Gibt es Moral in der "Unmoral"? (frei nach Miller)
Nun, meine Lieben, habt Dank für die zahlreichen Meinungsäußerungen zu der von mir aufgeworfenen Fragestellung,
die doch – wie zu erwarten war – ziemlich differieren.
Ich möchte das auch meinerseits vorerst völlig unkommentiert lassen und mich selbst im Hintergrund halten.
Dennoch will ich einigen beipflichten, die
den Bezug auf die Eingangsfragen wieder herstellten:
Ist es sinnvoll, alles zu leben, alles zu erleben, alles zu haben – in der Gefahr,
Werte zu zerstören, Träume, selbst Lebensträume zu zerstören?
Sind Gelegenheiten zu nehmende Begehrlichkeiten, oder führt Negation, mitunter selbst Beschränkung, Selbstbeschränkung, zu einer höheren Qualität des Lebensgefühls?
In welchem Verhältnis stehen Freiheit und die Verantwortung, mit dieser um zu gehen?
Ist es sinnvoll, in einer Partnerschaft die Egozentrik individueller Freiheit zu leben, diese über den Wert der gemeinsamen Verbundenheit zu erheben – in der Gefahr, diesen Wert gemeinsamer Verbundenheit zu opfern, zu verraten, zu zerstören?
Bewusst hatte ich das Thema weit abgesteckt, um zu sehen, welche Resonanz dieses Thema erfährt, auch um die Diskussion nicht von Anbeginn zu beschränken.
Ich möchte das jetzt konkretisieren:
Ich selbst halte nicht viel von „gutbürgerlicher Scheinmoral“, von zum Dogma erhobenen veralteten Werteparametern. Für Anhänger dieser Theorien gilt selbst die Mitgliedschaft im Joyclub sicher als moralisch verwerflich.
Es geht mir um eine Wertediskussion in einem für viele scheinbar wertfreien Raum:
Einerseits sollte man seine Fantasien, seine inneren Begehrlichkeiten ausleben. Zu viel Verdrängung führt bekanntlich zu einem Gefühlsstau, der schlimmstenfalls in psychischen Irritationen endet.
Andererseits kann ein Umgang mit Begehrlichkeiten nicht völlig wertfrei sein.
Der sicher vielen bekannte Henry Miller hat diese Frage schon in seiner Schrift „Moral der Unmoral“ aufgeworfen.
Wie weit sollte man gehen – mit sich selbst und in der Verantwortung gegenüber anderen?
Jedem stellt sich diese persönliche Wahrheit bekanntlich anders dar.
Einige Anregungen:
1.) Viele leben erotische Mehrsamkeiten aus, sei es zu dritt oder auch in größeren Gemeinschaften. Dabei können sich tiefere Gefühle aufbauen. Wie geht man damit um, wenn einer der Beteiligten merkt, dass die innere Verbundenheit eines Paares irritiert wird?
2.) Es soll „Herzensbrecher/innen“ geben, die hemmungslos und ohne irgendwelche Skrupel „ihre Freiheiten“ ausleben und dabei bei anderen mitunter ein emotionales Chaos hinterlassen, sich sogar dessen rühmen.
Der junge Brecht war so einer: Selbst erotisch verklemmt und in Zwängen befangen war eine seiner ersten zaghaften (rücksichtslosen ???) Liebeleien die Frau von Theo Lingen, deren Ehe dann geschieden wurde. Brecht kümmerte sich dann fortan nicht mehr um diese Frau, weil sie war dann für ihn uninteressant geworden.
Lingen bezeichnete Brecht dann Zeit seines Lebens als: „größte Sau des Jahrhunderts“.
Der erfahrene alte Brecht sah sein eigenes Verhalten dann aus einem anderen Blickwinkel:
Er hätte das Paar „den Weg durch die Tiefe gehen“ lassen müssen,
den Ausgang durch das Paar selbst bestimmend.
3.) Eine sehr gute Freundin die an „ihre Grenzen kommen“ wollte, ging offenbar ohne eigene Selbstkontrolle zu weit. Selbst devot orientiert, ließ sie sich letztendlich derart (von m. E. verantwortungslosen Herren) „dominieren“, dass jegliche soziale Orientierung verlustig war und ihr letztendlich nur durch jahrelange psychiatrische Therapie geholfen werden konnte.
Diese Erinnerung wird sie allerdings lebenslang behalten.