Die Kandidaten
Kandidat 1:
Jürgen
Der Schlag auf das Auge zog einen tiefen Cut nach sich. Die Fäuste seines Gegners gingen immer wieder auf ihn nieder, wie Schlaghämmer. Schwarze Schatten tanzten vor seinen Augen. Seine Deckung war kurz davor zusammenzubrechen. Mit letzter Kraft hielt er die Arme vor den Körper. Unnachgiebigkeit und Unbarmherzigkeit loderten in den wütenden Augen seines Peinigers. Der Ringrichter bemühte sich die Kontrahenten auseinander zu bringen.
Doch der Angreifer bleckte nur seinen schwarzen Mundschutz und drückte Jürgen eine weitere Rechte rein. Jürgens Trainer stand davor das Handtuch zu werfen. Er hielt es hoch und wartete Jürgens Reaktion ab. Der kniete auf dem Ringboden und spuckte Blut. Ab einem gewissen Zeitpunkt, dann, wenn der Schmerz dich nicht mehr fickt, wird er zu einem Teil von dir. Dann kommt die zweite Luft. Er dachte an die Worte seines Vaters, der selbst Boxer gewesen war. Um Jürgens zugeschwollene Lippen spielte ein irres Lächeln.
Er stand wieder auf und ließ die Deckung unten. "Komm", forderte er seinen Gegner auf. "Komm schon". Sein Gegner ließ sich nicht zweimal bitten und ließ es Schmerzen regnen. Doch die nahm Jürgen schon nicht mehr wahr. Seine Gedanken waren woanders. Bei einer Frau, die er im Internet kennengelernt hatte. Ihr würde es nicht gefallen, wenn er mit zugeschwollenem Gesicht vor ihr saß. Das war unverzeihlich. Das war die Schuld seines Gegners. Und dann wurden die Schläge schwächer, ihre Frequenz niedriger. Jürgens Zeit war gekommen. Seine Arme gingen hoch und seine Rechte folgte auf die Linke, dann wieder die Rechte, wieder die Linke.
Mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit, die sogar seinen Trainer vor Rätsel stellte. So hatte er Jürgen noch nicht erlebt. Der Gegner wankte nach gefühlten zwei Minuten unter der Wucht der Schläge. Und dann kam die dritte Minute. Wie ein nasser Sack sackte der Gegner in sich zusammen und blieb auf dem Ringboden liegen.Er wurde ausgezählt und Jürgen ging als Sieger durch K.O. aus dem Ring.
Seine Ärzte würden ganze Arbeit leisten müssen. Denn wenn es gut lief, dann hatte er noch heute Abend ein Date mit der Frau aus dem Internet. Ohne sich feiern zu lassen, ging er direkt in die Kabine. Dort hatte er seinen Laptop stehen. Er fuhr das Betriebssystem hoch und rief den Browser auf. Die Startseite war die Homepage seiner Boxakademie. In den Lesezeichen befand sich das Erotikportal. Dort loggte er sich ein und öffnete seine Post. Die Frau hatte ihm Ort und Termin genannt. Drei Ärzte machten sich an den zahlreichen Blessuren zu schaffen, die Jürgens Körper zierten.
"Gebt euch Mühe. Ich habe heute ein Date!"
Kandidat 2:
Michael
Mündungsfeuer blitzte in den Fensterrahmen des dunklen Gebäudes. Michael deutete mit dem Finger zur Seite. Seine Soldaten würden die rechte Flanke einnehmen, während der Trupp des Majors die Linke absicherte. Einer von Michaels Unteroffizieren stolperte über einen dicken Ast im Unterholz und legte sich mit dem MG des Trupps der Länge nach hin. Michael schloss zu ihm auf, half ihm hoch und legte sich den Gurt des MGs um. Er stützte den Kameraden samt Rucksack und lief mit ihm gemeinsam auf die naheliegende Bucht zu. Dort bauten sie das Dreibein auf und legten das MG darauf. Michael lief zu einer weiteren Stellung, wo ein topfitter Elitetrupp auf ihn wartete.
Das Sperrfeuer der Maschinengewehre wurde eröffnet. Michael und seine Fallschirmjäger liefen vorwärts in das Dunkel. Dann drangen sie in das Gebäude ein. Im Innern wurden sie von zahlreichen Feinden empfangen. Diese gingen mit Fäusten, Knüppeln und Pistolen auf die Eindringlinge los. Gummigeschosse flogen durch die Luft.
Nach kurzer Zeit hatte Michaels Gruppe das Gebäude eingenommen. Zwölf feindliche Soldaten lagen auf dem Boden. Getroffen durch die zielsicheren Jäger, die geschult im Häuserkampf, den Panzergrenadieren weit überlegen gewesen waren. Schwerer würde es werden, bei einem echten Einsatz, mit Gegnern, die auf gleichem Niveau kämpften.
Der Major kam durch die Vordertür in das Gebäude.
"Sehr gut Herr Leutnant."
Michael hatte Zweifel.
"Ich denke, das hätte schneller gehen können."
Einer von Michaels Soldaten lag auf dem Boden. Getroffen durch Gummigeschosse und mit blauen Flecken übersät durch die Schläge der Gummiknüppel.
"Eine löbliche Einstellung, Herr Leutnant. Wir können nachher im Offizierskasino drüber reden."
"Keine Zeit, Herr Major. Ich habe später ein Date", sagte er. Das Wort "wahrscheinlich", kam ihm gar nicht in den Sinn. Er zog sein Telefon aus dem Rucksack. Und tatsächlich hatte er eine E-Mail-Benachrichtigung bekommen. Ort und Termin standen drin.
Er wollte sie. Und er würde sie nehmen. Noch heute Nacht. Und er hatte nicht vor, sie zu teilen. Deshalb würde es auch zu keinem Dreier kommen, so wie sie ihm ihren Wunsch durch die Blume angedeutet hatte. Mit einem anderen Mann das Bett zu teilen, war für Michael unvorstellbar. Keine Frau dieser Welt konnte ihn dazu bringen, Derartiges über sich ergehen zu lassen. Nicht einmal sie. Davon war er absolut überzeugt ...