Polyamor zu sein...
war mir irgendwie zwar immer bewußt, aber erst vor zwei, drei Jahren hätte ich es benennen können.
Polyamor bedeutet für mich ebenso wie bei vielen anderen, die das hier beschrieben haben, eher die Eigenschaft, mehr als einen Menschen lieben zu können.
Eigentlich eine triviale Fähigkeit, die hier nur dadurch "kompliziert" wird, weil die meisten bei "Liebe" völlig unterschiedliche Vorstellungen im Kopf haben. Mehr als einem Menschen gegenüber ein warmes, inniges und starkes Gefühl der Zuneigung zu verspüren, dürfte kaum jemanden unbekannt sein. Man liebt (meistens) seine Eltern, seine Freunde, Kinder. Selbst Menschen, die sich als monogam bezeichnen würden, dürften im Laufe ihres Lebens oft bei aufeinander folgenden Beziehungen Liebe für mehrere Menschen erlebt haben, wenn auch nicht gleichzeitig - oder nur während der Übergänge.
Polyamor als eine Fähigkeit zur - insbesondere aber nicht nur - erotischern, körperlichen Liebe mit mehr als einem Menschen gleichzeitig, rüttelt dagegen an den Grundfesten der "romantischen Liebe" und dem Bild von Treue, das selbst Menschen in "offenen Beziehungen" versuchen, zu erfüllen, wenn sie "nur" Sex ohne Emotionen zulassen.
Emotionen, auch Liebe, sind keine Programme, die man tatsächlich willentlich ein- und abschalten kann. Wir können uns nur disziplinieren und unsere Gefühle - mehr oder weniger - unterdrücken, wenn wir feststellen, dass wir einem anderen Menschen als die eigene Partnerin gegenüber sehr viel mehr empfinden, als es dem Bild der Treue unter (Ehe)Partnern entspricht.
Vielleicht ist deshalb im Kern der Unterschied zwischen einer "offenen Beziehung" und Polyamorie eben ein vollkommen anderer Begriff von "Treue" und "Vertrauen", weil der Polyamore unter "treue Liebe" eher "aufrichtige" als "exklusive Liebe" versteht und die Fähigkeit, zu lieben, nicht als etwas begrenzt Verfügbares versteht, das immer kleiner wird, wenn es auf mehr als einen anderen Menschen aufgeteilt wird.