Wie in so vielen Threads hat man fast ein bisschen Furcht, offen über eigene Erfahrungen zu schreiben. Ohne Schubladen scheint eine Diskussion über ein solches Thema scheinbar doch nicht zu funktionieren. Na, sei's drum. Wer die Schublade braucht, darf sich gern die passende für mich aussuchen und sich ihrer bedienen.
Ich bin seit über 11 Jahren verheiratet, zusammen sind wir seit 17 Jahren und leben nun seit etwa 1-2 Jahren in einer offenen Beziehung. Mangelnde Verbindlichkeit, Bindungsängste oder ähnliches wird man uns somit kaum unterstellen können.
Unsere Beziehung haben wir geöffnet, WEIL wir uns lieben, nicht obwohl wir das tun. Ohne die Öffnung unserer Ehe hätten wir diese beenden müssen, und das wollte keiner von uns. Klingt kompliziert, ist es aber nicht. Lasst es einfach mal so stehen.
Unsere Erfahrungen...
Meine ist die, dass es anfangs durchaus schwierig war, derart neue Wege zu gehen. Die Angst, meinen Mann zu verletzen, hat mich oft begleitet. Ich glaube auch nicht, dass es ihm sehr leicht gefallen ist, diese Entscheidung mit mir zu treffen. Ich wusste zu Beginn oft nicht, wieviel Offenheit gut ist, wo ich freimütig und wo besser diskret sein sollte. Es kristallisierte sich im Laufe der Zeit heraus, dass ich ihn zumindest da informiere, wo er terminlich betroffen ist, ansonsten jedoch besser nicht allzu sehr ins Detail gehe. Faustregel: Wenn er fragt, bekommt er Antwort, fragt er nicht, will er's nicht wissen.
Inzwischen denke ich, dass sich viele seiner anfänglichen Ängste und Befürchtungen (auf-)gelöst haben. Wenn eine Beziehung erst so spät geöffnet wird, wird man natürlich immer wieder von - teils anerzogenen und von der Gesellschaft vermittelten - Verlustängsten geplagt. Hier muss die Konfrontation mit eben jenen Ängsten und die Erfahrung zeigen, dass sie unbegründet sind. Ich bin immer noch da, und langsam wird es ruhiger, selbstverständlicher und mein Mann interessierter und offener.
Möglicherweise ist dem der Umstand gar nicht so abträglich, dass es bisher tatsächlich "nur" um Sex ging. Für das "mehr", das ich mir wünschen würde, hat sich bisher einfach noch nicht der/die richtige gefunden. Aber das ist ok so, ich erzwinge nichts und genieße den Moment.
Der Gedanke, der sinngemäß weiter oben schon geäußert wurde, dann könne man(n)/frau wohl nicht wirklich tief lieben, erscheint mir so abwegig, dass ich mir die Puste spare zu widersprechen. Es brächte auch nichts, jemand Außenstehenden von der Intensität meiner Gefühle überzeugen zu wollen. Hier darf gern jeder glauben, was er möchte. Ich bin mir meiner tiefen romantischen wie leidenschaftlichen Liebe zu meinem Mann gewiss und umgekehrt seiner genauso. Und aus vergangener Erfahrung weiß ich, dass ich zu genau so leidenschaftlicher Liebe auch - parallel - zu einem/einer anderen fähig bin, ohne dass dadurch die Liebe zu meinem Mann in irgendeiner Art und Weise abgeschwächt würde. Ich liebe auch meine beiden Söhne gleich stark und glaube nicht, dass die Geburt meines zweiten Sohnes die Liebe zu meinem ersten irgendwie beeinträchtigt hat. Und auch wenn diese Liebe natürlich nicht romantischer Natur ist, halte ich sie dennoch für durchaus vergleichbar.
Abschließend würde ich - frech von mir auf andere schließend - nicht davon ausgehen, dass sich irgendwer aus Leichtfertigkeit oder "Jux und Dollerei" in eine offene Beziehung stürzt. Das Leben geht sonderbare Wege, und gelegentlich findet man sich in einer Situation wieder, die Maßnahmen erfordert, die man sich zuvor nicht hätte vorstellen können.
Meine tiefe Bewunderung gilt allen Männern und Frauen, die aufrichtig, selbstlos und unabhängig lieben können, ohne Besitzdenken und Eifersucht, dennoch verbindlich...auch mehrere Partner. Ich glaube, es gehört einiges an Lebenserfahrung, Selbstreflexion und Selbstbewusstsein dazu, gegen die gesellschaftliche Meinung und Anerkennung einen solchen Weg zu gehen. Wir als Ehepaar stehen da noch ziemlich am Anfang und haben noch viel zu lernen. Aber es ist unser Weg, und wer immer glaubt, sich eine Meinung über uns bilden und uns gar be- oder verurteilen zu müssen, dem sei dies unbenommen. Die o.g. Schubladen stehen zur freien Verfügung.