Blindfolded Dinner (15) Rückzug und Angriff
„Oh ja, allerdings“, gab Stella zurück. „Überaus faszinierend. Schade nur, dass es so trüb ist.“
„Das kommt vor in usseligen Februartagen“, kam die belustigte Feststellung des Bänkers. Stella war selbstbewusst genug, um sich nicht aus der Fassung bringen zu lassen. Natürlich war die Situation heikel, aber Stella war es gewohnt, auf Spontanereignisse gelassen und souverän zu reagieren. Sie besah sich den Mann, ließ in einstudierter, neugieriger Damenmanier ihren Blick über ihn gleiten, taxierte ihn, zeigte Interesse. Sie wusste, wie sehr es Männern schmeichelt, wenn eine Frau Interesse zeigt. Einige Sekunden verstrichen, Stella war nicht unangenehm zu Mute, der Mann sah gut aus. Hochgewachsen, mit guter Figur und interessantem Gesicht. Seine Augen … die auch sie musterten, wirkten sympathisch. Offen sah er sie an, kleine Lachfältchen zeigten, dass er erfreut war, sie hier zu entdecken. Eine zufällige Begegnung inmitten eines geschäftigen Bänkeralltags. Wie alt mochte er sein? Um die fünfzig? Der Mann trat ein paar Schritte auf sie zu und fragte:
„Darf ich fragen, wen ich die Ehre habe, hier in diesem Konferenzraum anzutreffen? Die nächste Tagung findet erst in zwei Stunden statt.“
Natürlich hatte Stella mit dieser Frage gerechnet, und wohlkalkuliert, dass in einem solch großen Gebäude mit tausenden von Arbeitsplätzen bestimmt nicht jeder jeden kennen würde, und so antwortete sie:
„Ich komme von einem Meeting. „Das Image der EZB“. Die „Innere“ arbeitet diskret daran, der negativen Stimmung in der Bevölkerung entgegen zu wirken. Man sucht nach einem „Gesicht“, Sie verstehen, Herr …“
Fragend blickte sie ihn an, lächelte kokett.
Doch der Mann ging nicht auf ihre offene Frage nach seinem Namen ein, antwortete stattdessen:
„Der Europäischen Zentralbank ein attraktives Gesicht zu verleihen, kann ich nur unterstützen, meine Dame, besonders wenn es sich um ein solch sympathisches handeln sollte, wie hier vor mir steht. Wenn ich zu entscheiden hätte, würden Sie von mir die volle Punktzahl erhalten.“
Er lächelte, und eine gewisse Verwegenheit schwang mit. Offen und klar blickte er Stella in die Augen und zu ihrer Verblüffung stellte sie fest, dass sie auf ihn reagierte. Auch er verbarg entweder seine Überraschung gut, oder war es gewohnt, sich durch eine attraktive Frau nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Seine Lässigkeit und Selbstsicherheit gefielen ihr. Der räumliche Abstand zu ihr war gut gewählt, so konnte er ihr in die Augen blicken, ohne belästigend zu wirken. Er war in Konversation geschult.
So hielt auch sie den Blick, und ihr Lächeln vertiefte sich eine Spur. Ein erregendes Spiel, dachte sie, nur zu, ich bin gewappnet. Sie sagte:
„Danke schön, sehr freundlich von Ihnen, und ja … meine Agentur hat gute Chancen. Diese Tür stand offen, und neugierig wie ich bin, wollte ich tatsächlich auch einmal sehen, wie Frankfurt von hier oben aussieht. Ein wundervoller Ausblick muss das sein … bei gutem Wetter.“
„Es sieht von hier oben ganz wunderbar aus, das kann ich Ihnen auf jeden Fall bestätigen, und wenn Sie wollen, lade ich Sie gern bei gutem Wetter hierhin ein und führe sie Ihnen persönlich vor.“
Er lachte auf, als sei es ein guter Scherz, beobachtete Stella aber weiterhin sehr genau. Sie verfolgte seinen Blick, der über ihren Körper wanderte. Blieb er einen Moment lang interessiert auf ihren Brüsten liegen? Mischten sich Bewunderung und Neugierde darunter? Ein Hauch von Verlangen? Stella veränderte leicht ihre Position, sie mit diesem Mann allein in einem großen Konferenzraum. All die Tische …
„Sie wissen nicht zufällig, ob die Gruppe Asiaten, die mir zu meiner Überraschung eben entgegen kam, ebenfalls der Aussicht wegen sich hier einfanden?“, fragte Stella, um die Aufmerksam behutsam von sich abzulenken. Sie arbeitete an ihrem diskreten Rückzug, musste sich etwas einfallen lassen. Ein Flirt im 41. Stock der EZB war zwar spannend und unerwartet, doch spürte sie, dass es erneut in ihrem Schritt pochte. Dieser Mann gefiel ihr! Vor allem sein Blick, der etwas Entschiedenes an sich hatte, etwas Bestimmendes. Die Art wie er sie ansah, wie er sie musterte. Schlagartig kam ihr M. in den Sinn! Eine Gänsehaut überzog ihren Rücken und ihre Augen weiteten sich. Stand sie etwa M. gegenüber? Die Fügungen des Lebens waren ihr nicht unbekannt, der Zufallsfaktor hatte sie schon häufiger überrascht.
„Nein“, antwortete der Mann und kam einen weiteren Schritt auf sie zu. „Die sind nicht der guten Aussicht wegen hier. Obwohl … wenn ich`s mir recht überlege ... eigentlich doch. Denn tatsächlich geht es auch um die Aussicht. Mario Draghi will dem Druck der Öffentlichkeit von vorn herein entgegen wirken und den Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen, die unseren so schönen Arbeitsplatz als Abschottung zur Außenwelt betrachten werden.“
„Wie meinen Sie das? Die Aussicht auf den Euro in Asien?“
Jetzt lachte auch Stella. Und dies aus vollem Herzen. Dieser Gag gefiel ihr. Der Bänker fiel mit ein. Ein dicker Punkt für Stella. Sie hatte sich wieder gefangen.
„Köstlich und sehr fein schlagfertig, Madame. Das gefällt mir! Nein, Draghi plant ein Restaurant hier oben im 41. Stock. Vielleicht etwas asiatisches? Die höchste Sushibar Frankfurts?“ Erneut lachte er auf. „Aber ich will nur hoffen, dass Sie nicht doch von der Presse sind?“
Erneut lenkte er mit dieser persönlichen Frage seine Aufmerksamkeit auf Stella. Er hat blaue Augen, dachte sie und sieht gut aus. Der Anzug sitzt perfekt, der Ehering auch! … Zeit zu verschwinden!
„Ich sagte doch, aus welchem Metier und in welcher Mission ich hier bin. Und wenn sie mich nun entschuldigen würden …“
Bewusst schroff wählte sie ihren Rückzug, auch wenn sie es im Stillen bedauerte, denn seine hochgezogenen Augenbrauen wirkten authentisch überrascht, aber der Moment war günstig, von hier zu entkommen. Nachdenklich war sein Blick, doch dann hellte er sich auf.
„Selbstverständlich habe ich Sie sehr gut verstanden, unser kleines Pingpongspiel ließ mich innerlich schmunzeln. Wenn Sie wollen, können Sie gerne ... bei gutem Wetter ... noch einmal vorbeischauen. Hier ist meine Karte. Rufen Sie mich doch an, und ich akkreditiere Sie entsprechend.“
Ein charmantes Lächeln umspielte nun seine Lippen. Hatte er Sie durchschaut?
„Vielleicht sehen wir uns ja wieder, Frau …?“
„Brinkmann … Stephanie Brinkmann!“, lächelte Stella und nahm die Visitenkarte entgegen. Als sie den Namen las konnte sie nicht ahnen, wie schnell und in welcher Situation sie den Bänker wiedersehen würde.
Bankenaufsicht, Eric van Houwten, stand auf der Karte.
Nachdem Stella in einem Thaiimbiss auf der Hanauer ein Wokgericht zu sich genommen hatte, beschloss sie, nun auch in einer anderen Richtung die Karten auf den Tisch zu legen. Sie fuhr zu dem Verlagshaus ihres Modemagazin.
Eine Stunde später saß sie ihrem Chefredakteur gegenüber. Einem dicklichen, etwas schmierig wirkenden Mann, Ende 40 mit Halbglatze.
Was für ein Unterschied zu Eric van Houwten, dachte Stella und rümpfte innerlich die Nase. Der hinter seinem breiten Schreibtisch sitzende Werner Wenzel war das krasse Gegenteil von dem gepflegten Bänker der EZB.
Obwohl das Modemagazin eine angesagte Illustrierte war, mit hoher Reputation und Auflage, konnte Wenzel nicht im Ansatz diesem Image entsprechen. Doch schien er Stärken zu besitzen, die die Verlagseigner mehr schätzten als ein geschniegeltes Aussehen.
„So schick heute, Stella?“, eröffnete der Chefredakteur das Gespräch. Er hatte sich in seinen Chefsessel zurückgelehnt und wippte in der Federung leicht vor und zurück. Eine gewisse Anspannung war ihm anzumerken und offen lag sein Blick auf Stellas Brüsten. „Was kann ich für dich tun, meine Hübsche?“
Stella hasste die plumpen Doppeldeutigkeiten, und das Gefühl des Ekels, das sie immer umgab, sobald sie Wenzel sah, kam auch jetzt wieder hoch.
„Werner, ich will es kurz machen. Ich will auf die Titelseite!“
Wenzel richtete sich auf, beugt sich vor und stützte sich mit den Ellenbogen auf den Schreibtisch ab.
„Ach!“, sagte er mit süffisanter Stimme und starrte Stella jetzt sehr offensichtlich auf die Brüste. „Du weißt aber auch, dass viele der Mädels das wollen. So einfach ist das nicht, auf die Titelseite zu gelangen, und …“
„Vergiss es, Werner!“, fuhr Stella ihm dazwischen. „Du weißt genau, dass ich mich never ever von dir anfassen lassen werde! Und dabei bleibt es auch!“
Werner rollte genervt mit den Augen. „Und … Was hast du sonst anzubieten, um auf die Titelseite zu kommen, Hasi, wenn nicht deine Möse?“
„Das hier!“
Stella ignorierte kurzentschlossen Wenzel böse Bemerkung, so und nicht anders kannte sie den Widerling, zog, statt einer giftigen Antwort zu entgegnen, ihr Ipad aus der Tasche, strich darüber hinweg und hielt es Wenzel entgegen. Der schaute demonstrativ auf seine Armbanduhr, täuschte Zeitmangel vor und blickte dann mit gelangweiltem Blick auf das Ipad. Stella beobachtete ihn genau. Was sie sah, ließ sie innerlich grinsen. Ja, sieh nur genau hin, du notgeiler Sack, dachte sie. Und Wenzels Gesichtsausdruck veränderte sich. Es war das Foto, das Walter ihr per Email zugeschickt hatte.
„Wow! Das sieht wirklich hammergut aus, Stella!“, nickte er anerkennend. Sein Habitus veränderte sich, plötzlich wurde er zum Geschäftsmann. „Okay, lassen wir das Gepoppe weg, was willst du? Für März wird das nichts mehr, in ein paar Tagen ist Redaktionsschluss. Dead Line bereits angesagt.“
„Ich will doch nicht, dass die kleine Chantal völlig umsonst die Beine für dich breit gemacht hat, Werner. Nein, ich will den April!“
Stellas Blick wurde hart, starr sah sie ihm in die Augen. Kostete den Moment aus, spielte mit Genuss ihren Trumpf aus, denn nach einer Weile fragte Wenzel:
„Und? Was hast DU anzubieten?“
„Nacktbilder von Stella! Hocherotische, sehr geile Bilder! Die Männer werden ihre harten Kolben reiben! Ich will die Magazinseiten 12 – 18 im April!“
Spätestens jetzt war der Chefredakteur vollends bei der Sache. Aufrecht saß er im Sessel, zupfte sich seine Krawatte über dem weißen Hemd zurecht und musterte Stella mit echtem Interesse. Blickte ihr in die Augen.
„Ernsthaft Stella? Nacktbilder von dir? Zeig!“
„Heute nicht, Werner. Wenn wir uns einig sein, dann nächsten Montag.“
„Wat willste?“
„An Kohle?“, fiel Stella in seinen Jargon ein, kannte die Sprache, die er verstand. „Den Höchstsatz! Für mich und den Fotografen. Dafür kriegst du die Bilder exklusiv.“
„Hm …“
„Überlegs dir. Wenn ja, dann sind wir im Geschäft, wenn nein, dann gehe ich woanders hin.“
„Das kannst du nicht! Du stehst mit deiner Agentur bei mir unter Vertrag.“
„Der in drei Monaten ausläuft, mein Lieber. Und Stella wird die Agentur verlassen! Die Zeit wartet sie doch gerne ab.“
„Hm …“
„Es liegt an dir, das Ganze redaktionsmäßig herauszuarbeiten und aufzumotzen.“
Mit diesen Worten packte Stella das Ipad zurück in die Tasche, setzte sich aufrecht in den Stuhl, blickte Werner mit Unschuldsblick an, biss sich verführerisch auf die Unterlippe, streckte sich ein wenig und strich sich mit beiden Händen über die Brüste.
„Geile Bilder, Werner, sehr sehr geile Bilder …“ hauchte sie und stöhnte leise auf.
„Du Luder!“, keuchte Wenzel prompt. „Okay! Ich bin interessiert! Montag, 11:00 Uhr! Und nun raus hier! Miststück!“
Lächelnd erhob Stella sich, warf ihm eine angedeuteten Kusshand zu und verließ hüfteschwingend die Redaktion.