Interessant
ist immer die Fehleinschätzung von Menschen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit ohne die Hintergründe der betreffenden Religion zu kennen. Immer wieder wird zum Beispiel behauptet, wir Katholiken seien die moralinsauersten Christen. Aber Karneval ist eine katholische Erfindung, die Beichte eröffnete ohnehin stets neue Möglichkeiten. Im Landkreis hier gibt es einen Ort, der von einer protestantischen Sekte dominiert wird, da ist es ähnlich wie in den USA. Ich war gerade in Istanbul, konnte, da die Zahl der eigentlichen Touristen zurückgegangen war, im Hotel und Restaurants und bei Besichtigungen mit privaten Führern auch dort sehen, dass Glaube nicht gleich Glaube ist, weiß das allerdings den Islam betreffend, seit die ersten mohammedanischen Gastarbeiter hier ankamen und ich beruflich ständig mit ihnen zu tun hatte.
Ich hüte mich davor, aus Einzelfällen, die mir in Medien gezeigt werden, aus einzelnen Menschen, die ich kenne, Rückschlüsse auf eine ganze Menschengruppe zu ziehen. Wer mich oberflächlich kennt, würde mich nie für einen Katholiken halten. Denn das ist es, was oft übersehen wird: Zwar gibt es auch Menschen, die den Vorgaben ihrer Kirchen (nicht Religion!) blind folgen, den Eindruck vermitteln, Denken sei ihnen verboten, aber ich kenne eigentlich nur Menschen, die sich mit ihrer Religion intensiv auseinandergesetzt haben und dann für sich eine Entscheidung fällten, bleibe ich oder gehe ich. Wenn ich bleibe, was mache ich dann daraus? An wem orientiere ich mich? An den Vorgaben von Priestern/Vorbetern/Predigern oder doch lieber radikal , also an der Wurzel (bei mir Jesus). Es ist dort schwierig oder gar unmöglich, wo Religion und Staat verschmolzen sind (was für die Türkei seit Ata Türk nicht galt, aber jetzt wohl wieder in Gang gesetzt werden soll).
Wir haben in Europa die Möglichkeit, vorzuleben, dass Religionsfreiheit funktionieren kann. Es gibt diese uralte Parabel, die Lessing in "Nathan der Weise" aufgriff, die mit den drei Ringen (Christentum, Judentum, Islam). Es gibt ein Original, aber zwei Duplikate. Jeder der Söhne erhält einen der Ringe, aber wer hat nun den echten? Man kann das natürlich auf alle Religionen erweitern. Indem ich aber glaube, den richtigen Ring zu haben, muss ich einräumen, dass die Anderen ihn auch haben könnten. Menschen sind wir alle- und wenn mir das mit den Ringen bewusst bleibt, darf es für mich keinen Grund geben, andere Menschen wegen ihres Glaubens (oder Unglaubens, denn auch die Religionslosen könnten den richtigen Ring haben) zu verfolgen. Das ist meine Moral, ausgedrückt mit (auf Hochdeutsch übersetzt) "Leben und leben lassen".