Der Schriftsteller Kyril Bonfiglioli riet seinen Lesern in einem seiner Kriminalromane, immer „bei der Verführung einer Frau auf deren Frisur zu achten, da Frauen ihre „Jungfernschaft“ nur zu gerne verschenken, aber eine gute Frisur ein Vermögen kosten kann.“
Die ganze Welt ist voll von mehr oder weniger gut gemeinten Ratschlägen zum Thema Flirten und kaum ein Mann der sich nicht gewünscht hätte ein Nachfahre Casanovas zu sein. Doch bei der Fülle an urbanen Flirttipps wird selten die Frage gestellt, wie und mit wie viel Erfolg der presexuelle Umgang mit dem anderen Geschlecht geformt wird. Die Kontaktaufnahme zwischen den Geschlechtern, so wird uns beigebracht, ist etwas Ursprüngliches und Natürliches.
Die fatalen Auswirkungen eines unerschütterlichen Glaubens an eine genetische Veranlagung zum Flirten und die daraus entspringende Selbstverständlichkeit, sehe ich jedes Mal, wenn aus dem Glauben Realität werden soll. Eine riesige Horde von frustrierten Männern spult Tag für Tag nutzlose Verhaltensweisen im Umgang mit Frauen ab, um dann die Gründe für ihr Versagen bei den Frauen oder bei anderen Männern zu suchen.
Selbstbewusstsein, Authentizität und eine Grundbedingung an Ausstrahlung, sind die Zauberwörter beim erfolgreichen Flirten. Doch schon jetzt begebe ich mich auf moralisches Glatteis.
Ist ein Mann, dem die Frauenwelt zu Füßen liegt, erfolgreicher, als jemand dessen sexuelle Kontakte der Frequenz von Schaltjahren gleichen?
In unserem moralischen Wertedenken ist es unschicklich, persönliches Versagen oder Inkompetenz direkt anzusprechen, da ein solches Verhalten immer als gleichzeitige Herabwürdigung der Persönlichkeit gesehen wird. Mich wundert es daher in keiner Weise, dass aus diesem Grund, dass Aufzeigen der unbewussten Inkompetenz vieler Männer beim Flirten als moralischer Hochverrat gesehen wird.
Einigen meiner Geschlechtsgenossen gelingt es die eigene Unfähigkeit, romantische Gefühle oder sexuelles Interesse bei Frauen zu erzeugen, zu erkennen und geraten so vom Regen in die Traufe.
Nicht nur, dass sie in der sozialen Hierarchie abseits Stehen und ein Singeldasein fristen, auch wird ihnen nur die innere Stimme (die seit Jahren vielfältigen Unsinn redet) als Wegweiser geboten.
Loriot schon bemühte die von innen kommende Heiterkeit und schmunzelte über die Lehre derselben. Doch obwohl kaum jemand die Art und Weise der von innen kommender, Erleuchtung konkretisieren kann, ist das Bestehen auf der absoluten Richtigkeit der eigenen Ansichten ein moralischer Grundpfeiler vieler Gedankengänge.
Viel zu viele Männer geben sich der Hoffnung hin, dass sie ohne ihr Zutun eines Tages die richtige Frau treffen werden, die sich harmonisch in ihr Leben einfügt. In meinen Augen sehr romantisch und ziemlich weltfremd.
Das alte französische Wort fleurter, was so viel wie „blühen, sich entfalten“ heißt, ist Vorfahre des heutigen Flirtens und genauso alt sind dann auch die Mechanismen die ab dem ersten Blickkontakt ablaufen. Entgegen der Philosophie vom genetisch vorprogrammierten Verhaltensablauf beim Flirt, gibt es verschiedenste Spielregeln und Spielarten.
Sich alleine der Hoffnung hinzugeben führt zu keinem Ziel und selbst wenn sich Romanzen wie von selbst ergeben, führen diese kaum zu Beziehungen die einen glücklich machen.
Der moralische Aufschrei ist zumeist recht groß, wenn die These der fast „perfekten Masche“ in den Raum gestellt wird. Nicht nur das die Möglichkeit, dass jeder Mann Erfolg bei jeder Frau haben könnte angezweifelt wird, der Gedanke alleine, dass Flirten einer grundsätzlichen Systematik folgt, erfüllt auch hier den Tatbestand der Ketzerei.
Frauen und Männer im postpubertären Alter haben, wie überall, das Dogma einiger weniger „ Ewigen Weisheiten“ lieb gewonnen und nur Ratschläge ala: „Wer ficken will muss freundlich sein.“ sind erlaubt. Die größte Angst der aufstöhnenden Gemeinde ist hierbei der verfrühte Verlust der Sittlichkeit und der Unschuld.
In den fünfziger Jahren galt Reklame für Unterwäsche und Tampons als unanständig. Millionen von jungen (und auch den älteren) Paaren hatten keine Ahnung, was sie da nachtein, nachtaus trieben. Auch damals liefen die Moralapostel und Sittenwächter Sturm gegen eine wie auch immer geartete Aufklärung des Treibens. Heute wird dasselbe Szenario der Verpornorisierung einer Selbstverständlichkeit der „perfekten Masche“ angelastet.
Ich bedauere schon lange die eingeschränkte Wortwahl, die uns zur Verfügung steht, um ein geschlechtliches Interesse zu beschreiben, kaum ein Wort welches nicht negativ belegt ist.
Eine Frau wird zur Liebe oder Sex verführt, abgeschleppt, umgarnt, angemacht und angebaggert und so erkennen viele Kritiker schon in dieser uralten (männlichen) Syntax die Vorzeichen des Unterganges der romantischen Liebe. Obwohl sich in einer pluralistischen Gesellschaft schwerlich ein Konsens über die richtige Art und Weise des Kennenlernens finden lässt und Millionen von Singles auch offen unnütze Ratschläge zur Partnerwahl aufsaugen, wie ein Schwamm, wird ein offener Gedankenaustausch oder gar eine daraus resultierende Wissensanalyse abgelehnt.
Urbane Mythen, wie das Beenden der Suche nach dem (einen) Partner um selbigen zu finden, haben heute Hochkonjunktur, bedienen sie doch das Bedürfnis der Allgemeinheit nach einer Indirektheitsnorm in der erotisch-sexuellen Signalsprache. Klare unmissverständliche Aussagen und das bewusste Ansprechen von Frauen sind pornografisch und gelten damit absolut moralisch verwerflich.
Auch wenn es auf einer Seite für gehobene Erotik, auf der sich eine halbe Million Mitglieder über die schönste Nebensache der Welt austauschen, seltsam erscheinen mag, so ist doch gerade die unterstellte Ausrichtung auf das Ziel „Geschlechtsverkehr“ beim Flirt einer der Hauptvorwürfe gegen die „perfekte Masche“. Bewusst Flirten ist kurz gesagt Porno, so die Anklage der breit aufgestellten Ablehungsfront, da durch eine zu hohe Flirtfrequenz, Anonymisierung der Kontakte und damit der Verlust zur Fähigkeit von tiefen Emotionen verbunden ist.
Das Beherrschen einiger der grundlegendsten und einige der feineren sozialen Spielregeln, wird als Instrumentalisierung des Flirtens zur Intensivierung und Vervielfachung der reinen sexuellen Lust, mit klarer Ausrichtung auf möglichst viele Kerben im Bettpfosten abgetan.
Die scheinbare innere Leichtigkeit entschwindet mit dem Bewusstwerden der sexuellen Anziehung und der Möglichkeit eines eventuellen Austauschs von Körperflüssigkeiten.
Doch diese Wirklichkeit der Leichtigkeit im Umgang mit Frauen existiert nur für einige wenige, zugleich gehasst und geliebte Auserwählte. Es gibt tatsächlich Menschen, die gehen durch die Welt und scheinen, ja weswegen eigentlich, immer und überall Kontakte zu knüpfen.
Der Rest, die alltägliche Normalität, verhaspelt sich beim ersten Wort, bekommt Schweißausbrüche oder schafft es gar nicht erst einen Blickkontakt herzustellen. Das Aufblühen und Entfalten der eigenen Anziehungskraft gerät zum geschmähten Krüppelgewächs.
Es ist immer ein sonderbarer, oft für alle peinlicher Anblick, wenn der normale Mann versucht, die Aufmerksamkeit und Zuneigung von Frauen zu erhaschen. Der viel geschundene Ausdruck der männlichen „Jagd“ nach weiblicher „Beute“, scheint in diesem Zusammenhang dann mehr zu einer Schnitzeljagd zu mutieren. Getrieben vom Wunsch nach Zweisamkeit und das Gedankengut der flirttechnisch prüden Erziehung, Umkreist der Mann die Frau seiner Träume und wird nicht müde, seine sexuelle Harmlosigkeit zur Schau zu tragen.
„Sei du selbst, dann klappt das schon!“ ist dann auch die häufigste und unnützeste Binsenweisheit, die als Hilfestellung angeboten wird. Gott sei Dank, gelingen immer einmal wieder mit alt hergebrachten Traditionen Erfolge. Eine Bewertung dieser Kontakte nach qualitativen Gesichtspunkten, ist moralischer Suizid. Wer das Ziel erreicht hat, dem hat nicht nur der Weg sondern auch das Ergebnis, egal zu sein.
Millionen von Männern Fragen sich jeden Tag, warum bekomme ich keine oder immer nur die falschen Frauen und es werden Millionen an Zeitungen verkauft die in sich den Anschein einer Antwort tragen.
Heute kann jeder seinen Körper in Fitnesstempeln formen und zahllose Zeitschriften berichten darüber, wie man mehr aus seinem Sexleben machen kann. Wer sich als Mann jedoch Gedanken zur Eroberung von Frauenherzen macht, der steht schnell unter Generalverdacht, weil er einen weit wichtigeren Aspekt der Persönlichkeit bewusst zu formen gedenkt, den der zwischenmenschlichen Kommunikation und der sozialen Kompetenz.
Ironischer weise wird das bewusste Ansprechen von Frauen für einen One-Night-Stand gerade noch geduldet, jedoch ist bei der Beziehungssuche ein Verrat am Partner, noch bevor der Samen der Beziehung auch nur ausgebracht ist. Ich selbst kann jedoch keinen Unterschied zwischen einem ONS und einer langjähriger Beziehung innerhalb der Flirtphase erkennen. Es ist sogar so, dass ich den Kommentare "Für einen ONS kann die Sympathie geringer, die emotionale Beziehung lockerer oder das Aussehen zweitrangiger sein." nichts abgewinnen kann.
Die Inquisitoren und Moralwächter wittern in der perfekten Masche dann auch nur sexbessene Gedankenmanipulation und unlautere Absichten. Ganz nach den alten Spielregeln der inquisitio haereticae pravitatis (Inquisition gegen ketzerische Verderbtheit) werden ein klares Feindbild und eine allgemeingültige Anklage zelebriert.
Männer die bewusst flirten sind vom Sex besessene arrogante Arschlöcher, die leicht manipulierbare und seelisch instabile Frauen unter Verwendung von Tricks und Lügen in ihr Bett befördern.
In wie weit dieser Vorwurf für jeden Mann gerechtfertigt ist, hat schon zu Zeiten der Ketzerverbrennungen oder Oswalt Kolles kaum interessiert.
Das ganze Leben hängt jedoch von sozialen Interaktionen ab, der Partner, die Familie, die Kinder der Job, das persönliche Glück…
Die moralischen Bedenken sollte, nach meiner Ansicht, dabei jeder Mann mit sich selbst ausmachen und die meisten Männer, die Hilfe beim Flirten benötigen, sind doch genau die wirklich netten Kerle, die sich nach der Liebe einer einzigen Frau sehnen. Viele dieser Männer geben jedoch frustriert auf und leben alleine von der Hoffnung. Es sind in den Augen vieler Frauen die ehrlichen, fürsorglichen und liebevollen Männer die Versagen und es nicht schaffen, eine Frau zu bewegen ihnen eine Chance zu geben.
Kann nun ein Flirt-Seminar ein legitimes Mittel zur Anhebung ihrer Erfolgsquote sein?
Das kommt auf den Standpunkt an. Wer glaubt, dass das Verstehen und Anwenden rhetorischer und sozialer Grundgedanken zu den manipulativen Mitteln gehört, wird diese Frage verneinen. Wer hingegen die Ansicht vertritt, dass das Wissen nur ein Werkzeug darstellt und Werkzeuge grundsätzlich moralisch neutral sind, der wird das Seminar begrüßen. Es spricht in meinen Augen nichts gegen ein Workout-Programm, um den Muskel der sozialen Kompetenz, die Ausstrahlung, die Wirkung auf das andere Geschlecht und die Kunst der Verführung zu trainieren.
Brian Lorenzo