@SinasTraum
Wer sich seinem Partner wirklich so verbunden fühlt, der schuldet ihm meiner Ansicht nach auch ein Mindestmaß an Respekt und das zeigt man mit Fremdgehen nicht. Das zeigt man, indem man bei sexueller oder anderweitiger Unzufriedenheit das offene Gespräch sucht.
Ich bin mir nicht sicher, ob das tatsächlich so stimmt. Beinhaltet Respekt vor dem Anderen tatsächlich schonungslose Ehrlichkeit? Und ist die Motivation für das Fremdgehen immer eine wie auh immer geartete Unzufriedenheit?
Um ehrlich zu sein: Dass ich meiner Frau von meinen Treffen erzählt habe und mit ihr über eine offene Partnerschaft sprach, lag weniger daran, dass ich glaubte, ihr das schuldig zu sein, sondern weil ich ganz einfach nicht gerne lüge. Seit Beginn unserer Partnerschaft habe ich uns nie anders als zwei autonome Menschen gesehen, die ihre eigenen Lebensbereiche haben. Das drückt sich auch darin aus, dass wir von Anfang an getrennte Zimmer haben. Ungewöhnlich für viele Freunde. Aber wir sind beide überzeugt, dass das ein Grund dafür ist, dass wir schon so lange es ziemlich harmonisch zusammen aushalten.
Respekt bedeutet für mich eher, dass man in einer Partnerschaft nicht irgendwann das "könntest Du bitte" mit einem "Du musst" oder "ich will, dass Du" ersetzt und die Zuneigung und Aufmerksamkeit des Anderen als etwas selbstverständliches oder sogar beanspruchbares ansieht. Nichts wirkt sich verheerender auf meine Gefühlslage aus, als ein dummes Ultimatum wie "Du liebst mich nicht, wenn Du nicht tust, was ich von Dir verlange." Dumm, weil man ein Geschenk, das man einfordert, kein Geschenk mehr ist und man mit Liebe keinen Handel treiben sollte.
Respektiert man den Partner nicht mehr, wenn man mit anderen Menschen als ihm/ihr Sex hat oder andere Menschen liebt?
Ganz ehrlich? Mir fehlt da ein argumentativer Zwischenschritt. Ist es respektlos, weil man ihm/ihr nichts sagt? Weil man ihm/ihr etwas verheimlicht oder ihn belügt? Auf die eine oder andere Weise verheimlicht oder belügt man andere Menschen und auch den Partner bei vielen Gelegenheiten. Man hasst die beste Freundin aus liefster Seele, sagt ihr aber nicht, was für eine blöde Kuh das ist. Ihr Lieblingsgericht erzeugt einen intensiven Würgreflex und morgens riecht sie aus dem Mund, was Küssen zu einer Herausforderung macht. Natürlich ist die Cellulitis niht schön und natürlich wäre es bei, Cunnilingus angenehmer, wenn sich nicht nur der Mann frisch rasiert hat... Wenn "Respekt" vor dem anderen stete Ehrlichkeit meint, ziehe ich als Postulat eindeutig "Rücksichtnahme" vor.
Oder unterstellst Du tatsächlich, dass Fremdgehen grundsätzlich eine gravierende Unzufriedenheit mit dem Partner beinhaltet, die eigentlich mit einem Trennungswunsch verbunden wäre? Das beinhaltet irgendwie den Anspruch an den Partner, er müsse perfekt sein.
Nobody is perfect!
Zeugt es nicht gerade von Respekt vor dem anderen, ihn/sie so zu lieben, wie er/sie ist und nicht für die eigenen Bedürfnisse so lange umzumodeln, bis es dem eigenen Ego passt?
Man kann dieses Thema aus sehr unterschiedlichen Aspekten betrachten. Welcher letztlich der richtige ist, kann nur der/diejenige beurteilen, der/die konkret in der Situation steckt. Es gibt gute Gründe, mit dem Partner offen zu sprechen. Aber es gibt genau so gute und moralisch vollkommen gerechtfertigte Gründe, es nicht zu tun. Ein pauschales Urteil a la "heimlich Fremdgehen ist mies" sollte man deshalb vielleicht einmal überdenken.