ein Interessanter Zeitungsartikel
Nach vielen Beziehungsjahren verstehen sich die meisten Paare fast blind. Gewachsen sind die Liebe, das Vertrauen und die Nähe. Alles gut, könnte man meinen. Und doch belastet viele Paare die große Frage: Wo sind Leidenschaft und Erotik geblieben?
Irgendwann und irgendwo im Alltag scheinen sie verschwunden zu sein. Stattdessen bestimmt sexuelle Langeweile die Zweierbeziehung. Eine ganz normale Entwicklung, sagen Experten.
«Die meisten Paare tappen im Laufe der Jahre in die Harmoniefalle», erklärt Rüdiger Wacker, Diplom-Psychologe und Paartherapeut aus Essen. Während die Zeit des großen Verliebtseins davon geprägt ist, dass sich beide nach und nach entdecken, glauben langjährige Beziehungspartner, bereits alles voneinander zu wissen - auch im Bett. «Und so werden immer die gleichen Knöpfe gedrückt, weil man glaubt, dass das dem Partner schon gefällt.» Doch das Bewährte wird irgendwann langweilig. «Lustlosigkeit ist meistens eine Folge von Monotonie und mangelnder Kommunikation.»
«Das sexuelle Repertoire sinkt, aus Reiz wird Routine», erklärt auch Ragnar Beer, Leiter des Partnerschaftsprojekts Theratalk der Universität Göttingen. Frust statt Lust erobert das Bett, Unsicherheiten entstehen. «Viele trauen sich nicht, mit ihrem Partner offen über ihre sexuellen Wünsche zu reden.» Doch das Schweigen verschärft auf Dauer nur die sowieso schon belastende Situation. «Sprechen Sie offen über ihre Wünsche und Vorstellungen», rät Wacker.
Ein Allheilmittel für die Liebe ist das Gespräch aber nicht. «Oft steckt mehr dahinter», sagt Volker van den Boom, Sexualtherapeut aus Aachen. Wichtig sei deshalb, hinter die Kulisse der Partnerschaft zu schauen. «Oft ist eine Kette von kleinen Verletzungen und Missverständnissen die Folge des sexuellen Rückzugs.»
Auch Rüdiger Wacker sieht im Sex einen Indikator für die Partnerschaft: «Fragen Sie sich ehrlich, wie Sie im Alltag miteinander umgehen.» Beruf und Karriere, Familienpflichten, Haushalt und Hobbys - bei vielen Terminen, mangelnder Zeit oder großer Belastung geben sich Paare häufig die Klinke in die Hand und fallen abends auf dem Sofa statt übereinander nur müde nebeneinander. «Da bleiben Zärtlichkeiten auf der Strecke.»
Doch ohne die kleinen Liebesbekundungen im Alltag verliert die Beziehung sinnliche Erlebnisse. Wer glaubt, bei solch einem Alltag abends großartigen Sex zu haben, wird in der Regel enttäuscht. «Das ist ja schließlich nicht so einfach wie eine Glühbirne einzudrehen», sagt Wacker. Van den Boom formuliert es philosophischer: «Die Liebe ist wie ein Garten, der gepflegt werden muss, um nicht zu verwildern.»
Doch dafür braucht es vor allem eines: Begeisterung. «Rufen Sie sich wach, was Sie an Ihrem Partner so toll finden.» Sein Lächeln, sein Humor, seine zuverlässige Art? «Erinnern Sie sich an früher», rät Wacker. Denn die Zeit des Verliebtseins ist geprägt von uneingeschränkter Begeisterung, die Lust auf Liebe macht. «Schaffen Sie Freiräume und Zeit, um sich wieder neu zu entdecken», rät auch Volker van den Boom.
Genauso wichtig ist das ehrliche Interesse am Anderen. Das zeigt sich schon an Kleinigkeiten. «Fragen Sie Ihren Partner, wie sein Tag war, hören Sie zu und schenken Sie Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit», sagt van den Boom.
Auch wenn der sexuelle Frust groß ist, gilt es fair zu bleiben. «Geben Sie niemals Ihrem Partner allein den Schwarzen Peter für die Entwicklung, denn es gehören immer zwei dazu», sagt Wacker. Wer Schuldzuweisungen macht und dem Partner ständig die eigene Unzufriedenheit vorhält, erzeugt Druck. «Das ist Gift für die Liebe, an Sex ist dann bald gar nicht mehr zu denken.»
Ich habe diesen Artikel meine Frau gezeigt und gefragt, ob wir vielleicht dieses Problem haben. Ob sie von mir etwas anderes erwartet. Sie hat nein gesagt. Gibt aber zu, dass sie mit sich selbst überhaupt nicht zufrieden ist.
Heute morgen meinte sie, ich hätte sie mit dem Artikel unter Druck gesetzt. Aber ich denke, nur so kann ich etwas bewegen.