Man darf ja mal nicht vergessen, dass wir da ein ziemlich absurdes Gedankenkonstrukt fahren mit unserem Beziehungsmodell: Man lernt einander kennen, lieben und das soll es dann sein und bleiben und man begehrt einander weiter und keinen anderen, nie mehr, obwohl man sich entwickelt am besten ein lebenlang. Und damit soll man zufrieden sein. Und wenn das nicht so eintritt, dann gilt die Beziehung als Gescheitert.
Das ist natürlich absurd.
ob absurd, sei dahin gestellt, es ist offenbar das immer noch aktuelle paradigma. alles, was, weshalb auch immer, davon abweicht, erhält den stempel "betrug". das sind reminiszenzen alter zeiten, in denen der vertrag als solcher kreiert wurde und zum erhalt der blutlinie, der ehre und des ackerlandes beitrug.
heute beruft man sich auf den ideellen wert des vertrages, auf den virtuellen handschlag, einander in guten und schlechten zeiten beizustehen und treu zu sein, auch dann, wenn dies kein standesbeamter bezeugt und kein staatsdiener überwacht.
geht man davon aus, dass diese annahmen umfassende gültigkeit haben, wird alles "fremdgehen" verurteilt werden müssen, auch dann, wenn der handschlag in allen anderen bereichen weiter gültigkeit hat.
die nächste prämisse lautet, dass man nur einen lieben kann und daher sex mit anderen bedeutet, dass man diesen von der liebe abkoppelte. das ist anrüchig. man kann sich fragen, weshalb das anrüchig ist und wonach es riecht. "nach puff", hätte man früher gesagt; der animalischere, unbeherrschtere mann ging zu den huren, pfui. die voller stolzer contenance zu eis gefrorene dame duldete das mit gebrochen ehre oder herzem. das klingt zwar auch gut angestaubt, aber es klingt, und zwar immer noch sehr laut, obwohl die dazugehörige wirklichkeit ziemlich verblasst ist.
die modernen zeiten erbrachten eine pseudo-befreiung. in form einer neuen zwangsjacke, die da lautet, man müsse, wenn man schon halbwegs geglückt stabile, leib- und herzwärmende verbindungen aufbauen kann, dies auf den tisch bringen, den partner mit allem konfrontieren, was einen an belangen und bedürfnissen so umtreibt, weil der partner nun zum alter-ego (romantik) oder zum beichtvater respektive therapeuten avanciert. oder herhalten muss. der reine tisch wird mitunter zur schlachtbank, auf der reihenweise die geistigen kinder eines paares geopfert werden, weil das scharfe beil der vielen tradierten verbote und gebote einfach zum einsatz kommen muss. man hat ja nicht so ausgefeilte moralische standpunkte, um sie der welt vorzuenthalten.
also wird ein ganzes universum zwischen zwei leuten einem konstrukt geopfert, von dem keiner recht weiß, wie es sich überhaupt einschleichen konnte, ist man doch ansonsten so tolerant und liberal.
was mir manchmal fehlt, wenn die trennung als akt der lauterkeit und des mutes dargestellt wird, ist die frage, wieso man so leichtfertig mit dem glück und halt eines anderen menschen umgehen kann. wieso verliert ein partner, mit dem der sex - aus welchen gründen auch immer - nicht (mehr) klappt - mit einem wisch alles. für mich ist diese haltung, im falle mißglückter körperlicher befriedigung eine partnerschaft aufzulösen, die echte hinterfotzigkeit und wenn man von ehre reden will, unehre. ich müsste lernen mich d a n n im spiegel anzusehen, wenn ich einen menschen im stich gelassen, all das gute mit ihm über bord geworfen habe, nur weil ich mit einem anderen das bekomme, was mir mit ihm fehlt.
es sind nicht immer nur die kinder oder das haus, die eine verbindung ausmachen. das wird immer reduzierend postuliert. es gibt tausend gründe zusammen zu sein. wenn man in krisen steckt, gerinnen sie gerne zu einem nichts oder einem kaum, aber es sind massen. feste, dichte massen, die paare in jahren aufstocken. erinnerungen, konzepte, verantwortlichkeiten, kummer und freude - alles nichts mehr wert, weil man woanders besseren sex hat? ist d a s nicht das seltsamste überhaupt, was ein unabhängiger mensch behaupten kann? wo steht dann das haupt dieser konstrukte?
(aber da lauert schon die frage ... sind wir tatsächlich unabhängig, nur weil wir uns meist auch allein ernähren können? und wovon hängen wir denn ab, außer von gedankenkonstrukten?)
von seinen vielen, in der erziehung und gesellschaft und in romanen gerüttelten destillaten aus nogoes und achwiekannmannur! löst man sich dann am einfachsten, wenn man sich in einer solchen neubindung wiederfindet, die man in keine gültige schublade stecken kann. urplötzlich wird man eines besseren belehrt und merkt, dass angesichts der freude, des zugewinns an lebensnähe und intensität, die staubtrockenen ansichten, die man früher hatte, sich wie ausgedörrte lippen anfühlen und wie ausgedörrte hirnäste nach desasterfunken hungerten. allseits das drama, allseits der unfriede, der aus genau solchen ansichten herausgearbeitet wird. glaube du, was ich glaube, sonst sind wir im krieg.
wer sich trennen will, weil er woanders (zusätzlich, mehr, besseren, liebevollen oder rein sportiven) sex bekommt, dem war sein partner bisher nur ein platzhalter. das ist eine these, sie zumindest bedacht werden sollte, denn der logik nach ist sie folgerichtig und von den geschmacksverstärkern und genmanipulationen befreit, mit denen sonst argumentiert wird. wenn die sexuelle treue, um die es ja seit jahrtausenden geht, mehr wert sein soll als die geistige, die loyalität, der zusammenhalt der paarbindung und der sippe, die gemeinsamen entwürfe, dann sollte man sich fragen, ob der sex nicht vielleicht einen immer noch archaisch angewurzelten, demnach fragwürdigen stellenwert hat. (das maß der innenmodernisierung des einzelnen individuums ist ebenselbem überlassen, wer aber ausdrücklich nichts ändert, der belässt es eben beim alten. und das bezieht sich nicht auf die verpaarung, sondern auf das denken).
man kann es wollen, aber das verstehen bestimmter konstellationen ist oft dem vorbehalten, der sie durchlebt. was etwas friedlich stimmen könnte, wäre nicht jeden spielzug auf des lebens spielbrett mit einem kranz aus moralischen emblemen zuzuhängen. nicht jedes fremdgehen ist verrat und nicht jedes bleiben ist mut.
nicht absurd, aber besorgnis erregend erscheint mir, wie sehr die saat der zwist und des zwiespalts überlebensfähig ist. vom trojanischen krieg bis heute opfert man lieber burgen und menschen, als den verdammten apfel als das zu entlarven, was er ist: ein faules obst aus der wurmigen alttestamentarischen, monotheistischen lade. und sowas wirkt hochprozentig, also nicht nüchtern.
denn nüchtern zu rechtfertigen, wirklich nüchtern, ist eine hohe kunst, anstrengend und selbstentlarvend.