•sechs•
Widerspruchslos ließ Ivana sich von Madame durch die Flure des Hauses und eine längere Treppe abwärts ziehen. Das Haus schien sich unterirdisch noch weiter zu erstrecken, als man es von außen vermutet hätte. Sie war ganz ruhig, fast hätte sie gelächelt bei dem Gedanken, was Madame wohl gerade durch den Kopf ging.
Gut! Sie kannte Navarres Geheimnis nicht und somit auch nicht das ihre. Madame blieb stehen und öffnete eine Tür. Die unscheinbare Außenseite tarnte einen voll ausgestatteten S/M Raum, klassisch in schwarzrot gehalten. An der Frontseite das unvermeidliche Kreuz und ein relativ kleiner Käfig, der die Möglichkeit bot nach oben gezogen zu werden. Ein mittelalterlicher Pranger, ein Strafbock, und die Wände hingen voll mit den verschiedensten Schlaginstrumenten. Den Inhalt zweier großer Holztruhen konnte sie nur erahnen.
Vor dem Pranger drückte Madame sie auf die Knie. Diese kleine Person hatte mehr Kraft als Ivana vermutet hätte. Madame öffnete den oberen Teil der schweren Holzbalken und forderte sie auf, Kopf und Hände hineinzulegen. Als Ivana in Position war, verschloss sie das Gestell sorgfältig, ging zu einer der Truhen und holte einen Ballknebel heraus. Nur widerwillig ließ Ivana sich das Ding in den Mund zwingen und kaum war er angelegt, wünschte sie die alte Hexe ins Pfefferland, denn sie hatte ihn so fest zugezogen, das sie fast würgen musste. Außerdem fand Ivana es schlicht widerlich, wenn ihr Speichel aus den Mundwinkeln lief. Da dieser Pranger nicht für ihre Größe gemacht zu sein schien, konnte sie nur mühsam knien. Versuchte sie den nackten Hintern zu senken, dann wurde es am Hals unerträglich eng.
Trotz der unangenehmen Situation bemerkte Ivana, das dieses unfreiwillige Spiel sie erregte. ´Verdrehte Welt´, dachte sie bei sich. Ihre Aufmerksamkeit wurde abgelenkt, denn Madame öffnete eine versteckte Tür, die sie nicht bemerkt hatte, so geschickt war sie getarnt.
Ivana erschrak, als sie sah, dass Niel in der kaum mannshohen Nische dahinter stand. Sitzen wäre wegen der Enge nicht machbar gewesen für ihn. Bis auf einen ledernen Keuschheitsgürtel, der so eng war, dass man sehen konnte, wie die Ränder in die Haut schnitten, trug er nichts. Seine Männlichkeit schien regelrecht in das Futteral gezwängt und seine Gesichtsfarbe war alles andere als gesund. Madame packte ihn unsanft am Futteral, so dass er aufstöhnte, und dirigierte ihn zum Strafbock, um ihn dort bäuchlings zu fesseln.
Ivana war entsetzt über Madames Kälte und Gefühllosigkeit bei dieser Aktion, doch ihre Gedanken und die Eifersucht, die sich darin spiegelte waren noch schlimmer. Madame hatte es nicht verwunden, dass ihr Eigentum sich fast mit Ivana eingelassen hatte und das bekam Niel mit voller Wucht ab. Da sie Ivana nicht in der Form abstrafen konnte, wie sie es gerne getan hätte - sie hatte zuviel Respekt vor Navarre - würde Niel ihre Wut abbekommen.
Laut verkündete sie: "Niel wird nun das bekommen, was du verdient hättest! Du wirst zusehen mit dem Gedanken, dass es deine Schuld ist!"
Ivana wollte protestieren, aber der Knebel machte es unmöglich, auch nur ein deutliches Wort herauszubekommen. Nur ein unverständliches Genuschel kam heraus.
Zu Niel gewandt sagte sie: "Es ist Ivanas Schuld, denn sie hat entschieden, lieber bei dir zusehen zu wollen, als selber gestraft zu werden!"
Ivana wurde rot vor Wut ob dieser dreisten Lüge und machte einen Versuch sich zu befreien - natürlich erfolglos. Vor lauter Zorn war sie unfähig sich zu konzentrieren oder ihre Gedanken zu steuern. Sie musste sich beruhigen, um sich intensiv in Madames Gedanken zu klinken. Niels schreckensbleiches Gesicht ließ auch nichts Gutes vermuten, denn er wusste vermutlich, was für ein Mensch Madame war. Unglaublich, wie sehr Ivana sich vom Äußeren dieser Frau hatte täuschen lassen!
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Madame leistete ganze Arbeit, und Ivana war es nicht möglich, das Klatschen der Schläge, Niels Stöhnen und Schreien und Madames verbale Entgleisungen auszublenden, um die nötige Konzentration aufzubringen und ihren Willen so zu bündeln wie sie es bräuchte, um diese Furie zu bremsen.
Verdammt... Niels Körper war inzwischen überzogen mit roten Striemen, die zwar nicht tief aber sicherlich schmerzhaft waren, da sie dicht an dicht prangten. Nicht mal seine Fußsohlen ließ diese Person aus. Ivana wurde immer wütender, denn sie konnte an Niels Augen sehen, die fast am Überlaufen waren, dass Madame es übertrieb.
Nach einer gefühlten Stunde ließ sie endlich von ihm ab und löste seine Fixierung.
Was dann geschah, konnte Ivana nicht nachvollziehen. Niel warf sich dieser Person zu Füßen, küsste ihre Heels und bedankte sich. Zum Dank dafür erhielt er noch eine schallende Ohrfeige, denn sie hatte ihm nicht die Erlaubnis gegeben zu reden, geschweige denn sie mit seinen unwürdigen Lippen zu berühren.
Schnell kam er ihrem Befehl sich zu entfernen nach.
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Madame wandte sich ihr zu: "Lass dir das eine Lehre sein! Du bist Eigentum deines Herrn, ein eigener Wille steht dir nicht zu! Das, was du getan hast, geht gar nicht. Du bist unwürdig und unerzogen. Ich hoffe, Navarre wird dir das im Club am Abend mit aller Härte klar machen. Bis dahin kannst du da hocken bleiben und nachdenken!"
Mit diesen Worten verließ Madame den Raum und löschte das Licht. Schlagartig war es stockfinster. Ivana zog tief Luft durch die Nase und fühlte ihren Speichel am Kinn entlang rinnen.
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Es dauerte nicht lange, bis ihre besondere Sehkraft das Dunkel durchdrang, aber das war im Augenblick gar nicht von Belang. Ivana konzentrierte sich und blendete ihre körperliche Ebene komplett aus. Erstaunlich, nach und nach entdeckte sie immer mehr Fähigkeiten, die ihr zur Verfügung standen und sie hatte vor, alles zu erforschen und auszuprobieren, was ihr geschenkt worden war.
Die Frage war, was sollte sie in Bezug auf Navarre unternehmen?! Sie hatte sich in ihn verliebt, aber weder würde sie ihren eigenen Willen noch Ihre Persönlichkeit für ihn aufgeben wollen! Das Ausleben von Phantasien war eine Sache, aber sich seinem Willen zu unterwerfen eine ganz andere. Sie war keine Sklavin und würde niemals eine sein. Sie hatte sich als seine Gefährtin gesehen, mit spielerischen Einlagen. Sicher war ihr Verhalten heute absolut daneben gewesen, das wusste sie selber, hatte aber mit dem, was er nun wollte nicht das Geringste zu tun. Vielleicht war es sogar gut, dass sie nun wusste, was er gewollt hatte. Vermutlich hatte er genau das schon bei ihrem ersten Zusammentreffen angestrebt. Das war wohl auch der Grund, warum er so verbissen hinter ihr her gewesen war, nur um sie dann zu dem zu machen, was sie nun war. Er hatte sie nicht gefragt, sondern es getan, weil er es so wollte. Sie hätte "ja" gesagt, das wusste sie, aber das war nicht der springende Punkt. Sein Wille, sein Ego waren ihm wichtiger gewesen als ihr Einverständnis einzuholen. Langsam sah Ivana ganz klar.
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Überrascht schaute sie auf, als Madame das Licht anknipste und verkündete, dass der Morgen angebrochen sei. Madame dagegen wirkte sehr irritiert, als sie Ivana aus ihrer Lage befreite und dabei ihren festen Blick kreuzte.
´Gut, dass ich dieses störrische Luder nicht zur Erziehung am Hals habe!´ dachte sie und entlockte Ivana damit ein innerliches Grinsen.
Kaum vom Knebel befreit, forderte sie eine Dusche und angemessene Tagesbekleidung - schließlich habe sie ja noch viel Zeit bin zum Abend. Madame konnte darauf nichts einwenden, zeigte ihr das Bad und ließ ein Kostüm bringen, das Ivana am Vortag ausgewählt hatte.
Knapp zwei Stunden später saß Ivana in einem Taxi auf dem Weg ins Pariser Künstlerviertel. Sie vereinbarte mit dem Fahrer, dass er sie in 2 Stunden wieder abholen solle, da sie noch ein paar Besorgungen zu machen hatte.
Glücklicherweise war Navarre wie erwartet nicht in ihrem Quartier, so dass sie rasch ihre Sachen zusammenpacken konnte, vor allem aber ihr Geld und die Papiere. Dann suchte sie ein Reisebüro auf und buchte ihr Rückflugticket um.
Auf der zum Sacre Coeur führenden Treppe sitzend genoss sie noch den Geschmack eines Milchkaffees und leckte genüsslich den Schaum von ihren Lippen, während sie das geschäftige Treiben ringsum beobachtete.
Einer der Straßenmaler stand plötzlich vor ihr und wedelte mit einer Kohlezeichnung vor ihrer Nase herum. "Merci!" sie lächelte ihn an und kramte nach einem kleinen Schein. Erstaunlich, wie gut er sie getroffen hatte. Da hupte auch schon ihr Taxi. Flink schnappte sie ihre Tasche und ließ sich kurz darauf in die Sitze fallen. "Zum Flughafen" gab sie dem Fahrer Bescheid und schaute auf ihr Ticket - Schottland - ich komme!!
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Langsam senkte sich die Sonne und das diffuse Licht zwischen Tag und Abend brach herein.
Navarre, der nach seinem Telefonat mit Madame im Bilde war, lehnte bequem vor den Eingang des Clubs an der Hauswand, um Ivana direkt vom Taxi abzuholen. Er war gespannt auf Ihre Reaktionen und ihr Verhalten, denn ihm war klar, dass Madames kalte Art ihre Laune vermutlich nicht gehoben hatte. Was soll's, das hatte sie selber zu verantworten. Leise lächelte er vor sich hin und freute sich auf diese Nacht.
In dem Augenblick fuhr ein Taxi vor und er schaute erwartungsvoll auf. Der Fahrer stieg aus und kam auf ihn zu. "Monsieur Navarre...?" fragte der Mann und wartete gerade das bestätigende Nicken ab, übergab Navarre einen mittelgroßen braunen Umschlag und hatte es sehr eilig fortzukommen.
Eine böse Vorahnung beschlich ihn, als er das Cuvert öffnete und den Inhalt hervorzog.
Ivana schaute ihn von einer Kohlezeichnung an, auf Stufen sitzend mit einer Tasse in der Hand und verträumt in die Ferne schauend....
Regungslos stand Navarre da und starrte das Bildnis an. Ein unglaublicher Schmerz durchfuhr ihn, als er realisierte, dass er sie verloren hatte.
•Ende•
Damaris
06.07.16