Mein Rat - ich hoffe, Du liest noch mit
Ich bin ein wenig erstaunt über die Bevormundungsversuche und voreiligen Ratschläge, die einige (zum Glück nicht alle) hier abgeben.
Eine Beziehung kann nur gelingen, wenn die Bedürfnisse beider Partner erfüllt werden. Man kann entweder so lange den richtigen Partner suchen, bis man jemand gefunden hat, mit dem alles automatisch passt, und dann auf sein Glück hoffen, dass sich die Bedürfnissen beider Partner nie mehr ändern. Oder man versucht zu verstehen, was der andere braucht, und was man selbst braucht. Da sich Bedürfnisse im Laufe der Zeit ändern können, muss man das immer wieder neu herausfinden.
Das klingt vielleicht einfach, ist es aber nicht. Manchmal weiß man selbst gar nicht, was man braucht, weil man zu sehr versucht, sich so zu geben, wie es anderen gefällt. Manchmal lässt man sich von anderen suggerieren, was gut für einen ist. Manchmal hat man Angst, mit ungewöhnlichen Bedürfnissen auf Ablehnung zu stoßen (die Angst, nicht so geliebt zu werden, wie man ist). Es gibt auch manchmal Missverständnisse, wenn man über Bedürfnisse redet. Und es gibt viele Leute, die zu wissen glauben oder zu erraten versuchen, was der andere braucht, und deswegen nicht mit ihrem Partner darüber reden.
Ihr habt bereits einen großen Schritt gemacht. Jemand hat geschrieben, dass die Fantasien Deines Freundes, bestimmt nicht dem Bild entsprechen, das die meisten jungen Männer gern von sich selbst hätten bzw. bei anderen hinterlassen würden. Stimmt. Dein Freund hat Dir seine Wünsche trotzdem mitgeteilt. Das ist mutig von ihm und ein Zeichen für großes Vertrauen Dir gegenüber. Mit so einem Mann kann eine Beziehung funktionieren. Leider hast Du sein Vertrauen durch Dein Fremdgehen beschädigt. Um es wieder herzustellen, müsst Ihr verstehen, warum das passiert ist.
Ich will Dir hier keine Ratschläge geben, wie Du Dich verhalten sollst. Mein einziger Ratschlag wäre, Dir ein paar Fragen über Deine und seine Bedürfnisse zu stellen und ehrlich (wenn nötig auch selbstkritisch) zu beantworten:
1.) Bist Du wirklich dominant veranlagt oder hast Du mit ihm diese Spiele gespielt, weil Du damit auf seine Wünsche eingehen wolltest?
2.) Ist Sex mit ihm für Dich eher ein Mittel, ihn an Dich zu binden, oder hast Du mit ihm Sex, weil Du es wirklich möchtest und als erfüllend empfindest? Hat sich das im Laufe der Zeit verändert? Wenn der Sex nicht erfüllend ist: Was sollte sich aus Deiner Sicht ändern?
3.) Mir ist aufgefallen, dass Du zwar etwas über seine, aber nichts über Deine Bedürfnisse geschrieben hast. Kennt er die, redet Ihr darüber? Was hast Du bei einem anderen gesucht, das Du von ihm nicht bekommen konntest? Warum konntest Du es nicht von ihm bekommen? Habt Ihr vielleicht einfach nicht über Deine Bedürfnisse geredet? Es könnte sein, dass der wahre Grund seiner Enttäuschung darin liegt, dass Du es ihm nicht gesagt hast, sondern stattdessen versucht hast, es Dir woanders zu holen. Vielleicht hattest Du aber auch einfach das Gefühl, dass Deine Bedürfnisse in Eurer Beziehung gegenüber seinen zweitrangig sind. Könnt Ihr diesen Punkt gemeinsam klären?
4.) Zu seinen Fantasien: Dein Freund träumt davon, dass Du mit anderen Männern schläfst.
Vermutlich weißt Du, dass man einen Mann, dem es Lust bereitet, wenn seine Frau ihn demütigt, indem sie Sex mit anderen Männern hat, als Cuckold bezeichnet. Cuckolds empfinden es oft als erleichternd, dass ihre Frau zwar fremdgeht, weil sie es im Bett nicht „bringen“, die aber trotzdem nicht verlässt. So haben sie das Gefühl, auch als sexueller Versager (was oft eher eingebildet ist) eine stabile Beziehung führen zu können. Ich will diese Fantasien gar nicht verteufeln. Sie können lustvoll sein, aber sie können eine Beziehung auch sehr belasten. Und in Eurem Fall ist sehr auffällig, dass es ihn anscheinend mehr belastet als Dich. Es sind seine Fantasien, aber er ist derjenige, der nach dem Sex extrem niedergeschlagen ist.
Du wirst Dich vermutlich gefragt haben, warum das so ist, und warum Dein Fremdgehen ihn anscheinend überhaupt nicht anmacht, sondern einfach nur enttäuscht.
Die Frage ist: Ist er wirklich ein Cuckold?
Es könnte natürlich sein, dass es so ist und er es einfach noch nicht akzeptiert hat. Vielleicht gibt es aber auch eine andere Erklärung. Dein Freund ist im Gegensatz zu Dir, aber auch im Gegensatz zu vielen anderen Männern seines Alters sexuell eher unerfahren. Es könnte sein, dass er ausschließlich wegen seiner Unerfahrenheit, und nicht weil er glaubt, für ewig im Bett ein Versager zu sein, ein Gefühl der sexuellen Unterlegenheit empfindet, das er aber im Gegensatz zu einem „echten“ Cuckold gern überwinden würde. Möglicherweise hat er Angst, dass er Dich aufgrund seiner Unerfahrenheit nicht wirklich befriedigen kann, dass andere das besser können, und dass Du ihn deswegen irgendwann verlassen könntest. Vielleicht versucht er durch Eure Spiele, wie ein „echter“ Cuckold diese Angst abzureagieren und in etwas Lustvolles umzuwandeln, aber es gelingt ihm nicht. Möglicherweise fühlt er sich deswegen hinterher so schlecht, weil es ihn gar nicht befriedigt, weil es eben doch nicht seinem Wesen entspricht, sondern weil er einfach nur durch andere oder über das Internet darauf gekommen ist, ein Cuckold zu sein. Das Internet könnte auch eine Erklärung für seine Fantasie sein, zum Oralsex mit anderen Männern gezwungen zu werden. Das Netz ist voll mit derartigen Pornos. Wenn er nicht bisexuell ist, wird er vermutlich nicht von selbst auf diesen Gedanken gekommen sein.
Heranwachsenden Männern wird oft vermittelt, sie müssten auch im Bett tolle Kerle sein, einen großen Schwanz haben, lange beim Sex durchhalten, usw. Auf die Idee, dass guter Sex von beiden Partnern abhängt, und dass nicht jede Frau im Bett das Gleiche braucht, kommen sie nicht unbedingt von allein. Also: Vielleicht ist sein Gefühl, Dir nicht das geben zu können, was Du brauchst, gar nicht so ganz unbegründet. Und zwar nicht, weil er generell schlecht im Bett ist, sondern schlicht und ergreifend, weil er gar nicht weiß, was Du - genau Du -brauchst, und weil er vielleicht glaubt, dass man als Mann einfach generell wissen muss, was Frauen brauchen und nicht danach fragen darf.
Kennst Du Deine Bedürfnisse selbst wirklich gut und kannst Du sie ihm so vermitteln, dass er sich dabei nicht wie ein Trottel fühlt? Das wäre sehr wichtig, denn es geht in Eurer Beziehung um Euch beide. Auch Deine Bedürfnisse zählen. Vielleicht verbessert sich dann auch sein Selbstbewusstsein. Ich will Dir allerdings nicht versprechen, dass seine Fantasien dadurch ganz verschwinden werden.