Hoteldate
Teil 1Gemütlich hatte er es sich gemacht in der Club Lounge des Grand Hotels. Das Firmenmeeting im nahegelegenen Kongresszentrum war überstanden, die Ziele für das kommende Quartal festgelegt worden. Auch das gemeinsame Abschlussessen hatte er durch einen längeren Spaziergang am Fluss entlang gut verdaut. Dass er der einzige war, der in diesem edlen Hotel eine Übernachtung gebucht hatte, kam ihm sehr zupass, denn er brauchte den Abstand zu den Kollegen, auch wenn es das Spesenbudget übertraf. Gerne zahlte er die Differenz aus eigener Tasche.
Ein abendlicher Drink, die Hotelbar im Rücken, ein bequemer Sessel, in den er hineinsinken konnte, der Whiskey Sour auf dem Coaster des Marmortischchens, ein kleines Ritual, das für ihn wahre Lebensqualität bedeutete. Gerne hätte er sich jetzt eine Cohiba Montecristo, petit corona, entzündet, doch leider waren diese genussreichen Zeiten vorbei, als Aficionado und Connaisseur hatte man es schwer, heutzutage. Leise seufzend dachte er an längst vergangene Tage des Genusses zurück und nippte an seinem Drink.
Bedächtig ließ er den Blick schweifen, besah sich die anderen Gäste, die leise plaudernd die gut gefüllte Lounge zur abendlichen Einstimmung besucht hatten. Dass in dem Moment der Pianospieler seinen Dienst aufnahm, verstärkte das Wohlgefühl des im dunklen Anzug gekleideten Geschäftsmannes, die Melodie erinnerte ihn an Cuba, an seine Lieblingsbar in Havanna und an kühle Daiquiris mit starken Rum. Ein american shuffle wäre mir jetzt lieber, dachte er lächelnd und nahm einen weiteren Schluck des Whiskeycocktails. Seine Bestellung, dass er den Sour mit Crusta wolle, hatte auf des Kellners Stirn eine Ungläubigkeitsfalte ausgelöst, doch der Zuckerrand am Glas war eine seiner Marotten, die er pflegte.
Nach einer Weile des Dahinträumens wurde seine Aufmerksamkeit von einem Paar geweckt, das unweit an einem freien Tisch platzgenommen hatte. Dass er augenblicklich erneut mit Cuba in Kontakt kam, lag an der sonnengebräunten Schönheit, die in ein schwarzes, knielanges Paillettenkleid gehüllt, die Schultern zurück zog und den Rücken durchdrückte. Dichte dunkelbraune, fast schwarze Haare wallten ihr über die nackten Schultern, dezent rot geschminkte Lippen erweckten sein Interesse und er beobachte, wie sie die Beine übereinander schlug und schwarze Riemchenpumps zeigte. Sich offensichtlich ihrer Wirkung bewusst, scannte sie den Raum, bedachte ihn mit einem kurzen Blick, bemerkte, dass er sie beobachte. Dunkelbraune Augen, lange Wimpern, konstatierte er, dann wandte sie sich ihrem Begleiter zu. Einem Herrn im eleganten Zwirn, das dunkle Jackett geöffnet, das anthrazitfarbene Hemd von einer dunkelgrauen Seidenkrawatte betont. Sein Habitus war der eines Mannes, der es gewohnt war, die Führung inne zu haben und genau zu wissen, wie attraktiv seine Frau wirkte.
War es denn seine Frau? Oder war sie seine Geliebte, seine Abendbegleitung? Der schwere, etwas klobige Zimmerschlüssel lag offen auf dem Tisch, so bestand kein Zweifel, dass auch sie Hotelgäste waren.
Die Neugierde des Geschäftsmannes war geweckt und er beobachte das Pärchen diskret, nicht zu offensichtlich, weiter. Ihnen wurden Drinks gereicht. Aperol Spritz, registrierte er, ein leichter Aperitif, der ideal war für einen sanften Abendeinstieg. Er hingegen bestellte sich einen doppelten Espresso, als der Kellner an ihm vorbei kam. Wohl kalkuliert zog er die Aufmerksamkeit der umsitzenden Gäste auf sich, als er sich kurz erhob und einen Zehneuroschein aus der Gesäßtasche zog und der Bedienung zusteckte mit der leise gesprochenen Bemerkung, dass es sein könne, dass er unvermittelt aufbrechen müsse, alle Getränke bitte auf seine Zimmernummer. Lächelnd registrierte er, dass seine Aktion von dem Pärchen am gegenüberliegenden Tisch bemerkt worden war.
Er schenkte ihnen keine weitere offene Aufmerksamkeit mehr, sondern bedachte sie nur mit
verstohlenen Blicken. Nein, ein Flirt kam nicht zustande, die beiden waren beschäftigt, im Gespräch vertieft und wirkten ein wenig angespannt. So als warteten sie auf etwas Bestimmtes. Dieser Eindruck verstärkte sich bei dem Beobachter, denn während er zwei Löffel Zucker in den Espresso gab und langsam rührte, bemerkte er, dass sich Unruhe in die Anspannung der beiden gemischt hatte, und wie sie - besonders die Dame - immer wieder auf die Armbanduhren sahen, sich ihr Blick mehr und mehr verfinsterte.
Die Zeit verstrich und die beiden waren inzwischen bei einem Mojito angekommen, eine Bestellung der sich der Geschäftsmann gerne anschloss, so schuf er bewusst eine Verbindung, nickte dem Paar auch einmal kurz zu, als er an dem dicken Trinkhalm sog, doch sah er auch, dass ihre Stimmung zunehmend ins Negative kippte und eine Eskalation nach sich zog, die den Fortlauf des Abend entscheidend verändern sollte.