Esther und Alice reloaded
Jincandenza:
Die Ängste, die hinzukommen, wenn du dann wirklich auch ökonomisch von einer Frau abhängig bist (ohne hinreichendes Instrumentarium an manipulativen Techniken wie oben erwähnt), sind dann nur das I-Tüpfelchen.
Das Schlimmste aber ist: Es wird nicht als sonderlich sexy wahrgenommen.
Sie: "Und? Was machst Du so beruflich?"
Er: "Äh, naja, ich lese Marcuse, während die Wäsche schleudert."
Ich kann bei näherer Betrachtung den Kontakt mit Frauen, die kein Selbstbewusstsein zu einem qualifizierten Geschmack entwickelt haben, nicht vermissen. Die Frau, die sich gerade glücklich in mich verliebt, hätte sich innerlich enttäuscht abgewendet, wenn sie mich so erleben würde, dass ich nur 'unter die Haube kommen' möchte und deshalb in vorauseilendem Gehorsam stupiden Rollenerwartungen gerecht zu werden versuchte.
Etliche bedeutende Werke wären übrigens ohne Mäzenatentum in Beziehungen kaum je entstanden.
Es geht hier, im Thread, allerdings um die Reife Entscheidung für qualifizierte Beziehung mit (einem) wertgeschätzten Menschen. Ob ich für meine Liebste sexy bin, wenn sie von der Arbeit kommt, hat mit der Gestaltung von beiden Seiten ebenso zu tun wie im Falle, dass der Kerl die Kohle ranschafft. Nach außen, auf 'Party, ist hier nachgerade egal.
Selbstredend,
@******ina, nützen diese Auseinandersetzungen auch der TE. Die Nachfrage bestimmt das Angebot. (Insofern,
@****on, ist die Wahl aggressiver Partnerinnen möglicherweise die der jeweils intellektuell ausdrucksstärkeren gewesen?)
Ich möchte anregen, allen treffend und einleuchtend wirkenden Beschreibungen, die sich hier gesammelt haben, nicht zu viel zwingende Bedeutung à la schwanzbeißender Katze beizumessen. Gestaltungsmittel für die Beziehung zu sich selbst und zu Anderen können frappierend elegant und charmant sein. (Hinter der individuellen wie kollektiven Mutlosigkeit, sich diese beiden Persönlichkeitszüge zuzutrauen und sie zu entwickeln, verstecken sich Unterdrückungsverhältnisse auf allen Ebenen nahezu ungebrochen.) Das ist zunächst unabhängig von Herkunft und Schicht; es hat allerdings mit der
Qualität persönlicher Bildung zu tun.
So zutreffend die hier entwickelten Bilder von Muster-Verhaftung sein mögen: Sich ihnen ausgeliefert zu fühlen, verkennt gerade z.B. die eigentliche Leistung der insgesamt durchaus problematischen Äußerungen von Esther Villar: Sie hatte den Mut, in einer an sich sehr fruchtbaren Situation gesellschaftlicher Diskussion unbequeme Positionen zu entwickeln und Sichtweisen gegen den Strich zu bürsten.
(Dazu möchte ich anmerken, dass zwar die Schriften von u.a. Alice Schwarzer und Esther Villar für die Einschätzung aus heutiger Sicht einigermaßen präsent sind, nicht aber das Konzert von Blödzeitung und Co., die mit Wucht ebenso wie mit Finesse die Auseinandersetzung geschürt haben. Eine Zusammenstellung dieser medialen Zumutungen hätte die Stärke von Großstadt-Telefonbüchern...
Ebenso betrüblich wie lehrreich war, dass sich die so bedrängten Stimmen der zweiten Frauenbewegung gegenüber einer Esther Villar in der Diskussion aus der Ruhe haben bringen lassen. Ausfallende, personalisierende Negativ-Kritik bis hin zur Verketzerung haben seither denen, die von der Zwietracht profitieren ('Teile und herrsche') leicht gemacht, dass eine hohe Rate von Depression und Suiziden bei leistungsstarken Arbeitnehmerinnen gesellschaftlich akzeptiert ist und nicht zu kollektiver Verweigerung führt.)
Ich muss noch Schnecken sammeln und Marcuse ...