Partner, Familie, public
Nun denn, ich bin zu 100% geoutet, ich lebe rund um die Uhr wie eine Frau. Eigentlich sollte ich also mit Unverständnis reagieren, lief mein Outing durchweg positiv bis auf meine Mutter. Und selbst sie hat es inzwischen eingesehen, dass es anders als wie eine Frau keinen Wert mit mir hat.
Dennoch reagiere ich nicht mit Unverständnis, wenn ich eure Sorgen hier so lese. Denn:
ich kenne eure Sorgen und Ängste nur zu gut! Auch mir fiel es verdammt schwer, mich überall zu outen. Ich kann keine allgemeingültigen Tipps zur Vorgehensweise geben, das möchte ich auch gar nicht, das steht mir nicht zu. Ich kann nur von mir berichten, ich möchte jenen, die diesen Schritt wagen wollen, nur raten, macht es in Etappen.
Denn es ist verdammt schwer, wenn man es einmal einer Zielgruppe beigebracht hat, ist man mit den Nerven am Ende. Dieses Thema sollte dann doch erst einmal ruhen, erfahrungsgemäß lässt man seine Erfahrungen dann erst einmal auf sich reflektieren. Und dies finde ich wichtig.
Eine/r/m Partner/in sollte man so früh wie möglich reinen Wein einschenken. Vor einem Lebenspartner, mit dem man ja wirklich den Rest seines Lebens verbringen möchte, wird es man es sowieso nur schwerlich verheimlichen können. Es wird der Tag kommen, an dem alles heraus kommt.
All jenen Paaren, welche diese Phase in ihrem Zusammensein überstehen, gilt mein allergrößter Respekt. Denn das war der Punkt, der mir nicht gelingen wollte, meine Partnerschaft aufrecht zu erhalten. Trotz aller Liebe war ich dazu gezwungen, die Partnerschaft zu beenden.
Meine Partnerin wäre auf Dauer nicht mit der Situation zurecht gekommen. Nach meinem Outing ihr gegenüber lebten wir zwar noch einige Jahre, nicht zuletzt auch wegen unserer Tochter, zusammen. Damals lebte ich die Frau, die ich bin, jedoch nur phasensweise aus, als Kompromisslösung. Bis zu meinem Lebensende, sollte ich es nicht vorzeitig selbst beenden, wäre dies aber keine Dauerlösung gewesen.
Meine Partnerin wollte einen Mann, keine Frau. Somit war das Ende der Partnerschaft besiegelt. Ich habe ihr die Freiheit gelassen, jenes Leben zu leben, das sie sich vorstellte. Einen anderen Anspruch hatte ich für mein Leben ja auch nicht.
Freunde, auch gemeinsame Freunde mit meiner Partnerin, haben definitiv alle zu mir gehalten. Sie haben jedoch auch jenen Spagat geschafft, auch zu meiner Partnerin zu halten. Somit kann ich heute guten Gewissens sagen, meine Ex-Partnerin ist mit eine gute Freundin, wir haben die gleichen Freunde wie früher, manche gehen, andere kommen hinzu.
Familie ist wieder eine andere Sache, das sehe ich genau so. Mit der Familie hatte ich mir Zeit gelassen, nicht zuletzt wegen meiner Mum. Ich wusste einfach instinktiv, wie sie reagieren würde, dass es ein Drama für sie werden würde. Aber genau aus diesem Grund, sollten meine Eltern die nächsten sein, die es erfahren werden.
Die Reaktion meiner Mum war wie erwartet mit Ablehnung verbunden. Aber sie wusste es dann, und da ich zu vielen Familienmitgliedern nur sporadisch Kontakt habe, habe ich mich mit Hilfe meiner Tochter und Fratzenbuch der Familie geoutet.
Auch hier waren die Reaktionen durchweg positiv, der Beitrag, den meine Tochter auf FB nur für Freunde sichtbar geschrieben hatte, bekam innerhalb von 24 Stunden über 130 Likes, alle Familienmitglieder waren dabei.
Das lustige dabei, meine Mum wollte mich nie als Frau sehen. Aber andere haben ihr dann gesagt, "wenn es meiner wäre, ich würde das schon genauer wissen wollen" etc. Als es dann auf ihren Geburtstag zuging, rief sie mich an und sagte, "es ist mir egal, wie du kommst, ich habe den anderen Bescheid gesagt". Somit war auch dieser Weg frei.
An ihrem Geburtstag, zu mir selbst hat niemand etwas gesagt, aber danach, zu meiner Mutter, bekam sie zu hören, endlich sah "er" mal gut aus mit "seinen" langen Haaren, adrett gekleidet, nicht immer Jeans und ein Hemd, das "ihm" nicht steht.
Das war es jetzt mal zu Partner/in, Freunde und Familie. Zu going public gehört jedoch noch etwas. Das Arbeitsleben!
Die Arbeitswelt ist noch einmal eine völlig andere Nummer, denn da geht es um unsere soziale Absicherung. Bekomme ich ALG I oder II, oder verdiene ich gutes Geld. Ich kenne ALG II, ich war selbst 6 lange Jahre darauf angewiesen. Nichts, was ich anderen wünsche.
Ein Arbeitsplatz musste her, egal wie. Also, Vorname männlich, Personenstand ebenso. Die Änderung konnte ich mir finanziell nicht leisten. Notgedrungen habe ich meine Bewerbungen immer als MAnn abgeschickt, und irgendwann doch eine gute Arbeit gefunden.
Dass ich jedoch anders bin, wurde schnell bemerkt. Schon nach kurzer Zeit hatte ich mich einem Arbeitskollegen anvertraut, bei dem ich mir sicher war, er hält dicht. Und man glaubt es kaum, vor allem, wenn man diesen Kollegen sehen würde, er hat mich beim Outing im Betrieb genial unterstützt.
Das bis hierhin gelesene ist meine persönliche Geschichte. Bei euch allen da draußen mag es anders sein und laufen. Aber eines kann ich mit mehr als 100%iger Sicherheit sagen:
Ich bereue es keine Minute, nein, ich bereue es keine Sekunde.
Für euch alle, die ihr euch (noch) nicht traut, wünsche ich mir, dass ihr mit eurer persönlichen Situation, so wie sie ist, leben könnt. Zufrieden leben könnt.
Deshalb mein Respekt, wenn ihr es hinbekommt, ich konnte mit Kompromissen nur eine bedingte Zeit lang leben.
Überreden wollte ich euch mit diesem Beitrag zu nichts, entscheidet selbst über euer Outing. Aber solltet ihr euch zu einem weiteren Outing entschließen, ich hoffe, ich habe euch Mut gemacht. Gerne dürft ihr mich auch persönlich fragen, wenn ihr das für notwendig empfindet.