Resumee
Liebe Leute
Leider ist dies der letzte Artikel von mir in diesem Beitrag, da die maximale Länge nun erreicht ist. Gerne möchte ich zurückblicken.
Da kaum jemand alle dreißig Seiten durchliest, konzentrieren sich viele oftmals auf den ersten Beitrag, vielleicht die erste Seite; und nachdem das Thema geschlossen worden ist, vielleicht noch den letzten. Daher möchte ich hier meine Erfahrung nochmals zusammenfassen.
Meine Frage, ob sich in diesem Forum noch andere Menschen aufhielten, die ihr Leben weitestgehend ohne Sex verbracht haben, beinhaltete ein Mindestmaß an Informationen über meine Person. Die ersten Antworten beinhalteten freundliche, hilfsbereite Tipps, wie auch ich vielleicht eine Freundin oder mehr Sex finden würde.
Sehr schnell kippte die Stimmung; es wurden Stimmen laut, die mich mit “all den anderen Jammerern” gleichsetzten. Ich sei schließlich selber Schuld an meiner Misere, wie all die anderen sexlosen Männer hier, die sich darüber beklagten und den Frauen dafür die Schuld gaben.
Erstaunlich schnell kamen die ersten Beiträge von Personen, die mir vorschlugen, ich möge einen Psychiater aufsuchen. Der könne mich heilen. Oder zumindest wäre ich dann “versorgt”, so die Implikation. Diese Beiträge gingen mir nahe, und bereits am Ende des ersten Tages wunderte ich mich, ob ich einen Fehler begangen hatte und aufhören sollte.
An den folgenden Tagen wiederholte sich das Spiel: tagsüber, als ich arbeitete, wurde eine konstruktive Diskussion geführt, beherzte Tipps abgegeben, über die Ursachen für meine Situation spekuliert. Am Abend kamen wieder vorwiegend negative Reaktionen, Anfeindungen. Teilweise nahm man mich nicht ernst. Man hielt mich für einen Marketing-Gag, ein Fake-Profil, eine “Masche”. Ich befand mich in der Defensive und musste mich gelegentlich stark zusammenreißen. Ich bin schlecht in der Defensivposition, befinde mich jedoch häufig darin.
Dann verselbstständigte sich der Beitrag. Innerhalb eines Tages wurden vierzehn Seiten gefüllt, größtenteils in meiner Abwesenheit. Die Männer begannen darüber zu jammern, dass sie zu wenig Sex kriegten, und sie flehten die Frauen um Hilfe an oder gaben ihnen gar die Schuld für ihre Misere. Der Beitrag wurde zu dem, wofür man ihn zu Beginn hielt: einem Jammerthread. Während der Arbeit erreichten mich persönliche Nachrichten, ich möge eingreifen. In einer kurzen Pause bat ich die Teilnehmer, sich etwas zu beruhigen und wieder zurück zum Thema zu finden. Mein Aufruf wurde völlig ignoriert, was schlussendlich auch die Moderatorinnen auf den Plan rief.
Dann geschah etwas Unerwartetes.
Die Diskussionsteilnehmer begannen wieder darüber zu spekulieren, was denn nun mein Problem sei. Doch dieses Mal stießen sie unerwartet in die richtige Richtung vor. Ich hatte überhaupt nicht beabsichtigt, bestimmte Details über mich preiszugeben, doch ich konnte korrekt vermutende Fragen auch nicht verneinen oder ignorieren. Nach und nach fanden die Diskussionsteilnehmer heraus, wer ich bin und was mein wirkliches Problem ist.
Ich:
leide an Depressionen, schon mein ganzes Leben lang
bin ein Alkoholikerkind. Als direkte Folge davon habe ich über ein Dutzend Persönlichkeitsstörungen.
bin hochsensibel
bin zu einem gewissen Grad autistisch resp. leide unter dem Aspergersyndrom
verfüge über einen IQ von über 150. In einer Menge von 10’000 Personen bin ich allein. Und so fühle ich mich auch, jeden Tag.
Diese Ansammlung von Eigenschaften sorgt dafür, dass ich “anders” bin. Was für alle anderen gilt, gilt für mich nicht. Was alle anderen können, kann ich nicht. Was für alle anderen normal und natürlich ist, ist für mich fast unerreichbar. Gleichzeitig besitze ich kognitive Fähigkeiten, die andere sich nicht oder nur kaum vorstellen können.
Ich wusste nicht, was nun auf mich zukommen würde. Würde ich in der Luft zerrissen, zerfleischt werden? Würde man aufhören, mit mir zu sprechen?
Nein. Die Leute begannen zu verstehen. Ihnen wurde schlagartig klar, dass es für solch komplexe Probleme keine einfachen Lösungen gab. Sprüche wie “Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied”, “Man kann alles erreichen, wenn man nur will”, “Musst einfach locker bleiben”, usw. waren bei mir völlig fehl am Platz, und sie wussten es.
Seither war die Diskussion freundschaftlich, verständnisvoll, hilfsbereit, interessiert, für mich spannend, sehr angenehm. Ich begann, mich wohl zu fühlen.
Außerhalb des Forums erhielt ich viele persönliche Zuschriften. Die einen gratulierten mir zu meinem Mut, meiner Ehrlichkeit, meiner Offenheit. Andere fanden mich sympathisch, würden mich gerne kennenlernen (wenn ich nicht viel zu weit weg wohnte). Und wieder andere erzählten mir von sich, dass sie unter den gleichen Problemen litten, und wie sie damit umgingen.
Ich bin nicht sehr konfliktbegabt, und dennoch warf ich mich hier laut einigen Stimmen ins “Haifischbecken”. Ich überlebte nicht nur, ich wuchs daran, wurde selbst von Moderatorinnen für meine Ruhe, meinen Durchhaltewillen und mein korrektes Verhalten gelobt. Ich wuchs persönlich an dieser Erfahrung und bin stolz darauf, wie ich mit der Situation umging.
Warum bin ich hier?
Dies war kein Experiment. Dies war keine Masche. Ich bin ich, ich habe dies nicht geplant, ich habe keine Taktik. Es war einfach passiert und ich weiß nicht, wo die Reise nun hingehen wird. Mein tägliches Leben beinhaltet keinen Sex und keine Liebe. Vielleicht werde ich eines davon hier finden. Vielleicht werde ich über mich herauswachsen, neue Erfahrungen sammeln, meine persönlichen Fähigkeiten verbessern. Vielleicht werde ich nur diskutieren, und vielleicht verschwinde ich so schnell, wie ich gekommen bin.
Mich hat sehr gefreut, dass ich auf viele Menschen gestoßen bin, die mich verstehen; die versucht haben, meine für sie neuartige Situation, mit der ich sie konfrontiert habe, zu begreifen, und dabei erfolgreich waren; die selber die gleichen Probleme haben wie ich und ihren Weg gefunden haben; die mir bestätigt haben, dass ich weiterhin zu mir selber stehen müsse; nicht versuchen solle, mich zu verstellen; mich nicht für meine Beiträge schämen müsse; dass sie mich jederzeit kennenlernen möchten trotz all dem, was ich hier über mich preisgegeben habe.
Diese Diskussion war für mich und für viele von euch ein einzigartiges Erlebnis. Ich danke euch herzlich dafür! Über persönliche Zuschriften werde ich mich immer freuen.
Alles Liebe,
CryingJohn
(Song by Adrian Weyermann)