Mein Sohn
ist homosexuell. Merkwürdigerweise ertappte ich mich bereits dabei,
zu ahnen, dass er es sei, als er noch im Kindergartenalter war. Warum?
Er verhielt sich nicht, wie die anderen Jungs, kein Rowdiehaftes "typisch Jungs" -Verhalten, er spielte ausschließlich mit Mädchen.
Auch in seiner Schulzeit gab es kaum Jungs-Freundschaften.
Später , als er 16 war, fiel mir auf, dass wiederum nur Mädchen ihn umschwirrten,
wie Motten das Licht. Ständig waren ganzen Horden (10 waren durchaus keine Seltenheit) von Mädchen bei uns als Übernachtungsgäste in unserem Haus.
Wir waren gerade von einer erzkatholischen Dorfgemeinde im Münsterland nach Berlin gezogen und kaum dort angekommen, hatte er wieder eine weibliche "" Fangemeinschaft" um sich herum versammelt.
Mir fiel zu diesen Anläßen eine Parallelität aus meiner Jugend ein: Auch ich war das "Groupie" eines Jungen, der zudem mit weiblichen Attitüden kokettierte, ich weiß es nicht anders zu beschreiben, denn die allgemeine und leider verächtliche Bezeichnung widerstrebt mir und ist zudem klischeéhaft á la " La Cage aux Folles" (Ein Käfig voller Narren) von Harvey Fierstein. Niemand sprach es aus, aber jeder wußte, er ist homosexuell.
Mein Sohn hatte zwar nicht diese (und meiner Meinung nach ganz bewußt eingesetzte und kultivierte) Affektiertheit in seinem Verhalten, dennoch war gerade der Umstand, dass er von den Mädels regelrecht belagert wurde, der Anlaß ihn eines Tages darauf anzusprechen.
Ich fragte ihn, welches der Mädels denn seine Favoritin sei, und er antwortete
höchst erstaunt " Keine!". Ich fragte ihn, ob es sein könne, dass er nicht auf Mädchen, sondern auf Jungs stünde. Er wurde knallrot und fragte mich: "Mama, woher weißt du das?"
Das war dann sein Outing. Für mich absolut kein Problem, denn wie gesagt, mit dem Gedanken, das mein Sohn wahrscheinlich schwul sein könnte, hatte ich mich bereits in seiner Kindheit beschäftigt und da ich aus einer Familie stamme, die Schwulsein von jeher als völlig normal und nicht "andersartig" betrachtet hatte, konnte ich ihm die Sicherheit geben,
das er deswegen in keinster Weise abgelehnt wurde, etwas, dass in seinem schwulen Freundeskreis noch lange nicht selbstverständlich war, einer seiner Freunde wurde sogar von den Eltern rausgeworfen und "verbannt", weil sie nicht damit klar kamen, dass ihr Sohn schwul ist.
Er berichtete mir, dass er in seiner Pubertät bereits gemerkt hatte, dass ihn Mädchen sexuell völlig kalt ließen und er sich erst sehr schwer damit getan habe, zu akzeptieren, d a s er schwul ist, weil er die negativen Aspekte, die in der Gesellschaft immer noch vorherrschen, fürchtete.
Seinem Vater, von dem ich mich getrennt hatte, als unser Sohn 6 Jahre alt war, konnte er sich erst 6 Jahre später gegenüber outen, denn dieser ist ein sehr konservativ eingestellter Mensch.
Erst letztes Wochenende, 5 Jahre nachdem er eine feste Beziehung zu seinem Lebenspartner einging, hat sich dieser "überwinden" können, den Lebensgefährten meines Sohnes endlich kennenzulernen, etwas, war mich bislang ungeheuer wütend gemacht hat, diese Ignoranz dem eigenen Kinde und seiner sexuellen Ausrichtung gegenüber.
Was ich in diesem Zusammenhang sagen will und deswegen habe ich dies überhaupt erst beschrieben, ist :
Ich bin der festen Überzeugung, dass die sexuelle Ausrichtung eines Menschen bereits in seiner Entstehung als Mensch, also quasi " im Mutterleib" angelegt wird.
Und in keinster Weise durch gesellschaftliche Prägung/ Konditionierung. Lediglich das Ausleben als Solches, wird durch diese verzögert, behindert, in ihrer natürlichen Entwicklung gehemmt, weil der Mensch sich der Gesellschaft aus Angst vor Repressalien, der sogenannten "Norm" unterwirft, seine sexuelle Orientierung für sich behält, versteckt oder auch erst in späteren Lebensjahren für sich entdeckt, weil man dann bereit ist, sich eine feuchten Kehrricht um die "Gesellschaft" und ihre jeweiligen Dogmen zu scheren. Die Anlage ist meiner Meinung nach jedoch bereits von Anfang an in einem. Oder eben halt nicht.
ABER: ich bin keineswegs der Meinung, dass dies der Beweis dafür ist, dass jeder Mensch eine Bi-Veranlagung in sich trägt,und diese nur deswegen negiert, w e i l die gesellschaftlichen Normen und Konditionierungen, in denen er aufwächst, ihn dazu zwingen.
Es hat zu allen Zeiten der Menschheit Menschen gegeben, die entweder nur dem eigenen Geschlecht oder dem anderen Geschlecht oder beiden Geschlechtern zugewandt sind, in unterschiedlich starker Ausprägung. Gott sei Dank leben wir mittlerweile in Deutschland in einem Land, wo die Akzeptanz dieser, aus meiner Sicht natürlichen sexuellen Entwicklung eines Menschen, immer mehr voranschreitet, wenn auch für meinen Geschmack noch viel zu langsam.
Betrachtet man dies global, so ist es ist es immer noch Fakt, das in vielen Ländern dieser Welt die sexuelle Ausrichtung schwuler, lesbischer und bi-sexueller Menschen unter Todesstrafe steht. Unglaublich, aber leider wahr.
Seien wir alle froh, die wir hier diskutieren, D A S wir überhaupt darüber diskutieren können....