Ausflug der Landfrauen - Teil 2 - Rüdesheim
Die Lesung, liebe Freunde, ist gelaufen. Die Hörer waren zufrieden. Zumindest ist mir nichts Gegenteiliges bekannt geworden. Darum hier, wie versprochen, der fehlende Teil des Landfrauenausfluges nach Rüdesheim. Aaschnalle un Feschdhalle: Es gäht los...
Die Pälzer Fraa in ihrem Lauf
hält weder Ochs noch Esel auf.
Volksweisheit
Bickelmanns 7. Abenteuer und gleichzeitig das Zweite,
bei dem er gar nicht so richtig dabei war
Teil 2:
Rüdesheim
„Ach Gott, isch wääses noch wie heit, wie mir domols es eerschde Audo kriet han, es war e Pöscho, denne had de Opa Willi sellemols billich vunneme Franzos kaaf, der wo alle daach iwwer die Grenz kumm is, fier do se schaffe. Was der do geschafft hat wääs ich nimmi, awwer der is jede Daach kumm. Nur Sundaachs glawich ned. Odder doch? – Ich wääses nimmi. Was wollt ischn jez eischentlich vazehle… - jäz han isch de Fadem valor. Eva, jez helf ma dochemol!“
Eva ließ die Oma einfach stehen und verfügte sich eilends zu den andern Damen, die den Bus verlassen hatten, um die Gestade des Rheins zu betrachten. Wie von Schwarze Erich vorausgesagt, legte der Reisebus die Strecke nach Bingen in weniger als zwei Stunden zurück. Knapp vor zehn zeigte die Uhr und Kleinschmidde Gretel hatte sich, nach heftiger Diskussion mit dem Fahrer, der den Standpunkt vertrat, das Hotel sei mit Sicherheit nicht vor 14 Uhr bezugsfertig, die Betten reserviert und die Baggage käme noch früh genug an die Getränke, einer anschließenden Krisensitzung mit dem Organisationskomitee, also Anke, Eva, der Oma und dem Pfarrer, davon überzeugen lassen, auf dem Parkplatz der ehemaligen Landesgartenschau in Bingen zu rasten und einen Spaziergang durch die Rheinanlagen zu wagen. Zwei Stunden plante man dazu ein. Eine Traube Weiber sammelte sich um den Pfarrer, der mit weltmännischer Gelassenheit den Bärenführer gab.
„Da oben links, meine Damen sehen sie die Rochuskapelle. Im Jahre 1665, also während der großen Pest, gelobten die Binger ihrem Schutzpatron, dem heiligen Rochus…“
„Ach Gott, isch wääses noch wie heit“, krakeelte ihm die Oma in die Parade, „wie mir domols es eerschde Audo kriet han, es war e Pöscho, denne had de Opa Willi sellemols billich vunneme Franzos kaaf, der wo alle daach iwwer die Grenz kumm is, fier do se schaffe…“, der Pfarrer verzog pikiert das Gesicht, was Oma aber nicht im geringsten zu stören schien, „do hodde ma aach e Ausfluch an de Rhein gemacht und stellen eich emol vor, ma ware noch kää zwanzich Kilomeder gefahr, do is uns jo de Keilrieme kabutt gang. Mei Willi hats aach glei gemerkt, der war jo Handwerger un hat sich ausgekennt. Do isser uff e Parkplatz am Waldrand gefahr un do hadder zu ma gesaadt, isch mist mei Strimp ausziehe.
Do han isch gesaad, ach Gott, Willi, saad isch, du wersch ma doch jez do em Wald ned an die Wäsch gehen wolle…“ Eva wurde unruhig, offenbar kannte sie die Story schon.
„Jez loss doch Oma, de Herr Parre hat doch grad so scheen vum Rochus vazehlt…“
„Ei un? Un jez vazehl ich vumeim Willi…!“
„Heer bloß uff, Oddi! Das wolle mir ga ned wisse, was du mit demm Willi im Wald gemacht haschd!“, mischte sich der Busfahrer ein und die Landfrauen lachten zustimmend.
„Das dääd isch dir aach grad vazehle, du Rotzleffel, du frecher. Dei Vadder war jo schun genauso es Klutzkopp wie Du und das ääne san isch da…“ Den Rest konnte die feixende Damentruppe nicht mehr hören. Eva hatte ihrer Mutter den Mund zugehalten und zog sie am Ärmel ihrer Bluse auf die Seite.
„Wenn du jez ned SOFORT uffheerschd, Momme, do loss isch dich grad do hugge und fahre mim Zuuch hemm!“ Diese finstere Drohung schien zu wirken. Zumindest für den Moment. „Iwwerall blamiert ma sisch mit dir, isch holle dich nimmi mit. In Zukunft kannsche dehemm hugge bleiwe…“ Evas Augen standen schon voller Tränen. Sie schniefte und suchte in ihrer Handtasche nach einem Papiertuch. Die Oma gab nun endlich Ruhe, obwohl ihr empörter Blick keinen Zweifel daran ließ, dass sie, als die Klügere, soeben nachgegeben hatte.
Derweil lief Pfarrer Schleicher, mit den Damen im Gepäck, schon Richtung Parkgelände. Eva und die Oma trotteten mit etwas Abstand hinterdrein. Man hörte den Pfarrer weitschweifig erklären. Offensichtlich war er bestens auf den Ausflug vorbereitet. So führte der Weg durch die schöne Gartenanlage. Die Damen fotografierten wie der Teufel. Die Statue mit den Kirschen, den Brunnen, die Sonnenuhr, die Germania, die Schiffe, die Blumen, den Pfarrer, die Oma, die Blumen, die Schiffe, die Germania…
Der Weg führte am alten Zollamt entlang auf die Anlegestelle der Schiffe zu. Oma Otti trottete mit Eva hinterdrein und prutzte.
„Eigentlich könnte doch die ganze Gruppe mit dem Personenbötchen nach Rüdesheim übersetzen?“, regte der Pfarrer an. „Erich kommt dann mit der Autofähre und dem Bus hinterher, wie wärs?“ Die Damen nickten begeistert. Erich auch. Er schien nichts dagegen zu haben, die Weiber für ein Stündchen los zu werden.
„Alles klaa, das mache ma. Do gehna e Stiggsche spaziere un mir dreffe uns dann in Rüdesheim uffem Busparkplatz. Do waad isch uf eich.“, stimmte er zu.
„Ich hans doch gewisst, dass man denne Parre brauche kann“, raunte Gretel der Anke ins Ohr.
„Der hat als guude Idee´e!“ Das fand Anke auch.
„Ich werde Sie allerdings auf einige Stunden verlassen, wenn wir am anderen Ufer sind“ erklärte Schleicher, “und einen alten Freund in Geisenheim besuchen, der dort am hohen Dom…“
„In Geisenheim?“, warf Anke ein, „da habe ich eine Jugendfreundin. Ist das weit?“
„Achwoher dann“, meinte der Busfahrer, „fielleicht fümf Kilomeder, mehr net!“
„Das ist ja prima“, fand Anke „da könnten wir uns doch ein Taxi teilen, Herr Pfarrer, wie wärs? Ich komme mit und besuche meine alte Schulkameradin?“
„Ähem, ähm, ahäm!“, machte der Pfarrer und begann stotternd: „Das, das, das wird nicht gehen, werte Frau Flöter. Mein Studienkollege holt mich mit dem Auto ab und dann weiß ich ja auch noch nicht, was der vorhat. Sicher werden wir heute Abend eine Messe zusammen singen.“
Erich grinste wissend und die kluge Anke insistierte nicht weiter auf ihrem Vorhaben, beschloss aber ein Auge auf den Schleicher zu haben. Schleich du nur, dachte sie. Ich krieg dich schon.
Die immer praktische Gretel Kleinschmidt hatte derweil am Schalter der Bingen-Rüdesheimer-Fährschiffahrtsgesellschaft eine verbilligte Gruppenkarte für den Transfer mit der Personenfähre über den Rhein erworben. Das Bötchen hatte soeben schaukelnd und mit einem lauten Rums am Anleger festgemacht und die ganze Gruppe schickte sich an, das Schifflein zu entern.
Nur die Oma nicht.
„Uff das do Ding bringe mich kän zehn Pärde. Do gehn ich ned druff. Ich wääses noch wie heit, wie ich mo vor Johre han solle mit so eme Schiffchen fahre…!“
„Ja un was willschde jez mache?“, regte sich Eva auf. So langsam ging ihr die Oma gehörig auf die Nerven. „willsche do hucke bleiwe bis mir morje widder kummen?“
„Isch fahre mim Erich midm Bus!“, beschloss Oma und Erich verfluchte den Tag, an dem er bei diesem Busunternehmen angeheuert hatte.
„Nä, Oddi, kumm, do verpaschde jo es scheenste vun dera ganz Fahrt. Jez geh halt mit. Wersch siehn, das macht Spasss.“
„Isch will kään Spass. Isch hän schun genuch Spass gehat im Läwe. Aus! Un jez känn widderred meh isch gehn net uffs Wassa und basta und ferdisch.“ Alles gute Zureden war zwecklos. Jetzt war die Oma bockig. Eva erklärte, auf die Schiffsfahrt nicht verzichten zu wollen, doch auch das schien der Oma völlig wurscht.
„Isch gehn uff kään Schiff!“, wiederholte sie nur noch sporadisch. Erich, der sich insgeheim auf ein paar freie Stunden ohne die Weibsleute gefreut hatte und gern ein Nickerchen auf der hinteren Bank seines Busses gemacht hätte, sah ein, dass er verspielt hatte. Die Ausflugstruppe ging an Bord und Oma wurde schon wieder ganz fröhlich, nachdem sie ihren dicken Kopf durchgesetzt hatte.
„Isch hab den Vater Rhein in seinem Bett gesehn“, sang sie lauthals und zur Freude der Umstehenden, während das Boot ablegte „ja der hats wunderschön, der braucht nie aufzustehen…“. Erich tat so, als kenne er die Alte nicht und nahm den Weg zum Bus unter die Hufe.
„Ach Gott isch wääses noch wie heit…“, begann Oma „…Erich? Erich? Jez waad dochemol, isch kann doch nimmi so schnell.“ Das war Erich aber grade scheißegal. Den ganzen Weg zurück zum Bus sah er zu, immer gute fünfzig Meter vor der Oma zu bleiben, die fluchend und schimpfend hinter ihm her trottete.
Inzwischen heulte Eva sich auf dem Klo des Fährbootes an der Schulter ihrer Freundin Anke aus.
„Was han ich nur vabroch, dass ich med so ääner gestroft wor bin?“, fragte sie schluchzend. Anke sagte nichts. Sie wusste, Eva hatte es mit ihrer Mutter nicht leicht. Seit Jahren war Oma als die größte „Beißzang“ im ganzen Ort bekannt. Immer wieder musste Eva sich irgendwo entschuldigen, beschwichtigen, herunterspielen, unter den Teppich kehren. Sie konnte einfach nicht mehr.
„Vielleicht hat de liewe Gott jo doch nochemol e Einsehen und holt se zu sich…“, weinte sie. Kleinschmidde Gretel kam dazu, den letzten Satz hatte sie noch gehört.
„Jez emol im ernscht, Eva, glaabsch du dass die in de Himmel kommt? Wenn der liewe Gott sei Vastand noch beinanner hat, schiggta se in die Hell und das ääne sahn ich da: de Deiwel will die a ned.“
Es rumste. Das Fährschiffchen war auf der anderen Rheinseite angelangt und begann, seine Passagiere auszuspucken.
„Wo gehtsn do in die Drosselgass?“, fragte Kleinschmidde Gretel „Un wo issen do das Foltermuseum?“, wollte Funke Berta wissen. Alles rief und lachte durcheinander.
Das nutzte der listige Pfarrer um sich klammheimlich dünn zu machen. Es war noch etwas früh, für seinen Besuch des Rheingau Dom zu Geisenheim. Dort war er für 14:00 Uhr angemeldet. Er beschloss also, die wenigen Kilometer zu Fuß am Rheinufer zurückzulegen und verdrückte sich.
Während der Tross der Landfrauen sich anschickte, Rüdesheim zu erkunden, rief Anke ihre Freundin Doris an, die sich auch gleich meldete.
„Hallo Doris, ich bins, Anke…“, flötete sie „du rätst nicht wo ich bin!“
„Anke, mein Schatz, nein, das rate ich nicht, wo denn?“
„In Rüdesheim an der Personenfähre. Wir machen gerade einen Ausflug mit unserem Landfrauenverein. Unser Busfahrer hat gesagt bis zu dir wären es nur ein paar Kilometer und da hab ich mich gefragt…“
„JAJAJA!“, rief Doris „Natürlich hab ich Zeit und Lust. Wie lange kannst Du bleiben?“
„Im schlimmsten Fall bis morgen Nachmittag, da fährt meine Damentruppe wieder nach Hause“, lachte Anke „aber keine Angst so lange falle ich dir nicht zur Last.“
„Red kein dummes Zeug. Bleib wo du bist. Ich hol dich in zehn Minuten da ab.“
Anke schaffte es gerade noch, Eva zuzurufen, sie käme später ins Hotel und besuche noch eine Freundin, da waren die Landfrauen schon um die Ecke der Drosselgasse gebogen und verschwunden. Tatsächlich dauerte es nur acht Minuten, bis ein schickes Porsche Cabrio des Weges kam. Doris winkte Anke fröhlich zu, wendete und ließ die Freundin einsteigen.
„Wow!“, entfuhr es Anke „Wow! Bei dir ist anscheinend der Wohlstand ausgebrochen…“
„Ach was, Anke, meine Süße. Komm lass dich mal drücken.“ Doris freute sich offenbar wirklich und herzlich über den unerwarteten Besuch. „Ich arbeite hart für mein Geld und da darf man sich auch was leisten.“
„Gut siehst du aus Doris, ich hätte dich jetzt glatt für vierzig gehalten!“, lachte Anke „Ich wusste gar nicht, dass man im Schuldienst jetzt Porsche fährt, aber ich freue mich wirklich dass es dir gut geht.“
„Ich bin nicht mehr im Schuldienst Schatz. Ich arbeite seit ein paar Jahren als Freiberuflerin in der Erwachsenenbildung. OK, das Geschäft ernährt seinen Mann, oder besser seine Frau und ich kann wirklich gut davon leben. Der Job macht auch Spaß und ich kann mich so richtig darin austoben.“
„Sowas hätte ich auch gern“, meinte Anke „Bei uns auf dem Dorf ist es ja eher langweilig und als First-Lady des Ortsbürgermeisters hast du keine wirkliche Herausforderung, wenn man mal vom jährlichen Landfrauenausflug absieht“, grinste sie. „Was machst du denn da genau?“
Doris bremste an der Zufahrt zu einer edlen Villa am Rheinufer. Das schwere, schmiedeeiserne Tor stand offen und Doris nahm die Tordurchfahrt mit routiniertem Schwung. Trotzdem schaffte Anke es noch, das am Pfeiler angebrachte Messingschild zu lesen. Institut für Erziehungsfragen, las sie laut.
„Bist du das, Doris?“
„Ja, das bin ich!“, freute sich die Freundin. „Jetzt mach ich uns erstmal einen Kaffee und dann erzählst du mir, was du in letzter Zeit so erlebt hast!“
„Und du mir!“, freute sich Anke. Sie stiegen aus und betraten Arm in Arm die Villa.
„Ach übrigens“, erklärte Doris beiläufig „Ich habe heute Nachmittag noch einen Klienten. Wird aber nicht lange dauern.“
„Prima, Doris“, da kann ich dir ja vielleicht zusehen und muss nicht länger an meiner Neugier kauen.
„Hmmm…“, machte Doris „mal sehen und jetzt komm, hier geht’s zur Küche.
Der dicke Kapitän des Fährschiffes „Binger Loch“ zuckte zusammen und bekam eine plötzliche Hitzewallung, als der Reisebus schlingernd und viel zu schnell die Rampe zur Fähre hinabdonnerte. Von seinem erhöhten Logenplatz aus konnte er gut sehen, wie hinter dem Lenkrad des Busses zwei Personen miteinander rangen. Ehe er noch dazu kam ein Warnsignal abzugeben, hatte der Bus die Fähre bereits erreicht, überquerte mit einem Sprung den Anleger, schob ein Motorrad beiseite, donnerte dann ungebremst auf die vor ihm geparkten Autos und schob sie zusammen. Der Ticketverkäufer, der sich gerade noch mit einem Sprung hatte in Sicherheit bringen können, stand schon schreiend an der Tür des Busses, die sich soeben öffnete. Unser Kapitän, von berechtigter Sorge um Material und Fracht getrieben, sprang die Stufen seines Führerstandes hinab, während er mit dem Handy schon nach Polizei und Krankenwagen rief.
„Verfluchte Untat, bist du völlig bekloppt?“, herrschte er den Busfahrer an, der soeben taumelnd dem Bus entstieg und sich den Arm hielt. Ihm folgte auf dem Fuße eine lautstark krakeelende Alte, die mit schriller Fistelstimme verlangte, sofort an Land gebracht zu werden. „Frauen und Kinder zuerst!“, brüllte der Kapitän und fasste mit tatkräftiger Hilfe die Alte unterm Arm, um sie zu retten. – Das war ein schwerer Fehler…
Die Landfrauen standen ziemlich enttäuscht am oberen Ende der Drosselgasse.
„Das do is jo es ledschde!“, ereiferte sich Gretel „do is jo ääni Werdschafd näwe da anner. Das wär jo was fier unser Männa. Die wäre schun in der eerschd Kneip hängegeblieb.“
„Eijoh, hasch ganz recht“, ergänzte Funke Berta „un wo kää Werdschafd is, is e Aandenge-Geschäft. Als wenn mir dehemm ned genuch Plunder zum fortschmeise hädde. Was machemern jezd? Wenn ich das do gewisst hätt, do wärich grad dehemmgeblieb. De Parrer is fort, de Busfahrer aach samt Bus, es Anke hat sich devon gemach, wenn das so weidergehd is heit omend kääns mee do.“
„Ei mir kennde doch mit dera Säälbahn uff de Bersch fahre…“, schlug Gretel vor „do gäbs e Denkmal das wo Germania hääst.“
„Sowa brauch ich ned“, maulte Berta „wenn ich e Denkmal siehe will brauch ich nur mei Gerd aansegugge. Der is zwar ned so schee awwer genauso beweglich. – Ich geh ins Foltermuseum. Will jemand mit?“, fragte sie in die Runde.
„Eijo!“, rief jemand lachend „do kinne ma bestimmt noch was leere fier dehemm. Do sin mir debei!“
So bildeten sich denn neuerlich zwei Grüppchen. Die einen dackelten unter Bertas Führung in Richtung Foltermuseum um sich Anregungen für das häusliche Eheleben zu holen, die anderen suchten die Talstation der Seilbahn.
„Jäz wääs ich was der alte Fritz domols gemännt hat“, seufzte Berta „wierer gesagt hat, do soll jeder noo seim Fasson selig werre…“
„Jetzt mach es doch nicht so spannend, Doris. Ich komme zwar vom Land, aber ich kann mir mein Teil schon denken. Villa am Rhein, Porsche, Institut für Erziehungsfragen…?“ Anke nippte an ihrem heißen Kaffee, während sie sich in den Räumen umsah. Die beiden Freundinnen schlenderten von der Küche in die Eingangshalle, von der aus eine große Treppe nach oben führte. Eine geöffnete, doppelflügelige Tür bildete den Eingang zu einem riesigen Wohnzimmer, dessen beherrschendes Element neben einem rosafarbenen Marmorkamin ein großer Konzertflügel aus Wurzelholz bildete. Die Einrichtung war sehr gediegen und geschmackvoll. Anke nickte anerkennend. „Na?“
Doris seufzte. „Vor dir kann man ja doch nix geheim halten. Meine – Zöglinge sind durchaus erwachsen und zahlen mir für meine Bemühungen um ihre Erziehung ziemliche stattliche Honorare…“, begann sie vorsichtig.
„Wusst ichs doch!“, triumphierte Anke „du bist eine Domina!“
„Jja…“, gab Doris zögernd und mit einer Sorgenfalte auf der Stirn zu „bist du jetzt nicht mehr meine Freundin?“
„Sechs Euro Intritt! Die do nemme es awwer von da Lebendische!“, meckerte Berta „hoffentlich gäbts do ebbes, was ich dehemm gebrauche kann!“
„Eijo, Berda, vun da Doode kriense jo nix mee“, grinste jemand „un mid deim Gerd werschdu doch aach ohne Foldermuseum ferdisch…!“
„Das do glaabsche awwer!“, meinte Berta und betrat tapfer die Treppe zum Gewölbekeller.
Der Pfarrer saß auf einer Bank am Rheinufer, nicht weit von seinem Ziel entfernt. Er hatte noch etwas Zeit und beschloss, den nahen Rheingauer Dom aufzusuchen um ein paar Minuten zu beten und den Herrn um Vergebung seiner Sünden anzuflehen.
„Siwwe Euro hin und zerigg! Die do nemme es vun da Lebendische!“, maulte Gretel „hoffentlich is der Ausblick das wert!“
„Scheenie Aussicht häm mir in Höhfrösche jo aa“, grinste jemand „awwer de Rhein is doch brääder als wie die Schwarzbach!“
Die Damen hatten Stück für Stück die Kabinen der Seilbahn erklommen und fuhren nun freudig erregten Herzens bergwärts.
„Ach, is das do schee! Jesses is das schee! Ei was issn das do driwwe uff da anner Seit do an dera Audofähr?“, wunderte sich Bickelmanns Eva „Do gugg emol, do is jo ganz fill Blaulicht und Bolizei un Feierwehr. Do wärd doch kää Schiff unnergang sin?“
„Achwas“, antwortete Gretel „do is sischer e Besuffena ins Wassa gefall…“ Just in diesem Moment klingelte Evas Handy.
„Jetzt erst recht Doris. Es interessiert mich schon lange, was in deinem Gewerbe so abgeht. Erzähl mir alles darüber! Was machst du so mit den Kerlen? Darf ich dir mal bei der Arbeit zusehn? Empfindest du dabei was? Also, macht es dich an, oder so? Oder machst du das nur für Geld. Los jetzt!“
Doris legte die sehenswerten Beine übereinander, räusperte sich und begann. Anke spitzte die Ohren.
„Haschde jez Angschd vor deiner eichen Kuraasch?“, fragte Flöter erbost. „Du bisch wie e klään Määde, Herbert, äämol schlecht geträämt und schun vasteckelsche dich unnerm Bett un fangsch aan ze heile. Jez stell dich ned so dumm draan. Mir gehen jez e paar Stun schloofe. De Kurd holt heit omend es Feierwehraudo. Das hän isch alles schon gereeschelt. Un mir zwää fahre in die groß Oper wie abgemacht.“ Herbert zierte sich.
„Wenns ma awwer doch ne gudd isch, Karlfried!“, maulte er.
„Desweeche sollsche jo schloofe gehen. Wersch siehn, wenn de widder uffstehscht bische fit wie e Turnschuh un spitz wie de Parre.“
„Jo filleicht hasche recht.“ Herbert gab nach. Die ganze Diskutiererei brachte ja nichts. „Alla, bis de Midda!“ Sie trennten sich und jeder dackelte die paar Schritte nach Hause. Herbert warf sich in voller Montur aufs Bett und hoffte auf erquickenden Schlaf. Just in diesem Moment, klingelte sein Handy.
„Hübsch siehst du aus, Süße. Du gibst eine richtig flotte Domina ab. Halt dich fürs erste in meinem Schatten und schau mir zu.“ Die Damen standen im Untergeschoss der Villa, das Doris zu einem kompletten Studio ausgebaut hatte. Alles was das Herz eines devoten Masomannes höher schlagen ließ, war vorhanden. Strafbock, Kreuz, Käfig, Krankenzimmer, Wickelraum, Leder, peitschen, Ketten… Dazu die außerordentlich attraktive Doris als Herrin des Geschehens, im schwarzen Minirock und Korsett. Für Anke hatten sich eine enge Lederhose, ein Paar schicke 10cm Pumps und eine schwarze, halbtransparente Bluse in Doris´ Ankleidezimmer gefunden.
„Sind deine Klienten pünktlich?“, fragte Anke aufgeregt.
„Auf die Sekunde, sonst setzts was und ich kann sehr unangenehm werden, wenn einer meine kostbare Zeit vertrödelt.“ Anke war beeindruckt. Was sie in den letzten zwei Stunden erfahren hatte, ließ ihr den Mund wässrig werden. Ihre Hände schwitzten ein bisschen und sie hatte ein Gefühl unterhalb des Nabels, das sie noch nicht recht deuten konnte. Ein edler Gong wurde angeschlagen. Die Haustürklingel.
„Er kommt. Lass mich erstmal reden!“ Doris öffnete die Tür.
„Da ist ja mein Lieblingssklave und pünktlich wie immer. Auf die Knie. Küss mir die Stiefel, du Würstchen und reich mir deinen Tribut.“
Pfarrer Schleicher fiel auf die Knie, senkte den Blick und bot demütig die beiden fünfhundert Euro Scheine dar, die er bereits in der Hand hielt. Genau in diesem Moment, klingelten zwei Handys.
Flöter war zufrieden. Er hatte noch kurz ein Ei gelegt, mit dem Gedanken gespielt, sich einen von der Palme zu wedeln, diesen Gedanken aber in Erwartung des spannenden Abends verworfen. Nun lag er im Bett und pflegte angenehme Gedanken. Just in diesem Moment – hämmerte es lautstark gegen sein Schlafzimmerfenster.
„Karlfried! Karlfried! Herrgott jez wach doch endlich uff!“
Herbert stand am Fenster und machte Radau. Flöter zog den Rolladen ein Stückchen hoch, öffnete einen Flügel und brüllte hinaus:
„Bickelmann, du Aasch! Hosch du se noch all, so e Balava ze mache? Ich bin jo grad eerschd schlofe gong. Was willschn du schon widder. Geh hemm, mir siehn uns heit omend!“
„Karlfried mach uff un zieh dich aan. Mir misse sofort no Binge fahre!“
„No Binge? Isch glaab du bisch nimmi ganz klor, do sin jo unser Weiwer…“, er sah auf die Uhr „obwohl, jez sins se wahrscheins schun in Rüdesheim. Do will isch net hin. Mir gehn heit Omend in die groß Oper und ned no Binge!“
„Doch Karlfried mir misse. De Erich hat graad aangeruf. Er hat de Arm gebroch!“
„Ja un? Was gehdn uns das aan. Soll sei Scheff ewe e Ersatzmonn schigge.“
„Das es noch ned alles Karlfried. De Parrer un die Anke sin vaschwunn. Es Eva hot e Nervezesammebruch. De Bus un etliche Autos sin schwer beschädigt. Un die Fähre aach. De Kapitän vun dera Fähre is beinah vasuff un de Fahrkaadeverkäufer hat e Gehirnerschüdderung.“
Karlfried zog den Laden vollends hoch und schnappte nach Luft. Er rieb sich die Augen.
„Isch glaab ich schloofe noch un trääme grad schlecht, Herbert. Odder?“ Er sah Bickelmann flehend an. “Odder?”
“Nä, Flöter, du bisch ganz wach, glaab mers nur”, Herbert sah recht verzweifelt aus, aber seine Mundwinkel zuckten. „Es gäbt awwer aach äänie guddie Nachricht…“
„Loss heere!“, sagte Flöter und verdrehte die Augen.
„Die Oma… die Oma…!“ Er begann zu prusten. „Die Oma…“
„Hergott, was isn mi dera Oma? Isse endlich dood?
„Vill bessa Flöter, vill bessa: Sie huckt im Kittche!“