Kopfsachen
Bei meinen Freud-Studien sind mir zwei "klassische" tiefenpsychologische Gründe für männliche Impotenz untergekommen. In dem kleineren Aufsatz "Über die allgemeinste Erniedrigung des Liebeslebens" von 1912 schrieb Freud sogar, daß Impotenz der seinerzeit häufigste Grund gewesen war, warum Männer "Nervenärzte" wie Freud und seine Schüler aufsuchten. Die häufigste Ursache umreißt Freud auch in diesem Aufsatz: es ist die "Inzestschranke", die im Kopf - wohlbemerkt: im Unbewußten! - heruntergeht, weil bei heterosexuellen Paarbeziehungen in der Regel eine Projektion des gegengeschlechtlichen Elters auf den Beziehungspartner stattfindet, mit dem der Sex ja gerade strengstens verboten ist. Diese Inzestschranke wird ja überhaupt erst durch den Ödipus-Konflikt und seine Verarbeitung durch das Kind aufgerichtet. Dieser Aufsatz kann leicht im Projekt Gutenberg online gelesen werden - zum Ödipus-Konflikt bietet die Wikipedia zB unter dem Stichwort "Sigmund Freud" gute Einstiegsmöglichkeiten.
Ich meine, daß die Beeinträchtigung des "Beziehungs-Sex" durch die Inzestschranke individuell unterschiedlich ausgeprägt ist und auch von der konkreten Ausgestaltung der Beziehung abhängt.
Die Beobachtungen Freuds sind aber auch eine Erklärung dafür, warum in sehr vielen heterosexuellen Paarbeziehungen, obschon ansonsten "alles stimmt", die Sexualität allmählich "einschläft". Freud erklärt auch das "Fremdgehen", die "Affairen" damit: gerade das Unmoralische daran verhindert das Heruntergehen der Inzestschranke, die ja nur "erlaubte" Sexualität betrifft - während die "verbotene Liebe" von ihr unbehelligt bleibt. Paradoxerweise ist die sexschädliche Rolle der Inzestschranke um so größer, je intensiver und beglückender die Beziehung im übrigen wahrgenommen wird.
Und eine mögliche Folge dieser Inzestschranke kann eben auch Impotenz sein, die möglicherweise sogar nicht auf den Beziehungspartner beschränkt ist, sondern sich "generalisiert".
Für eine zweite Ursache kann ich keine konkrete Quelle angeben - es handelt sich um den Kastrationskomplex, der bei manchen Knaben zu einer Traumatisierung führt mit Impotenz als möglicher Folge. Ursache ist die Unterdrückung der infantilen Genitalmasturbation idR durch Eltern und andere Erzieher, die dabei eine Kastrationsdrohung aussprechen: der Penis würde abgeschnitten oder ginge von selbst kaputt, wenn der Knabe nicht "damit" aufhöre. Diese Drohung erhält dann reale, fürchterliche Bedeutung, wenn der Knabe zum ersten Mal ein nacktes Mädchen sieht: er hält es dann nämlich für einen Knaben, der wirklich kastriert worden war, weil er nicht "damit" aufgehört hat oder sonst "unartig" gewesen war.
Alldies ist dann aber - genauso wie der Ödipuskomplex - verdrängt, es bleibt keine bewußte Erinnerung zurück.
Der Kastrationskomplex oder die Kastrationsangst kann vielfältige Folgen zeitigen wie zB die "Mysogynie", eine weit über die politische "Frauenfeindlichkeit" hinausreichende Ablehnung aller Weiblichkeit, ja Phobie gegenüber Frauen.
Und sie kann natürlich auch zur Impotenz führen.
Gemeinsam ist aber allen psychischen Krankheiten, daß sie keineswegs immer "zeitnah" zu dem Trauma, das ihre Ursache darstellt, ausbrechen müssen sondern im Gegenteil sehr häufig Jahre- und Jahrzehntelang "latent" bleiben.
Abhilfe kann in solchen Fällen eigentlich nur noch eine analytische Psychotherapie bieten, die jene Komplexe wieder zur Erinnerung bringt und nachträglich verarbeitet.
"Erektile Dysfunktion" ist eine Krankheit - ihre Behandlung wird normalerweise von der KV bezahlt, ebenso eine Psychotherapie, wenn eine psychosomatische Verursachung infrage kommen kann.