Ich selbst frage mich aber inzwischen, ob zumindest ich mir immer etwas vorgemacht habe, und in Wahrheit gar keine Beziehung möchte. Frage mich, ob das (falls es zutrifft) vielleicht verbreiteter ist, als ich denke?
In meinen Augen ist es ziemlich verbreitet - und gar nicht so unlogisch. Beziehung bedeutet ja nicht nur Gutes, im Gegenteil. Es bedeutet einen Haufen Einschränkungen, Verpflichtungen, und selbst, wenn es dir gutgeht, kann es immer sein, dass der Partner dich gerade braucht (und sei es nur, um zu hören und zu spüren, das man geliebt wird, um einen gemeinsamen Abend zu verbringen, um Hilfe bei den Einkäufen zu bekommen ...).
Kapitalistisch betrachtet halten sich Aufwendungen und Gewinn bei Beziehungen oft ziemlich stark die Waage. Wer behauptet, alles sei nur Liebe und schön, der irrt einfach. In einer Beziehung zahlt man einen sehr hohen Preis:
• Man verpflichtet sich zu emotionaler und sexueller Monogamie. Das heißt, man wird deutlich eingeschränkt bei Flirts etc., kann bei sexuellem Hunger nahezu verhungern, wenn der andere nicht will, obwohl man als Single drei weitere Menschen hätte, die man kontaktieren könnte.
• Man übernimmt die Verantwortung für das emotionale Wohlbefinden des anderen. Natürlich nicht ausschließlich, aber man ist in ganz anderer Weise für einen Menschen verantwortlich als in einer Freundschaft. Wenn man abends eigentlich seine Ruhe will, und der andere will reden, hat Rückenschmerzen und braucht eine Massage, hat nach einem anstrengenden Arbeitstag Hunger und schlechte Laune - dann hat sich das mit dem "seine Ruhe haben", dann greift diese Verantwortung. Bis zu einem gewissen Punkt ist man dann moralisch verpflichtet, mit dem anderen zu reden und vielleicht nach Lösungen zu suchen, vielleicht einfach nur da zu sein, Zuneigungssignale zu senden, zu massieren, zu kochen.
• Man beginnt ein Teamplay nach Regeln, die nie genau ausgesprochen werden und wo viele Emotionen hinter dem Miteinander stecken. Einfache Äußerungen wie "Lass mich heute in Ruhe, die ganze Welt kotzt mich an" können zu Brandbomben werden, genau wie "Ich hatte heute einen Scheißtag und muss dringend kuscheln" oder auch "Mann, hab ich einen Hunger, was gibt es heute?". Es kann immer passieren, dass man, wenn man eh schon erschöpft bis zum Abwinken ist, auf einmal eine dieser Brandbomben zündet, ohne es zu merken, und dann einen anstrengenden Streit hat.
• Deine sexuelle Lust ist nicht länger nur deine sexuelle Lust, sondern wird vom Partner auch als Beweis der eigenen Attraktivität gewertet. Soll heißen, die bloße Tatsache, dass du keinen Bock auf Sex hast, kann bereits eine Beleidigung implizieren. Genauso wie die Tatsache, dass du Bock auf Sex hast, weil du dann den Körper höher gewichtest als den Rest.
• In all diesen Fallstricken und Konfliktquellen Wege zu finden, die für beide einen annehmbaren Kompromiss darstellen (lange noch keine Perfektion!), muss man reden, kämpfen, diskutieren, sich selbst erforschen, herausfinden, was man eigentlich meint, sagen, was man eigentlich meint, dafür sorgen und kämpfen, dass der andere versteht, was man eigentlich meint, das man selbst versteht, was der andere eigentlich meint. Das ist unglaublich anstrengend und frustrierend, weil sich ständig neue Fallstricke auftun und man dieses Konstrukt auch nach Jahren des Aufeinander-eingespielt-Seins immer wieder neu überprüfen, warten, reparieren und mit neuer Software neuinstallieren muss.
• Nacht muss man mit dem Schnarchen eines anderen Menschen leben, der einem die Decke oder Platz im Bett klaut.
• Wenn man zusammenzieht (was bei Beziehungen früher oder später der Fall wird) wird ein so simples Thema wie Hausarbeit emotional tierisch aufgeladen, zur Quelle von Machtkämpfen, zum Beweis, dass man genug oder überhaupt keinen Respekt vor dem anderen hat, zur Quelle von schlechter Laune, weil der andere nichts gemacht hat, obwohl er sollte, weil die Wohnung wie ein Schweinestall aussieht, obwohl die Mutter des einen immer trotz Arbeit aufgeräumt hat (gut, die war nur Sekretärin auf halber Stelle, während die Herzallerliebste eine Führungsposition mit 55 Wochenarbeitsstunden hat, aber Arbeit ist Arbeit). Dass man sich abends hinsetzt und ausruht und Pizza bestellen will, kann auf einmal der Beweis dafür sein, dass man den anderen nicht genug liebt.
• Die Urlaubsplanung gerät zu einer anstrengenden Suche nach Kompromissen, mit denen am Ende beide nicht immer zufrieden sind. Und wenn man die Fähre wegen eines Staus verpasst, ist das auf einmal das Symptom dafür, dass einer immer viel zu lange im Badezimmer braucht und nie Rücksicht nimmt ...
• Wenn man abends heimkommt und seine Ruhe oder Trost braucht, braucht der andere auch Trost, statt ihn zu geben ...
All diese Sachen greifen nicht nur an einem Tag in der Woche, auf den man sich die restlichen sechs in Ruhe vorbereiten kann, sondern an 365 Tagen im Jahr. Auch, wenn man müde ist, auch, wenn man eine 60-Stunden-Woche hatte, auch, wenn man krank ist und auch, wenn man gern mal wieder losziehen und jemanden aufreißen würde, nur, um zu gucken, ob man es noch kann.
Ich wette, andere finden noch viel mehr Dinge, die an Beziehungen total anstrengend und blöd sind. Wem das alles zu viel ist, der hat mein volles Verständnis, auch wenn es natürlich nicht jeden Tag in einer Beziehung auftaucht ... aber man weiß nie, wann einer dieser negativen Punkte plötzlich greift. Hier einen Weg zu finden, der beide zufriedenstellt, ist durchaus möglich - aber nie für immer, weil Menschen sich verändern, und auch nie "einfach so", nur weil man sich liebt oder weil jemand sagt "hier ist eine Grenze, lass mir meine Ruhe, dann ist alles okay". Es muss nämlich nicht nur für einen okay sein, sondern für beide, und der Weg dahin ist bei manchen Punkten, die vielleicht erst nach zwei Monaten oder Jahren auftauchen, ein langer und anstrengender. Viel Kraft, die dann in die Beziehung fließt und nicht in andere Dinge im Leben. Will man so viel investieren? Ist es das wirklich wert?
Dass Leute trotzdem Beziehungen führen ... Wer weiß, warum sie das tun? All diese negativen Dinge werden bei ihnen in der einen oder anderen Form sicher hin und wieder auftreten. Okay, vielleicht nicht alle, aber viele. Wer eine Beziehung will, muss sich darüber klar sein, dass er damit nicht nur romantische Abende vor dem Kaminfernseher eintauscht, dazu jemanden, der für einen da ist, wenn man Stress hat, und einen massiert, sondern diesen ganzen Rattenschwanz an Konfliktquellen, Einschränkungen und Problemen.
Wem das zu viel ist, der ist meist einfach kein Beziehungsmensch. Das ist weder gut noch schlecht, einfach eine Frage des individuellen Stils. Aber wenn ein Beziehungsmensch, der sich diesen ganzen Herausforderungen gern stellt und sie als vernachlässigbare, mit ein bisschen gutem Willen problemlos lösbare Nebensächlichkeiten betrachtet, für die er gern ein bis drei Stunden die Woche investiert, um ansonsten das zu führen, was er als erfüllende, glückliche Partnerschaft betrachtet, an jemanden gerät, für den diese Negativa weit schwerer wiegen und für den sich das alles eher wie ein Gefängnis anfühlt ...
... tja, dann werden von beiden ganz schön große Kompromisse erwartet. Und die Frage ist immer, wie gut das funktionieren kann. Man muss für alles einen Preis bezahlen. Beziehungsmenschen betrachten den Preis als Kleinigkeit im Vergleich zu dem Gewinn an Innigkeit, Zuverlässigkeit, Geborgenheit, gemeinsamem Lachen, vertrautem Sex, gegenseitigem Rückhalt in Lebenskrisen und dem Gefühl, zusammen dreimal so stark zu sein wie allein. Nicht-Beziehungsmenschen betrachten den Gewinn als Kleinigkeit im Vergleich zu den hohen damit verbundenen Kosten.
Ich habe einmal versucht, eine Beziehung zu einem Nicht-Beziehungsmenschen zu führen. Es endete damit, dass ich mich ständig schuldig fühlte wegen Dingen, die ich in meinen vorigen und anschließenden Beziehungen als selbstverständlich erlebt habe. Angeblich habe ich in dieser Zeit geklammert, unter Druck gesetzt, ständig verlangt, dass er sich um mich kümmert, seine Freiheit eingeschränkt, einen viel zu großen Teil seiner Freizeit mit meiner fordernden Präsenz ruiniert ... aber beenden wollte er die Beziehung nicht, weil regelmäßig Sex und mit mir immer noch besser als ohne mich.
Das hat wehgetan. Inzwischen weiß ich, dass diese Dinge eben der Preis sind, der zu einer Beziehung dazugehört, und es ist kein kleiner Preis. Also ist es besser, wenn man eine Beziehung führen will, wenn man sich jemanden sucht, der das auch will und für den es nicht nur ein Nice-to-have wäre, für das der Preis schon bei der geringsten Schwierigkeit auf einmal viel zu hoch ist.
Und als Brücke zum Thema: Wer mit vierzig noch nie eine längere Beziehung hatte, bei dem würde ich vermuten, dass in seinen Augen bisher der Aufwand deutlich höher gewichtet wurde als das, was man in einer Beziehung gewinnt. Meine Frage bei einem solchen Mann wäre also, warum sich das ausgerechnet bei mir auf einmal ändern sollte - oder ob ich mir damit wieder etwas antue, wo viele Dinge, die ich in Beziehungen als normal und nahezu selbstverständlich erlebt habe, auf einmal als Angriffe und unrechtmäßiges Eindringen in sein Leben interpretiert werden würden.
Wenn jemand in seinem Leben ein großes Bedürfnis nach Distanz und Autonomie hat (was durchaus Momente großer Innigkeit beinhalten kann), dann ist er ohne Beziehung vielleicht tatsächlich glücklicher als mit einer - auch, wenn er manchmal sicher auch in stillen Momenten oder an Heiligabend denkt, dass es vielleicht doch schön wäre, eine Beziehung zu führen. Eine, die nur dann greift, wenn es gerade passt, und mit der keine der anstrengenderen Verpflichtungen einhergehen. Vielleicht eine Friendship with benefits, oder eine Affäre mit jemandem, der wie man selbst mehrere lose Affären führt? Völlig in Ordnung. Aber halt in meinen Augen kein Suchen nach einer Beziehung.