ein weites Feld außerhalb dessen -- und dabei ist es höchst egal, dass zB Homosexualität eben dabei ist, den Sprung in den "Normal"-Bereich zu schaffen, einfach weil es nicht mehr schicklich und auch nicht mehr wissenschaftlich ist, diese so offenbar ganz natürliche Neigung mit "hat im Alter von 8 Jahren den Rock der großen Schwester tragen müssen" zu erklären.
Und da gibt es einen Bereich, der außerhalb des "Normalen" eingegliedert wird, dessen Neigungen entsprechend erklärt werden MÜSSEN -- sei es BDSM, oder Natursekt, oder Furries, oder von mir aus auch Nekrophilie.
Fakt ist: Menschen stehen auf sehr verschiedene Dinge, weil wir sehr komplizierte Wesen sind -- sogar seltsamer als Rehe, die nach heutigem Stand der Wissenschaft gelegentlich sehr gerne Fleisch essen, und gerne direkt vom Grill!!
Und es ist einfach "zu einfach" gedacht, das an Einzelereignissen fest zu machen.
Ich selbst, zB, bemerkte meine D/s-Neigung erstmals beim Betrachten eines in einer Wiese gefundenen Porno-Comics, wo eine Frau in der Wüste aufgelesen, vergewaltigt und als Sklavin verkauft wurde. Ich wäre aber reichlich dämlich zu sagen, dass das zufällige Finden dieses Comics -- da war ich etwa 11, und es war keineswegs der erste Porno den ich gesehen habe -- den Kink erst ausgelöst hätte.
Vielleicht, nein, mit SICHERHEIT ist es auch ganz EGAL, was dazu geführt hat, dass der eine auf SM steht und der andere auf Fußball, der eine Oper mag und der andere es mag wenn man ihm auf den Bauch kackt: Solange die persönliche Präferenz weder geltendes Recht verletzt noch derart allumfassend von jemandem Besitz ergreift, dass ein Leben außerhalb des Kinks nicht mehr möglich ist, ist doch alles fein.
Und auch das sei gesagt:
Wessen Sozialleben aus den Fugen gerät, weil er ein Feeder ist, oder SMler, oder auch Gamer, der wird mit Vorwürfen konfrontiert seine Neigung sei eine (schädliche) Sucht.
Wessen Sozialleben aus den Fugen gerät, weil er ohne Bücher oder eine detaillierte Abarbeitung der Schlachten napoleonischer Kriege nicht sein kann, gilt als Koryphäe.
Kink on!
Gr1mm