Das Monster setzt sich in Bewegung
„16 Uhr 11“, brüllte Flöter mit Donnerstimme. Er hatte die Bewachung der Straßensperre an Schwarze Erich abgegeben und stattdessen die Spitze des Zuges übernommen. Den amerikanischen Jeep hatte er requiriert und saß wie Gott Jokus, leutselig winkend, auf dessen Kühlerhaube.
„Alla! Es geht los! Herr Kabellmääschda, walde deines Amtes!“
Der Dirigent senkte seinen Taktstock und die Rodalbtaler Blaskapelle setzte sich unter Getöse in Bewegung. Zu den Klängen des
folgte ihr der närrische Lindwurm. Allenthalben tönte es „Helau! Helau! Alaaf!“, einzelne Wortfetzen aus dem Gejohle ließen sich vernehmen:
„Geh mol vun meim Fuß erunna.“
„Stell ne doch woannaschda hie!“
„Gugemol die Rodalwa Hundefressa, Mussig mache kinne se awwer!“
„Das do isch doch nix! Do hädschde mol solle siehn wie anno finfedreissich die Braune uffgespielt hän. Das wa zaggisch! Unser Fahne fladdert vor uns här…“
„Geh doch foat du alda Nazi, mit deim braune Gesocks!“
„Friea war alles bessa un die Ochse hän aach diggere Käbb gehäd!“
„Eijoh?“
„Eijoh!“
Am lautesten quiekten und schrien die Landfrauen, die schon ordentlich getankt hatten und sich gackernd wie eine Horde Federvieh teilweise gegenseitig stützen mussten. Herberts Traktor knatterte asthmatisch und stieß übelriechende, schwarze Qualmwolken aus, als er losfuhr. Pfarrer Schleicher führte breitbeinig, mit gequältem Lächeln und unter Atemnot seine Schäfchen an, während er mit der Grazie eines Ratzinger a.D. huldvoll links und rechts den Segen erteilte.
Die Burschenschaft Palatinia, angeführt von ihrem gewixten Senior, barg das Fässchen Bier schützend in ihrer Mitte. Die Krüge waren noch einmal aufgefüllt und die Gesellschaft marschierte in militärischer Ordnung mit bierernsten Gesichtern, als zögen sie zu einer Mensur auf den Paukboden.
Die Fahnen- und Flaggenträger der verschiedenen Vereine schwenkten Ihre Tücher. Alles brüllte, jubelte, lachte. Ein grandioser Anblick bot sich den Betrachtern und den Fernsehkameras, auf die der Zug, die Hauptstraße hinauf, nun zu marschierte.
Das Zwitschern der Flöten und das Gerassel der Trommeln des Hinterweidenthaler Spielmannszuges rundete die Sache trefflich ab.
Die Menschenmassen, die den Zug säumten freuten sich, riefen, brüllten, lachten, quiekten, grüßten zurück und ließen die Laola-Welle laufen, kurzum: ein Spektakel, das man in dieser Art in der piefigen Südwestpfalz noch nie gesehen hatte. Die beiden strategisch günstig postierten Fernsehkameras zeichneten alles auf und Flöter, als Organisator, fuhr vorneweg und sonnte sich im Glanz dieses niemals verblassenden Ruhmes. Noch seine Urenkel würden von diesem Tag berichten, mit dem er sich als Lokalpolitiker endlich unsterblich gemacht hatte. Es war ein glücklicher, fröhlicher und über die Maßen erfolgreicher Tag für den kleinen Weiler Höhfröschen, bis…
Nach rund dreihundert Metern Marschstrecke, gab Herberts Traktor, kurz nach dem Abzweig ins Dichterviertel mit einem lauten Knall und unter Ausstoß einer schwefeligen, weißgelb zischenden Nebelwolke den Geist auf. Der närrische Lindwurm geriet sofort ins Stocken. Die Rodalbtaler Blasmusik, völlig professionell, spielte tapfer weiter, wohingegen das Tirili der Flöten und Trommeln des Spielmannzuges, die das Schlusslicht bildeten, mit hässlichem Getriller in sich zusammenfiel.
Herbert sprang fluchend ab, öffnete die Motorhaube. Mit einem „Puff“ entwich sofort eine heftige Rußwolke, die sein schönes Clownskostüm rabenschwarz färbte. Auch die beiden Damen auf dem Trecker bekamen ihr Teil ab und husteten.
„Drägsding, dräggisches! Varräter! Verrägge sollschde!!“, brüllte Bickelmann und traktierte die unschuldige Maschine mit Fausthieben und Fußtritten.
„Zu spät, Herbert“, tönte es lautstark aus den umstehen Menschenmassen. „Hadder doch schun gemacht!“ Das Gelächter war ebenso unbeschreiblich, wie die leuchtend hochrote Farbe in Herberts Gesicht, die einen lieblichen Kontrast zu seinem schwarzen Kostüm bildete.
Flöter bahnte sich einen Weg durch die Menge. „Herbert, du Aasch! Das isch Sabotaasche! Hädsch da kää bessara Zeitbunkt aussuche kenne. Das Ding muss weg. Sofort! Un dann ziehe mir ohne Trakdor weida!“ Über Funk wies er Schwarze Erich an, mit dem Feuerwehrauto, das nur wenige Meter entfernt immer noch die Zufahrtstrasse blockierte, für die Entfernung des Hindernisses zu sorgen.
„Un was isch mit derer Strossesperr?“, quäkte es aus dem Lautsprecher des Funkgerätes.
„Scheiß druff. Mach was isch dir saan un schaff dei Aasch do här. Rottscher!“
Kurz darauf wurde das Blaulicht des Feuerwehrautos sichtbar und bewegte sich im Schritttempo näher. Just in diesem Augenblick traf der Mannschaftsbus der Bereitschaftspolizei Kaiserslautern ein. Schuricke hatte bereits vor Stunden Verstärkung angefordert. Er ging richtigerweise davon aus, dass er die Menschenmassen mit seinen drei Wachtmeistern nicht würde im Zaum halten können.
Der Führer der Einheit lies den Bus kurzerhand die Straßensperre übernehmen und befahl seinen Leuten abzusitzen. Die rund vierzig, mit Helmen und Schilden bewaffneten Figuren waren gut geschult und bereits instruiert. Sie verteilten sich links und rechts des Weges und nahmen dort mit ernsten Mienen Aufstellung. Schwarze Erich hatte indessen den Traktor erreicht und begann mit der Bergung.
Die Menschenmassen johlten, brüllten, man riss Witze. Kurzum, die Gaudi hätte kaum größer sein können.
„Do werd jo was gebott fiersGeld.“
„Hätt ma denne Fresch ga ned zugetraut, dass die so e spassischer Zuch uff die Bää stelle.“
„Un die Idee mit däm Traktor kinnt von mir sin.“
„Schwäz doch ned so domm, das hän die doch ned extra gemacht. Der isch vun selwat kabutt gang.“
„Nie im Lääwe. Das war Absicht. E Spässje fier die Leit.“
„Eijoh?“
„Eijoh!“