Jou
Auch ich schließe mich waterdragon und curious_seeker an: Beziehungen heutzutage sind eine sehr individuelle Angelegenheit und kommen in den verschiedensten Formen und Farben. Und wenn man eine Bezeichnung drauf pappt, dann sind sie untereinander auch noch unterschiedlich. Im Endeffekt kommt es drauf an, was jede/r Einzelne und jedes Paar draus macht und ob es für die Beteiligten so "stimmt". Wobei es sich im Laufe eines Lebens auch verändern kann, was für einen richtig ist.
Unser Leben hat sich sehr verändert - die klassische "Hausfrauenehe" der 1950er Jahre ist mehr oder weniger verschwunden. Junge Leute streben sie höchtens für eine Zeit lang an, z.B. wenn die Kinder klein sind. Und dann sind es auch nicht mehr nur die "Hausfrauen", sondern zunehmend (wenn auch immer noch viel weniger) die Männer, die zu Hause bleiben. Auf eine eigene Altersversorgung zu verzichten und ein Leben lang von jemandem materiell abhängig zu sein, das wird jungen Leuten nicht mehr geraten.
Berufliche Flexibilität erfordert auch neue Beziehungsformen - denn zwar stimmt es, dass "man" Karriere am besten in einem stabilen persönlichen Umfeld macht, aber was ist, wenn nicht nur ein Partner sich beruflich weiter entwickeln will, sondern beide ? Zu verzichten, dem Partner "den Rücken frei halten" ... auch das war früher oft eine Sackgasse, in die sich junge Frauen nicht mehr unbedingt begeben wollen. Also gibt es Fernbeziehungen oder Kompromisse oder ein irgendwie geartetes Geflecht von "nicht so festen" Geschichten oder was nun gerade passt.
Dazu kommt, dass man Modelle wie "Polyamorie" oder "Beziehungsanarchie" oder so etwas diskutiert und ausprobiert hat und es gibt Menschen, die damit gut leben können. Ähnlich wie der Begriff "Familie" heute viel weiter gefasst wird als 1955 (statt Vater-Mutter-Kind gibt es heute Patchworkfamilien, Regenbogenfamilien, alleinerziehende Eltern plus Kinder, eine WG , die sich gemeinsam um die Kinder kümmert ...), so ist auch "Beziehung" nicht mehr nur "Ehe".
Das Bedürfnis, für alles eine Schublade zu finden, finde ich, je älter ich werde, immer unerträglicher. Wozu nützt das, außer, wenn festgelegt werden muss, wann welche Steuervorteile gelten ?
Ich war auch jahrzehntelang in einer klassischen Ehe und genieße nun die Freiheiten meines Single- Lebens, wobei die Beziehungen, die ich zu Menschen habe, alle irgendwie "verbindlich" sind. Und die jungen Leute, die ich kenne, sind erstaunlich treu und verlässlich, was ihre Freundschaften und Beziehungen angeht.
Auch, wenn es nicht mehr unbedingt um die eine, einzige, bis zum Lebensende dauernde Bindung geht.