Die Fenster zum Hof oder Fernsehen.
Den Menschen meiner Wahlheimat ist eine hanseatische, nonchalante Zurückhaltung und angenehme Diskretion zu eigen. So das Klischee. Und eine Toleranz und Weltoffenheit. So das andere Klischee.
Und die Eigenart, an Fenstertextilien zu sparen; gerade in den bürgerlichen oder sogenannten besseren Vierteln. Eine schöne Lampe, ein Segelboot oder eine Möwe zur Dekoration ... reicht! So Fakt.
In den erleuchteten vier fast bodentiefen Fenstern meines mir unbekannten Nachbarn gewannen seine Silhoutte und Bewegungen am vorgestrigen Vorabend meine Aufmerksamkeit. Sportlich-schlank, groß, vielleicht Mitte Dreißig. Wie er aufräumte, das T-Shirt wechselte, staubsaugte. So lässig, so ungezwungen, so dynamisch.
Ich schlief ein und vergaß.
Bis heute Morgen gegen Null Uhr Dreißig. Schattenspiel in seiner lichtgedimmten Wohnung gegenüber. Leidenschaftlich umarmend und küssend führte er seinen weiblichen Besuch quer über alle vier Fenster zum dunkelsten. Bald darauf klassische, rhythmische Bewegungen: heftig stoßend, genussvoller reibend, innehaltend drückend bis sie oben Platz nahm, sich vorbeugend, küssend, ihr Hüftspiel begann ... während sich zeitgleich Oliver Mellors und Lady Chatterley auf MDR bei mir liebten.
Diese unerwartete Duplizität von Realität und Fiktion brachte zum Lächeln. Ja!
Sollte ich heute Abend noch einmal nackt die Balkontür schließen? Es ist wieder Vollmond.