Was für ein Tag!!
Meine Lieben!
Bevor ich anfange, Euch zu erzählen, sollt Ihr wissen: ICH BIN FREI!!
Und die zweite gute Neuigkeit: Ich bin bei Havarie!
Und ich danke Euch so sehr für Eure Unterstützung, Eure coins, den Mut, den Ihr mir zugesprochen habt, ach für ALLES. Ihr seid bombastisch!
Aber der Reihe nach (und heute gibt es viel zu erzählen):
Kennt Ihr solche Tage, an denen mehr passiert, als sonst in einem Jahr?
Heute war so ein Tag!
Der Anwalt hat Euch ja sicherlich erzählt, dass ich gestern noch dem Haftrichter vorgeführt wurde. Mann, das war vielleicht eine große Scheiße!
Da von meinen "lieben" Leipziger Scheuklapp-Eltern, diesen Pennern, keiner in der Lage war, mal eine bescheuerte Geburtsurkunde hierherzufaxen, verlief der Termin völlig dämlich.
So entschied das Hohe Gericht, also der Vorsitzende Richter der 1. tierischen Strafkammer des Landgerichts Berlin, Tegeler Weg, dass wegen Fehlen jeglichen Altersnachweises und Fluchtgefahr ich bis zur Hauptverhandlung in U-Haft bleiben müsse.
Mein Anwalt, der Vollpfosten, kriegte das Maul nicht auf, und ich konnte auch nicht viel ausrichten, zumal ich ja bis zum Hals in Ketten gelegt war. Schöne Scheiße!!
In der Zelle nahm man mir dann glücklicherweise die Ketten wieder ab und da ich keine Lust hatte, hier bis zum Sankt-NimmerleinsTag zu versauern, beschloss ich die große Flucht!
Kein Mensch hatte berücksichtigt, dass die ollen Gitterstäbe ja so weit auseinanderliegen, dass ich da ohne große Probleme zwischen ihnen hindurchflutschen konnte. Sie wollten es quasi nicht anders.
Aber das stand ich da nun vor dem Knast. Hinter mir schrillte laut der Alarm los
, und so nahm ich meine Beine in die Hand und rannte los, was das Zeug hält! Ich zitterte am ganzen Leib, das Herz raste mir bis zum Hals, und ich rannte und rannte und rannte. Und dann versteckte ich mich und dann rannte ich wieder.
Immer an der Wand lang pirschte ich mich wieder in die City und war völlig entsetzt, als ich im Schaufenster eines Elektroladens einen Fernseher sah, in dem gerade die Tagesschau lief. Das war ja ich!
Und sie fandeten bereits alle nach mir! "Alien" nannten sie mich, nur weil ich nicht so aussehe wie sie, halt ein wenig anders bin, speziell eben.
Ihr ahnt ja nicht, wie elend ich mich fühlte. Schrecklich ungeliebt, fehl auf dieser Welt und völlig verzweifelt.
Und ich wusste überhaupt nicht mehr, wie ich weitermachen sollte. Zu Havarie konnte ich nicht, weil ich ja das Geld für die Pizza nicht organsiert hatte, und jetzt kam auch noch diese Falschgeldgeschichte und die Flucht aus dem Gefängnis dazu.
Ich sah einfach keinen Ausweg mehr und wusste ich plötzlich: Ich will nicht mehr länger leben!
Ich lief also völlig geknickt zum nächsten S-Bahnhof und legte mich dort auf die kalten Gleise und wartete ... und wartete und wartete ...
Und kein Zug kam, es kam überhaupt kein Zug .... Aber ein Mann kam
und fragte, was ich hier machen würde und erklärte mir, dass an der Strecke gerade gebaut wird und dass ich warten könne, bis ich schwarz werde (als ob ich das nicht schon wäre!), aber auf einen Zug könne ich lange warten. Das gibt es doch nicht! Ja, ein Unglück kommt selten allein!
So suchte ich mir das höchste Gebäude in der Nähe aus und kletterte bis zum obersten Stockwerk. Aber als ich so in die Tiefe blickte, die mir ihren dunklen Schlund entgegenstreckte, verließ mich schnell der Mut.
Denn eigentlich bin ich ja ein kleiner Schisser und der Gedanke, wie ich da unten als B-Meisen-Mus lande, behagte mir gar nicht. Außerdem musste ich plötzlich an Euch denken. Wie traurig ihr wärt und dass Euer Leben ja dann schlagartig auch keinen Sinnn mehr hätte, wenn es mich nicht mehr gäbe!
Lange Rede, kurzer Sinn: Ich beschloss mein Ableben noch eine Weile zu verschieben und stieg wieder ab aus dem hohen Bürogebäude, das mich beinahe mein Leben gekostet hätte.
Erschöpft wie ich war, irrte ich durch die Straßen, bis ich an eine kam, die "Klosterstraße" hieß. Und plötzlich passierte es: Ich sah ein Licht!!
Und ich folgte diesem Licht und kam in einen Garten, in dem ich ein Kreuz stehen sah, auf dem geschrieben stand:
Nach des Lebens Sorgen,
Nach des Grabes Nacht,
Tagt ein schöner Morgen,
In des Himmels Pracht.
Dieser Satz veränderte mein ganzes Leben, denn so fand ich zu Gott!
Ich erinnerte mich, dass meine Knastbrüder und -schwestern wilde Geschichte erzählt hatten, von wegen, dass es in Berlin geheime Orte geben solle mit meist schummeriger Beleuchtung, an denen mindestens ein Kreuz aufgestellt sein sollte.
Wobei mich das alles ein wenig verwirrte, denn offensichtlich schien es da zwei verschiedene Parteien zu geben. Ich kenne mich ja damit nicht so gut aus, aber es war ungefähr so, dass die eine Gruppe wohl einem Josef oder Jesus (oder so ähnlich) folgt und die andere einem anderen Apostel oder Jünger oder Evangelist oder so,
was weiß ich, wie der noch hieß, Markus, Petrus oder Andreas oder irgendsowas in der Art, ich glaube "Andreas" hieß der zweite. Und auf alle Fälle sollte man an all diesen Kreuzen seine Erlösung oder Erfüllung finden. Oder so ähnlich. Mann, warum habe ich auch mal wieder nur mit einem Ohr zugehört, ich Spacko!
Egal, so stand ich also mit offenem Mund vor diesem Kreuz und wurde von Innen wohlig warm durchflutet.
Eine Klosterkirche war da auch gleich gegenüber. Und da kam mir die Idee mit dem Kirchenasyl, ich Cleverle! So hatte ich auch das Problem mit der Ringfahndung leicht gelöst und ich wusste: Für hier und heute war ich in Sicherheit!
Ich huschte also in diese Klosterkirche und versteckte mich erst einmal hinter einer Kirchenbank (nur für den Fall, dass man mir doch auf den Fersen war! Man weiß ja nie!). Aber irgendwann war ich soo hundemüde, dass ich mir ein schönes Plätzchen suchte, von dem aus ich beim Einschlafen noch gut das Kreuz sehen konnte, von denen in der Kirche eben auch eines hing.
Meine letzten Gedanken waren dann auch ganz friedlich und ich schlief die ganze Nacht wie ein Stein.
Heute früh dann wurde ich wach, als es schon längst hell war, weil die Klosterkirchentüre sich knarrend öffnete. Erst erschrak ich höllisch, weil ich dachte, das wäre die Polizei, die mich wieder in den Knast bringen will, aber es war nur eine steinalte und ziemlich schlecht geschminkte Nonne, die eine Kerze anzünden und nach dem Rechten sehen wollte.
Sie entdeckte mich auch sofort, nahm mich zu sich und fragte mich, was ich hier suchen würde. Und weil sie so gutmütige Augen hatte, kam ich ins Plappern und erzählte ihr meine ganze Geschichte von Anfang an und dass ich eigentlich ein gutes Herz hätte
und jetzt zu Gott gefunden hätte, und auch Erfüllung und Erlösung möchte und außerdem gerne Kirchenasyl (gefälligst!).
Die Schwester hörte mir aufmerksam zu, ohne einen Ton zu sagen. Erst als ich fertig war, erzählte sie mir, dass sie die Oberin des Ordens der Barmherzigen Havarianerinnen war und hier das Sagen hätte.
Sie sagte mir auch, dass es sicherlich am besten wäre, wenn ich wieder zurück zu meiner Gastmama gehen würde, weil ich da in sicheren Händen wäre, zu Essen und Trinken bekäme, es warm hätte. Außerdem solle ich die Verantwortung für die Dinge übernehmen, die in den letzten Tagen schiefgelaufen wären. Sicherlich würde ich deshalb nicht gesteinigt und sicherlich ließe sich das alles irgendwie regeln.
Ach, war die süß!!
Ich fühlte mich hinterher so was von erleichtert! Das könnt ihr Euch nicht vorstellen. Und plötzlich wirkte sie auch gar nicht mehr so furchtbar alt und schlecht geschminkt.
Was dann passierte, ist schnell erzählt: Die nette Schwester Oberin rief mir einen Fahrservice, drückte mir zwanzig Euro Taxigeld in die Hand, segnete mich (etliche Male) und setzte mich ins Taxi. Ich werde sie nie vergessen, wie sie da an der Kirchentüre stand und mir noch lange nachwinkte ...
Keine zehn Minuten später stand ich dann bei Havarie vor der Tür und wir fielen uns heulend in die Arme.
Ich wollte Euch das alles erst einmal wissen lassen, bevor ich versuche, hier ein wenig zur Ruhe zu kommen. Havarie muss ich ja auch erstmal berichten, was alles so los war die letzten Tage.
Ich melde mich - wie immer - sobald es Neuigkeiten gibt.
Von Herzen,
Eure geläuterte und demütige B-Meise