Plakatives
Meine Lieben,
tja, was gibt es heute zu erzählen?
Am Ende des Tages fühle ich mich - gelinde gesagt - ein wenig plakativ.
Ich war ein wenig traurig, weil mein Abschied in Berlin sich langsam dem Ende nähert.
Ich glaube, die Havarie ist auch ein wenig traurig, obwohl sie mir heute früh angedroht hat, wenn sich nicht bald jemand finden würde, der mich aufnimmt, würde sie mich auf eine Bohrinsel in der Nordsee schicken.
Also wenn ihr mich fragt: Sie meint das nicht so ...
Aber der Reihe nach:
Ich saß hier also heute früh - gedanklich - schon halb auf meinen gepackten Koffern, nahm mir aber vor, mich nicht der Depression hinzugeben, sondern aus den mir verbleibenden Tagen noch ordentlich was zu machen,
auch wenn die Havarie mich nicht begleiten konnte, weil sie ja schließlich arbeiten muss.
Als sie sich in aller Herrgottsfrühe von mir verabschiedete, mich zum Abschied noch zärtlich auf den Mund küsste
und mir einen dicken Meisenknödel in die Hand drückte, der mich durch den Tag bringen sollte, sagte sie noch, ich solle auf mich aufpassen, mich nicht vom Fleck rühren (damit nicht wieder was Doofes passiert) und auf die Zeichen achten.
Mir wurde allerdings schnell langweilig und Zeichen gab es außer dem Ticken es Weckers auch keine.
Und da ich ja jetzt keine Höhenangst mehr habe, beschloss ich, mich aus dem Fenster abzuseilen und einen klitzekleinen Ausflug zu machen. Ich wollte nur ein wenig frische Luft schnappen, ein paar Schritte um den Block schlendern, ganz vorsichtig, weil die Polizei wegen der Falschgeldsache und meiner Flucht aus dem Knast ja immer noch hinter mir her ist. Keine Abenteuer mehr!
Ich hatte ja schließlich aus meinen Fehlern gelernt, auch wenn ich nicht die hellste Kerze auf der Torte bin ... (wie Havarie immer sagt).
Ehrlich gesagt, war mir unter freiem Himmel wirklich mulmig,
und zunehmend wurde ich entsetzter, denn tatsächlich waren Berlins Straßen gepflastert mit Fahndungsaufrufen, die mein Konterfei trugen, selbst in den kleinsten Gassen suchte man nach mir!
Was ich da alles zu sehen bekam, Ihr macht Euch kein Bild!!
Aber seht selbst:
Ich hatte es immer geahnt:
Ich bin ... geächtet!
Mann, machte mich das traurig!
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Aber bin ich wirklich faul, schamlos und naiv?
Und wenn ja, woher wissen die das?
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Also bisexuell bin ICH sicher nicht,
da sind sie auf der völlig falschen Fährte!!
Aber wer ihnen das "versoffen" gesteckt hat,
würde mich jetzt schon interessieren!
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Ein weiteres Fahndungsplakat!!
Ich erschrak mächtig,
mit welchem Aufwand man nach mir suchte
und wie detailliert die Beschreibung letztlich war!
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Und nur ein paar Schritte weiter reckte sich mir
auch schon der nächste Fahndungsaufruf entgegen!
Kriminelles Element ... Ach, wenn die wüssten,
wie sehr ich meine Schandtaten mittlerweile bereute!
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Ja, genau so fühlte ich mich ...
Und es wurde immer dunkler um mich herum!!
Wenn wenigstens Havarie an meiner Seite gewesen wäre!
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Die Beschreibung auf den Fahndungsplakaten wurden immer präziser.
Jetzt hatten sie sogar schon meinen Nachnamen: M, wie Meise ...
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Dass die Polizeibehörden sogar schon
von den intimsten Details
meines Privatlebens Kenntnis erlangt hatten,
schockierte mich dann doch!
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Da war wenigstens mal was dabei, das mir schmeichelte.
"Electric Girl" - Das soll ab jetzt mein Spitzname
in der Berliner Unterwelt sein!!
Das klingt doch echt cool!
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Einen kleinen Stimmungsaufheller bekam ich dann,
als ich die mutmachenden Plakate der B-Meisen-
Friedensaktivisten erblickte:
Nein, es ist nicht meine Schuld,
dass das Leben nicht gelingt!!
Davon war ich auch überzeugt!
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Auch hier wurde mir Mut zugesprochen!
Ich scheine in Berlin einige Freunde zu haben!
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Die Friedensaktivisten hatten sogar eine super Aktion geplant:
"Tiere streicheln Menschen" (er freut sich schon, ich mich auch ...)
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Selbst die Schwester Oberin von den
Barmherzigen Havarianerinnen
hatte mich nicht vergessen
und ein Solidaritätsplakat für mich aufgehängt!
Ich war echt gerührt!
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Geschockt war ich allerdings, als ich jenes erblickte:
Das hatte Havarie in Auftrag gegeben, was ich an den
angegebenen Kontaktdaten unschwer erkennen konnte!
Das hätte ich nicht gedacht, aber ja,
ich habe es kapiert: Sie will mich endlich loswerden.
Und ganz am Schluss meines Ausfluges erblickte ich auch noch
einen Aufruf für meine Schwester, die A-Meise.
Na, meine Holde, wäre das nichts für Dich?
Da könntest Du mit Deinem Affen so richtig auf die Kacke hauen!
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