Die Wasserburg
„Ja, die Gästewohnung ist frei Walter!“, beeilte sich Jan zu versichern, dem wichtig war, seine neue Liebe in der Nähe zu haben.„Hier ist der Arbeitsvertrag, Jenny, unterschreibe bitte da unten!“
Der Chef schien in Eile zu sein.
Jenny zierte sich nicht lange und unterschrieb, das Gehalt entsprach ihren Vorstellungen, aber sie war auch noch aus einem anderen Grund hier …
„Warte bitte im Vorzimmer, ich habe mit meinem Technischen Direktor noch etwas zu besprechen!“
Jenny fügte sich, nahm im Vorzimmer in einem Besuchersessel Platz und blätterte in einer Touristeninformation.
„Jan!“ sagte Walter eindringlich. „Lena ist schwer krank, muss wahrscheinlich noch heute notoperiert werden, ich fahre da jetzt hin, um ihr beizustehen und um mit dem Chefarzt zu reden! Sie fällt längere Zeit aus. Weil neue Gewitter angekündigt sind, habe ich die heutigen Vorstellungen des Theaterstücks abgesagt, eine Mitteilung auf unserer Website platziert und den lokalen Rundfunksender angerufen! Du weißt, was das heißt? Nächsten Freitag zwei Vorstellungen, Samstag drei für die Ticketinhaber von heute und Sonntag wieder zwei! Deine Aufgabe wird es sein, Jenny davon zu überzeugen, die Rolle von Lena zu übernehmen! Bei deinen Qualitäten als Charmeur hege ich keine Zweifel, dass es gelingt, viel Glück!“
Walter von Beckstein ließ den erstaunten Jan einfach stehen, raffte seine Sachen zusammen und eilte nach draußen.
Im Vorzimmer fragte Jenny: „Bitte, wenn Sie, Entschuldigung, Du, in die Kreisstadt fährst, würdest du mich mitnehmen? Ich möchte in der Pension meine Sachen packen und hier dann einziehen, wenn es keine Umstände macht!“
„Ja, komm mit!“, knurrte Walter.
Er war wirklich in Sorge. Was der Chefarzt ihm da am Telefon erzählt hatte, klang gar nicht gut.
Nun hatte er eine um 45 Jahre jüngere Lebensgefährtin und jetzt das!
Walter und Jenny rannten über die Zugbrücke zum Mercedes.
Das nächste Gewitter war im Anmarsch – die Wetterfrösche und das Internet hatten Recht behalten.
Sie sprangen in das Auto, Walter drehte den Zündschlüssel, fuhr an, kam aber nicht weit.
Eine Gestalt, das lange Haar vom Wind zerzaust, tauchte vor der Windschutzscheibe auf.
Walter ließ die Seitenscheibe herunter.
„Anne, was soll das? Ich muss dringend zu Lena, ihr geht es wirklich nicht gut!“
Anne warf einen hasserfüllten Blick auf den Beifahrersitz, wo die Frau saß, die ihr das Liebste genommen hatte, ihren Anker, ihren Jan!
„Ich schmeiße hin, Walter! Ich höre auf, ich kann nicht mehr!“, schrie Anne gegen den Wind ins Wageninnere.
„Ich habe keine Zeit, Anne! Muss ich dich wirklich erst daran erinnern, was in meinem Bürotresor ist, muss ich das?“
Jenny machte große Augen. Hier auf der Burg liefen einige Dinge, die sie noch nicht verstand.
Aber der irre Blick der anderen Frau machte ihr Angst. Es konnte nur bedeuten, sie war dahinter gekommen, bevor Jan die Aussprache gesucht hatte.
Sie würden nie Freundinnen werden – im Gegenteil – der Blick sprach Bände.
Walter ließ sich von dem Zwischenfall nicht beirren, fuhr das Fenster hoch und einfach weiter.
Zurück blieb eine ratlose Anne. Für einen Augenblick war sie wirklich gewillt, alles hinzuschmeißen, sich nur noch um die Masterarbeit zu kümmern, woanders bewerben, weg ziehen … Aber dieser durchtriebene alte Mann hatte sie in der Hand!
Er würde der Polizei sagen, sie habe ihn vergiften wollen und sie, dass sie dies nie in die Tat umgesetzt habe.
Aussage gegen Aussage – ein Fest für die Anwälte. Und Anne konnte sich ohne Job niemals so einen Top-Anwalt leisten, wie Walter.
Es war zum Verzweifeln …
Es gab nur noch einen Mann auf der Burg, dem sie vertrauen konnte.
Konnte sie das wirklich? Kurt war im Moment der einzige Hafen, in den sie jetzt noch einlaufen konnte.
Kurt starrte zur gleichen Zeit ungläubig auf das Display seines Smartphones.
Walter hatte die beiden sonntäglichen Theatervorstellungen abgesagt! Okay, er war der Chef, sollte ihm recht sein, dann musste er die Security nicht anleiten aber umgehend informieren.
Er tätigte den Anruf und machte sich auf zu einem Sicherheitsrundgang, das in in sein Resort als Stellvertreter des Geschäftsführers fiel.
Das Haupttor konnte noch nicht geschlossen werden, denn der Chef und die neue Sekretärin wurden ja noch zurück erwartet.
Jan vermisste seine neue große Liebe bereits jetzt, ein untrügliches Zeichen, dass es ihn diesmal richtig heftig erwischt hatte.
Er hätte nie geglaubt, dass es noch eine Steigerung zu Anne gab.
Wo steckte sie überhaupt? Er musste es ihr umgehend sagen, bevor sie es von anderen erfuhr.
Er schlenderte gedankenverloren zum Apartment mit den unverputzten Steinwänden aber dem Luxus einer modernen Wohnung.
Die Tür stand offen, Anne stopfte die letzten Sachen in einen Rollkoffer, den Rest in einen Rucksack.
Sie funkelte Jan aus dunkelblauen Augen an.
„Was wird das, Anne?“
wird fortgesetzt ...