*Sechs* - Navarre Teil 4
Teil 4 „Navarre“
Er schaffte es nicht aufzuwachen. Immer wieder quälte ihn dieser Traum. Er steckte bis zum Hals im Morast fest. Bewegungsunfähig und hilflos musste er zusehen, wie ihm seine Liebste entglitt - sich in Nichts auflöste von unheimlichen Schatten verzehrt. Dunkelheit.
Mühsam öffnete Diego die Augen. Starrte auf eine weiße Wand. Gefühlte Ewigkeiten versuchte er einen klaren Gedanken zu fassen. Wo befand er sich und was war passiert? Er versuchte sich zu erinnern, aber sein Kopf dröhnte und irgendetwas hinderte ihn daran, sich zu bewegen. Seine Augen fielen wieder zu.
Irgendwann, wie im Traum nahm er Stimmen wahr. Sie sprachen über ihn, als wäre er nicht anwesend.
„Wird er überleben?“
„Das weiß Gott alleine, aber wir konnten feststellen, dass er sich unterhalb der Lenden nicht bewegt hat, Don Ruiz Vicaro.“
„Gut! Das erspart mir ein weiteres Vorgehen.“
Die Stimmen entfernten sich und Diego fiel wieder ins schmerzfreie Dunkel.
~
Lucia hatte sich schon zeitig aus dem Haus geschlichen, da sie sich noch umziehen musste. Die Knabenkleider saßen perfekt und die Haare verbarg sie unter der Kopfbedeckung. Sie hatte nur einen kleinen Beutel mit persönlichen Wertsachen dabei, die schon vor der Ehe in ihrem Besitz waren. Sie wollte nichts dabei haben, dass sie an ihren Mann erinnerte!
Zur passenden Zeit, machte sie sich auf den Weg zum Stall.
Die Gassen war sehr belebt und Lucia fiel nicht auf.
Zwei Pferde standen schon gesattelt und mit Proviantbeuteln bestückt bereit. Diego hatte an alles gedacht. Nervös verbarg sie sich in einer der leeren Boxen und wartete. Die Zeit kroch dahin, ohne das Diego erschien. Lucias Herz klopfte bis zum Hals, eine unaussprechliche Angst erfasste sie. Plötzlich hörte sie Schritte - erleichtert trat sie aus ihrem Versteck und blickte direkt in das Gesicht ihres Gatten.
„Nun meine Liebe, aus deinem geplanten Ausflug wird leider nichts! Dein Buhle hat inzwischen sein Leben ausgehaucht und wurde von den Stieren zu Brei gestampft!“
Lucia stand stockstarr und keiner Worte fähig vor Don Ruiz. Das Entsetzen, bei seinen Worten, spiegelte sich in ihrem Gesicht wieder, während er hämisch weitersprach.
„Hast du denn allen Ernstes geglaubt, dass deine tagelangen Aktionen unbemerkt geblieben sind?!
Schon als dein Bruder von der Begegnung mit diesem Abenteurer berichtet hat, habe ich einen Spitzel engagiert. Ein Junge, der sich richtig ins Zeug gelegt hat und gut belohnt wurde! Weiter bleibt nun nichts mehr zu sagen. Ehebruch und böswilliges Verlassen, reichen um dich in ein Kloster zu sperren. Die Kirche wird unsere kinderlose Verbindung nur zu gerne annullieren, so dass ich ein anständiges Weib heiraten kann!“
Mit diesen Worten drehte er sich um, winkte zwei Burschen heran die Lucia packten und zu einer bereitstehenden Kutsche zerrten. Sie wehrte sich nicht. Alle Hoffnungen auf ein neues Leben zerflossen in ihren Tränen. Ihr Geist war abgedriftet, in dem Moment, als Don Ruiz vom Tod Diegos sprach. Die gehässigen Worte prallten an ihr ab, nur weg von diesem Monster, egal wohin.
~
Navarre starrte sein Gegenüber immer noch an wie eine Geistererscheinung, während er allmählich aus den Erinnerungsfluten der Vergangenheit auftauchte.
„Don Diego.....?“
Die Frau starrte ihn in gleicher Weise an - von Erinnerungen überschwemmt und mit vernebeltem Verstand.
Sekunden dehnten sich zu Minuten, in denen beide nicht im Stande waren sich zu bewegen.
Dann endlich löste sich die Starre und Navarre machte einen Schritt auf sie zu. Er riss sie förmlich in eine nicht enden wollende Umarmung, aber sie machte auch keine Anstalten sich daraus zu lösen.
„Lass uns einen Platz zum Reden suchen...“ Navarres Stimme klang rauh, fast flüsternd, als könne jeder Ton sie fortwischen, wie ein Trugbild.
Er nahm ihre Hand und zog die immer noch Sprachlose mit sich.
Jahre der Trennung weggefegt in einer einzigen Umarmung.
~
Epilog
Lucia, in der Gewissheit von Diegos Tod, siechte lange Zeit, kaum bei Verstand in der Zelle eines Klosters vor sich hin. Sie hatte ihre Lebenslust verloren, aß und trank nur das Nötigste und sprach kein Wort.
Diego, der zwar am Leben war, aber durch eine Lähmung bewegungsunfähig, wurde von den Mönchen weiter versorgt.
Seine Erinnerung an die Geschehnisse war auch nach Wochen nur bruchstückhaft vorhanden.
Es war einer der „Ewigen“, der als Arzt durch die Lande zog der Beide zu unterschiedlichen Zeiten zu seinesgleichen machte. Nur die wirklich hoffnungslosen Fälle interessierten ihn, er suchte regelrecht danach.
Er wandelte sie ohne die Hilfe der Anderen, denn die Regeln dazu existierten zu jener Zeit noch nicht. Diego wurde vollständig geheilt durch die Verwandlung und Lucia gelang dank der neuen Fähigkeiten, die Flucht aus ihrer Klosterzelle.
Sie hatten ihr neu geschenktes Leben gelebt, ohne vom anderen zu wissen. Die Bestimmung, oder der Zufall, schickte sie jetzt auf einen gemeinsamen Weg.
04.04.2021
@******s23