Bum
Der Zug stand noch immer, die Sanitäter kümmerten sich um den komatösen Pfarrer, die Feuerwehr versuchte den liegengebliebenen Traktor zu bergen und das Volk amüsierte sich. Über Funk vergewisserte sich der Fernsehreporter zum hundertsten Male bei seinen beiden Kameraleuten, ob auch ja alles im Kasten sei und träumte im Stillen vom Grimme-Preis. Die genervten Kameramänner, deren einer soeben den Pfarrer in Großaufnahme ins Visier nahm, gaben schon gar keine Antwort mehr.
Der Fuxmajor zupfte den Senior am Gewand. Die dreißig Liter Bier, die in Stundenfrist durch die Studentkehlen gegurgelt worden, zollten ihren Tribut. Die palatinischen Zungen waren bereits deutlich schwerer geworden.
„Chef, wwir müssten mal die gebrauchden Getränke entsorschen.“
Der Angesprochene sah sich um. Auch ihn drückte ein menschliches Rühren, doch musste er als Vorstand der Palatinia mit gutem Beispiel vorangehen und kniff schon eine Weile die Arschbacken zusammen..
„Wwir können ja schlecht hier midn aufauf die Schtraße pissn. Gibt’s kkein mobiles WC irgndwo?“
„Weit un bbreit nix zu sehen. Aber die gguten Leute hier sind alle so beschäftigt… Wir könnten kurz inen Vorgarten da springn, die Sache hinter dem Rriesengebüsch dort erledigen und wären schneller wieder da, als die Ddörfler ihren Pfarrer wiederbelebt haben. Keine Sau würde etwas merken“, schlug der Fuxmajor mit alkoholschwerer Zunge vor.
Der Senior nickte. „OKkk, auf mein Kommando, alle Mann übern Zaun und hinter den Busch.“ Er sah sich um: „Jetzt!“
Wie befohlen setzten alle sieben Studenten über das Hindernis und versammelten sich hinter dem tatsächlich riesigen Kirschlorbeerbusch, der auch jetzt im Winter sein volles Blattwerk trug und damit den Vorgang trefflich gegen die Straße abschirmte.
„Dder brave Mann hat Sschädlinge“, stellte der Burschenschaftspräsident lallend fest, als er der vielen Maulwurfshügel gewahr wurde. „Wir solltn ihm etwas zur Hand gehen.“ Nach zwölf Semestern Biologie und Erziehungsschwierigenpädagogik auf Lehramt wusste er natürlich, wie man dieses Problem beseitigen konnte. Er nahm torkelnd Aufstellung vor dem größten der Löcher, nicht ahnend, dass die Viecher längst Reißaus genommen hatten.
„Jjeder schtellt sisch vor ein Loch, Mämänner. Und auf mein Kommando erssäufn wir die Talpiden in ihren Höhöhlen. Hähähähähä. Ssinwirssoweit?“
Er nahm einen tiefen Atemzug der frischen, schwach acetylenhaltigen Atmosphäre*.
„Ahhh, ddie gute Llandluft.“ „
Ppalatinia schdillgestann!“
„Leegt an.“
Alle Mann nestelten an ihren Hosen und packten die Waffen aus. Der Chef fummelte seine Zigaretten aus der Tasche, suchte nach dem Benzinfeuerzeug und ließ den Deckel aufschnappen.
„Fertigladen!“
„Ziziel anvisieren!“
„Geebt Feuer!“, brüllte der Befehlshaber und sieben zum Platzen gefüllte Studentenblasen begannen sich in je ein Maulwurfsloch zu entleeren. Es dampfte und spritzte und zischte. Und es stank. Der Burschenhäuptling holte noch einmal tief Luft und trieb mit seinem Daumen das Reibrad über den Feuerstein…
+++BREAKING NEWS+++BREAKING NEWS+++ BREAKING NEWS+++
“Hier ist der Rundfunk im Südwesten. Wir unterbrechen unser laufendes Programm für eine Sondermeldung: Bei einem Faschingsumzug in Höhfröschen in der Südwestpfalz hat es offenbar einen Sprengstoffanschlag gegeben. Genauere Umstände sind noch nicht bekannt. Die Lage ist völlig unübersichtlich. Erste Augenzeugen sprechen jedoch von mehreren Explosionen. Es wird von Toten und Verletzten ausgegangen unter denen sich auch der Dorfpfarrer und die Kommunionkinder des Ortes befinden könnten. Die Polizei schließt einen terroristischen Hintergrund nicht aus. Wir haben ein Kamerateam vor Ort und hoffen in den nächsten Minuten auf Livebilder. Bleiben sie dran. Wir informieren sie, sobald es etwas Neues gibt.“
Diese oder ähnliche Meldungen flimmerten, der globalen Nachrichtenvernetzung sei Dank, zeitgleich über die Bildschirme der Fernsehgeräte von Neu-Delhi bis Neufundland, von Kapstadt bis Bergen, von Shanghai bis Washington und rückten Höhfröschen endlich dahin, wohin es nach Meinung der Stammtischbrüder im Hermersberger Eck schon immer gehörte: in den Blick der Weltöffentlichkeit.
Als erster reagierte, wie üblich:
@**********aldDuck:
Look for Höhfröschen. Höhfröschen in Germany. Who would have thought. All the blood and the tears. We will find the murderers and punish them hard.
Bundesdeutsche Politiker aller Couleur zeigten sich tief betroffen, überschlugen sich mit Beileidsbekundungen, schoben wechselseitig die Schuld für die Versäumnisse der Vergangenheit hin und her und mutmaßten über die Verbrecher und insbesondere deren Herkunft, die – da war man sich schnell einig – ausschließlich in terroristisch islamischem Umfeld zu suchen sei.
Ein Minister sicherte den Opfern schnelle und unbürokratische Hilfe zu und vergaß nicht, die verbrecherisch feige Tat auf das Schärfste zu verurteilen. Selbstverständlich werde die Wertegemeinschaft auch diesen schweren Schlag verkraften und man werde sich auf keinen Fall vor der Wut des Terrors beugen, sondern weiterhin Fassnachtsumzüge und Weihnachtsmärkte veranstalten. Mit diesen Worten stieg er in seine gepanzerte Limousine um sich nach kurzer Fahrt mit den entsprechenden Gremien über den Fortgang der Maßnahmen zu beraten.
Sonderkommissionen wurden gebildet, Notfallseelsorgergruppen rückten aus, kurz und gut: die gesamte Anti-Terror und Beileidsmaschinerie kam ins rollen. Sachverständige gaben auf allen Fernseh- und Radio Kanälen Statements ab. Der Krisenstab der Bundesregierung bezog den Eifelbunker um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein.
Die Flughäfen von Zwei- und Saarbrücken registrierten eine Fülle von Slot-Anfragen. Eine Sondermaschine mit Hilfsgütern wie Milchpulver, Decken und Zelte folgte der anderen. Das THW bereitete Notquartiere vor. Polizei und Bundeswehr wurden in Alarmbereitschaft versetzt. Zahlreiche Hubschrauber umkreisten den Ort der fluchwürdigen Tat. In einem Satz:
Der Teufel war los in, um und wegen Höhfröschen.
Flöter und Bickelmann standen noch immer am lendenlahmen Traktor. Sie wischten sich die umhergeflogenen Dreckbrocken von den Anzügen und schauten sich ratlos um:
„Wääsch du was eischentlich los isch?“, fragte Flöter unseren Herbert.
„Kää blassa Schimma.“
„Solle mer mol gugge gehn?“
„Eijoh.“
*Für die wenigen unter uns, die im Chemiekurs gepennt haben, hier eine kleine Abhandlung über die Eigenschaften von Karbid:
https://de.wikipedia.org/wiki/Carbide