Weiter gehts...
„Das do is ganz no meim Geschmack!“ brummte Flöter stillvergnügt, während er seinen Diesel auf die B10 Richtung Osten lenkte. „Die Weiwer sin aus de Fieß un mir hän Freizeit. Das wird bestimmt e spassicher Omend.“
„Das kannsch du awwer singe!“, nickte Herbert. „Do werre mir schon defier sorje, dass der do Omend spassich wird.“ Er schnalzte mit dem schwarzen Gummihosenträger, mit dem er die Hose seines verschossenen Beerdigungsanzuges auf Haltung getrimmt hatte. Die knallbunte Krawatte mit den Elefäntchen, die ihm seine Frau zur Silberhochzeit geschenkt hatte, kennzeichnete ihn als Mann von Welt. Flöter, ganz Gentleman, trug einen Smoking, der zu einer Zeit beschafft worden war, als man Karlfried die vielen beschwerlichen und anstrengenden Sitzungen der verschiedenen Gremien, denen er vorstand, noch nicht am Doppelkinn angesehen hatte.
„Kennscht du de Wääch?“, fragte Herbert unvermittelt. „Vielleicht hädde mir die Adress uffschreiwe gesollt?“
„Kabbes! No Offebach isses doch net weit. Das fahrt mei Diesel blind. Do ware mir schon oft.“
„Awwer die Stross wääschde doch ned?“
„Ei unn? So groß is Offebach jo ned, do wird doch ääner die groß Oper kenne, do froche ma halt.“
Herbert gab sich zufrieden. Flöter war, das erkannte jedermann in der Gemeinde an, der geborene Führer. Wenn Karlfried brüllte, marschierte alles hinterher. Das war ja auch ganz praktisch, warum sich denn selbst Gedanken machen. „Der Flöter hat de diggschde Wuzzekopp“, behaupteten die Dörfler „der kann aach am scheenschde fier uns dengge!“,
Der Diesel schnurrte dahin. Man sprach nicht viel. Herbert hatte Herzrasen. Endlich! Endlich! Endlich! Sein bestes Stück war schon latent auf Halbmast. Seit sie den Entschluss gefasst hatten auf Abenteuer zu gehen, konnte er vor Geilheit fast nicht mehr laufen. Die Eier taten ihm weh. Flöter tat so, als ließe ihn das alles kalt. Er war ja Kavalier und Gentlemen, dem die Dorfschönheiten zu seinen besten Zeiten reihenweise zu Füßen gelegen hatten. So ein bisschen große Oper brachte ihn doch nicht in Aufruhr. Ihn doch nicht! Obwohl… tief im Innern… wallende Nebel, zuckendes Fleisch, orgiastische Schreie… Er atmete tief durch und konzentrierte sich aufs Fahren. Später KF, später, beruhigte er sich, später.
Es ging schon auf sechs. Sie passierten den Trifels, der malerisch in der frühen Abendsonne lag.
„Gleich hämmers. Noch zeh Kilomeder.“
Herbert wurde aus seinen angenehmen Gedanken gerissen. „Eijoh“, sagte er „do misse mier mol gugge, dass mer jemand finne, der wo Beschääd wääs.“
Auch die letzten Kilometer spulte Karlfrieds Diesel munter ab und bald rollten sie durch das beschauliche Offenbach, das um diese Zeit wie ausgestorben lag.
„Do is jo kää Mensch uff da Gass“, wunderte sich Herbert „ich hän wunners gedenkt, was die do fier e Nachtläwe hädde. Do vorne kummt e alt Oomasche, die frooch ich mol, halt mo aan, Karlfried.“ KF bremste den Wagen neben der Alten ab und Herbert öffnete die Scheibe.
„Ei gunn Dach, guddie Fraa!“, brüllte er ihr entgegen.
„Mein Gott, Herbert, schrei doch ned so, muss jo ned glei es ganze Dorf wisse wo mir hinwolle.“
„Jo, hasch reschd, ich honn gedenkt dir heert vielleicht nimmi so gudd…“ konnte Herbert gerade noch heraus bringen, als die Alte bereits ihre große Nase durch die Seitenscheibe steckte und die Insassen neugierig musterte.
„Ich heere noch subba!“, sang sie in ihrem südpfälzischen Dialekt. „Awwa so zwää Schlabbefligga wie eich hämmer do schung lang nimmi gesehe.“, krähte sie fröhlich in Anspielung auf das Pirmasenser Nummernschild. „Wo wollener dann hie, ihr Buuwe?“
„Ei mer suche die groß Oper, Oma´sche. Wo issn die?“
Die Alte legte ihre Stirn in umfangreiche Falten und kratzte sich an der Nase.
„Die groß Oper? –
„Ei jo!“ -
In Offebach? –
„Ei jo!“ -
Sinner sicha?“ Nach jedem Satz machte sie eine Pause. Ihr Gesichtsausdruck verriet deutlich, was sie von den beiden Pappenheimern hielt. Klarer Fall, die waren bekloppt.
„Eijoh simmer sicha, schunsch wäre ma jo ne do, odder?“
„Also wie isch es ledschdemol in dera Oper war, des war neinzehhunnerfinfedreissisch, do hat de Adolf denne Saalenner…“
Den Rest hörten sie nicht mehr. Herbert hatte flugs den Fensterheber gedrückt und Karlfried gab Gas, dass die Reifen quietschten.
„Leck mich doch!!! Die do Scheisspälzer!“, blökte KF. Unausgesprochen bestand Einigkeit darin, dass damit nur die Südpfälzer gemeint seien.
Der nächste Passant wusste zwar auch nichts über die große Oper, hatte jedoch den Rat: „Guggen emol do vornne, do is die Tourismus-Info. Vielleicht wääs dort jemand Beschääd.“
Gesagt. Getan. Karlfried, dessen Blutdruck schnell ans Limit geriet, stürmte aus dem Auto. Herbert hinterher.
Tourismusbüro am Wochenende geschlossen. Dienststunden Werktags von 9-11 Uhr.
„Scheiße! Scheiße! Un abermals Scheiße! Was isn das fier e Scheißorganisation? Wieso kennt sich in dem Dreggskaff kääner aus. Das do gebbts doch ned.“ Flöter stampfte mit dem Fuß. Herbert hatte derweil am Touristenschuppen einen Schaukasten entdeckt und musterte interessiert den Inhalt. Er grinste bis zu den Ohren und man musste kein Zahnarzt sein um das Fehlen der Zähne zwo-fünf bis zwo-acht im Oberkiefer zu erkennen.
„Was lachschn Du wie e Honichkuche?“, schrie Karlfried in seiner Wut. „Mir fahre jäz hämm un gehn bei de Kurt und dort gäb isch mir die Kann! Scheiß Idee. Große Oper. Aus. Schluss. Ferdisch.“
„Jäz reech dich ned so uff. Du hasch doch aangäb, wie e Tut voll Migge, dei Diesel däät de Wääch von allään finne. Un iwwerhaupt: Dass ihr Bolidiker imma so wänisch Geduld hän“, grinste Herbert „Guggemol do!“
In der Ecke des Schaukastens, ganz unten rechts, war ein kleiner aufgeklebter Zettel, auf dem sich eine schwarze Visitenkarte, mit aufgedrucktem orangefarbenem Korsett befand. Home of Fetish People.
Wanderer kommst Du nach Offenbach, stand da, und suchest die Opera Grande, gib diese Adresse in dein Navi ein: Christoph-Platt-Str. 11, Offenbach am Main. Hinten links ums Gebäude herum. Wir sehen uns und Gruß. J.C.
Karlfried, der in solchen Dingen praktisch dachte und auch bei Niederlagen von keinerlei Schamgefühl geplagt war, hatte sein Handy bereits in der Hand und machte ein Foto. Seine Stirn lag in Falten. „Was heisstn do Feddich-People?“, grübelte er. „Sin dort am Änn lauter iwwerschwere Weiwer? Dann will isch do ga ned hin.“
Herbert grinste noch immer über beide Backen. „Quatsch das hääst Feedich mitme longe ee. Das sin die wo Ledder un Gummi aanziehe un die Weiwer han Strapse!“ Karlfried gab die Adresse in sein Navi ein.
„Hunnertneunedreissich Kilometer. Das schaff ich inner Stund!“