Bekenntnis eines unmoralischen "Moralisten"
Hier stehe ich, ich kann nicht anders,…
da mein Gewissen gefangen ist, kann und will ich nichts widerrufen, weil es gefährlich und unmöglich ist, etwas gegen das Gewissen zu tun. (Luther)
Nun, warum habe ich diesen Thread eröffnet?
Hinterfragt war das Verhältnis von Freiheit und Verantwortung, gemeint war die Freiheit des Einzelnen gegenüber sich selbst, aber auch die Freiheit des Einzelnen in seinem Tun gegenüber Mitmenschen und speziell in einer Partnerschaft.
Angefragt war:
die Sinnfälligkeit, alles zu leben, alles zu erleben, alles zu haben – in der Gefahr,
Werte zu zerstören, Träume, selbst Lebensträume zu zerstören,
die Sinnfälligkeit, die Egozentrik individueller Freiheit zu leben, in der Gefahr, einen Wert gemeinsamer Verbundenheit zu opfern, zu verraten, zu zerstören?
Nach eurer Meinung hatte ich gefragt. Nun haben mich Club-Freunde und einige Diskutanten des Threads aufgefordert, mich selbst zu positionieren, mich zu bekennen.
Einerseits habe ich in diesem Joyclub die unterschiedlichsten Charaktere kennen gelernt:
Freunde, die und deren Meinung speziell zum Ausleben von Erotik ich sehr schätze,
Eine, mit der ich eine Beziehung führte, mich mit ihr hier in einem Paarprofil gemeinsam bewegte,
Andere, deren Eigenmoral ich nicht teile.
Andererseits habe ich mich selbst befragt, mein eigenes Verhalten in all den Jahren hinterfragt:
Meine langjährig gewachsenen moralischen Regeln und Prinzipien in der Reflektion meines punktuellen Tuns, also die Diskrepanz zwischen moralischen Regeln und dem tatsächlichen Verhalten.
Theoretisch
kennen wir für Moral keinen Plural mehr, obgleich es ja sehr differenzierte Moralvorstellungen gibt.
Die alten Lateiner mit ihrer römischen Rechtsauffassung waren noch weise:
< mos > die Moral hatte mit < mores > einen Plural.
Moral wird heutzutage als sittliches Verhalten zum Imperativ, zum Gesetz über das zwischenmenschliche Verhalten „einer guten Absicht“ erhoben.
Dieser Denkansatz ist Unfug, ist so falsch wie die Annahme einer absoluten Wahrheit, ist aber sozial sinnvoll und mit diesem Sinn gerechtfertigt.
Sicher muss es Werte geben, die das zwischenmenschliche Verhalten als Grundsätze für Einzelne regeln. Denn der Mensch ist sozialbiologisch gesehen ein mehrheitlich auf Integration bedachtes Wesen, ein „Herdensäugetier“. Dieses sozialbiologische Verhalten impliziert ein allgemeines Wertesystem, wonach Individuen, die von einer statistischen Mitte abweichen, in dieses Korsett der Mehrheit, „in die Herde“ zurück geführt werden, die zu weit abweichen, zum Schutz der Mehrheit verstoßen werden.
Es gibt einen Bewegungsdruck zur Mitte. Jede Abweichung erfährt eine Gegenkraft, die man sich auch zeitlich gesehen als amplitudische Schwingung um einen Mittelwert verstanden denken kann.
Im Allgemeinen wird das durch Recht und Gesetz geregelt, aber auch durch mehr oder weniger freiwillige Integration jedes Individuums in das Wertesystem. Den völlig autarken Menschen gibt es nicht, so „trendy“ es auch ist, sich selbst als Individualist, gar als Protagonist zu bezeichnen.
Im Individuellen schafft sich jeder einen Ausgleich für eine Abweichung von „seiner Mitte“.
Jede Abweichung von der „Mitte der Seele“ erzeugt eine Kompensation, will eine Kompensation. Auch Sex kann eine Kompensation werden.
Die Amplitude des Erlebens, des Auslebens, der Empfindung ist bei jedem unterschiedlich.
Praktisch
habe ich nicht nur hier (trotzdem oder gerade deshalb Grüße an meine Freundschaften hier) Menschen kennengelernt, denen die Verantwortung gegenüber sich selbst, gegenüber ihren Partnerschaften oder Freundschaften, bedeutender ist, als ein Verbrechen zu begehen, Menschen, die reflektieren, mit hoher emotionaler Kompetenz. Das sind Leute, die eine innere Heiligkeit in sich tragen, die sie schwerlich verraten werden, so unterschiedlich ihre Auffassungen von erotischem Leben auch sind, ob Singles, oder in offenen oder festen Partnerschaften.
Aber auch habe ich Menschen mit einer, ketzerisch formuliert, emotionalen Flachheit kennen gelernt, denen nichts heilig ist, außer ihre eigene Helligkeit und ihre „innere Freiheit“, teilweise getrieben von einem unheiligen, unheimlichen Verlangen: Egozentriker, Narzissten, Leute mit oftmals mangelndem Selbstbewusstsein, fehlender Selbstmotivation, der Unfähigkeit, Befindlichkeiten zu verstehen und darauf zu reagieren.
In der Unfähigkeit, tragfähige Beziehungen aufzubauen, Freundschaften oder Partnerschaften zu pflegen, Beziehungsarbeit zu leisten, vor Misserfolgen und Trägheit flüchtend, flüchtend durch Lügen, durch schnelle Wechsel, durch Weglaufen, bezeichnen sie das als „innere Freiheit“.
Diese Leute spielen eine Rolle in einem Film, der nicht der ihre ist,
eine Rolle, die sie nicht einmal ausfüllen können.
Auch für eine Partnerschaft gilt das Integrationsprinzip, sollte es gelten. Der Zusammenhalt der Gemeinsamkeit in der kleinsten gemeinsamen „Herde“ wird gefährdet, wenn die Individuen dieser ihre individuelle Freiheit über die gemeinsame Verbundenheit der Partnerbeziehung stellen. Dann wird Partnerschaft sinnlos. Für mich ist es ein besonderes Erlebnis, erotische Wünsche und Fantasien innerhalb einer Partnerschaft auszutauschen und gemeinsam auszuleben, so „abgefahren“ sie auch seien. Und gerade in so einem hochsensiblen und hoch begehrlichen Bereich schafft diese Gemeinsamkeit des Austauschs und des gemeinsamen Erlebens eine unermessliche Vertrauensbasis zueinander.
Der innere Kreis muss frei von Lüge sein, sonst belügt man sich selbst.
Wenn ich mich selbst betrachte,
so sind wegbegleitende Prinzipien hilfreich und hinderlich zugleich.
Dass für mich „Schutzbefohlene“ zu den Unberührbaren gehören, schafft Vertrauen, Berechenbarkeit und Verlässlichkeit, schmälert allerdings die Zahl von Gelegenheiten begehrlichen Tuns.
Was soll die „Sportlichkeit“? Zwar ist jede anders und ein kleines Wunder der Natur; so manche sind immer ein warmes weiches Attentat wert,
doch keine hat den „Schlitz“ quer.
Auch was das Ausleben von Vorlieben anbelangt und wenn ich in meinem Profil hier auch keine angekreuzt habe, bin ich nahezu jeden Schritt gegangen, manchen so weit, dass ich weiß, wie weit ich für mich selbst nicht mehr gehen will. Allerdings war auch dieses Ausleben immer mit einem gemeinsamen Wollen, immer mit Verantwortung verbunden.
Und in einer Partnerschaft, die eben von höherer Wertigkeit ist als eine Affäre oder eine erotische Freundschaft, weil sie aus weit mehr als nur aus prickelnder Erotik besteht, würde ich auf diese oder jene Begehrlichkeit verzichten, die der Beziehung abträglich ist.
Und zu den Schutzbefohlenen gehören nicht nur Einzelindividuen, auch bestehende Partnerschaften (vgl. mein Beispiel Brecht – Lingen). Durch mein Handeln schlussendlich eine solche Beziehung zu beeinflussen, als „Sterbehilfe“ zu fungieren, ist nicht mit meinem Gewissen zu vereinbaren, so lange keine dringenden ernsthaften Absichten mit Perspektive angedacht sind. Tod oder Rettung einer solchen Angelegenheit habe ich immer den eigentlich Beteiligten überlassen. Das als rein „sportliche“ Tat, als persönliche Trophäe zu tun, ist für mich moralisch verwerflich. Wer so etwas tut, kennt den Wert einer Partnerschaft nicht, die ggf. jahrelang durch Hoch und Tief gegangen ist, kennt die Arbeit nicht, die tägliche Beziehungsarbeit, ist sicher selbst unfähig eine Beziehung zu führen oder in eine Beziehung Kraft zu investieren. Und selbst, wenn er letzteres auch eine Beziehung in Form einer Partnerschaft für sich nicht will oder ausschließt, bleibt die Verantwortung für die Tat des Zerstörens einer anderen.
Und wo bleibt der „unmoralische Moralist“?
Nun, die anderen habe ich alle genommen, die ich wollte und bekommen konnte. Und die ich nicht mehr wollte, wurden manchmal auch unsanft „abgelegt“. Ja, es gibt sie auch bei mir, die Piaget´sche Lücke zwischen moralischen Regeln und Verhalten, zwischen Wollen und Sein.
Und mitunter, wenn ich mir meine „Mitte der Seele“ zurückholen musste, wenn ich nach einem negativen Erlebnis, ein Vakuum lüften musste, habe auch ich sie „verschlissen“,
„die Mädchen aus verflossnen Tagen“ (H. van Veen).
Retrospektiv möchte man sich bei manchen erklären oder gar entschuldigen – wenn man doch die Handynummer nicht weggeworfen hätte.
Ihr fragt nach dem Sinn des Ganzen?
„Ein Dichter, der den Lebenden riet, auf nichts mehr zu bauen, als auf die Widersprüche,
besteht vor der Nachwelt, weil den Menschen in ihren bedrohlichsten Situationen gerade noch soviel an Ausweg bleibt.
Die Welträtsel werden nicht gelöst, aber wehe der Welt, die die Anstrengungen verweigert,
so zu leben, als könnte man sie lösen.“
(Extro der Brecht-Biografie von Werner Mittenzwei)