Verliebt
7. Juni 2012
Eine Woche ist vergangen, seit ich bei Katy war, und etwas Ungewöhnliches ist passiert: Ich muss ständig an sie denken – jeden Tag, jede Stunde, sicher einhundert Mal am Tag. Es ist ihr spontanes, verlegenes Lächeln, das sie mehrmals nicht unterdrücken konnte und das meiner Meinung nach ein echter Sympathiebeweis war. Langsam aber sicher stellt sich mir eine Erkenntnis ein. Wenn ich so oft an eine Frau denke, kann dies nur eines bedeuten:
Ich bin in Katy verliebt.
Ich habe schon gelegentlich darüber nachgedacht, dass für mich wahrscheinlich nur noch eine Prostituierte als Freundin infrage käme.
Erstens sind meine Chancen, außerhalb von Bordellen Frauen kennenzulernen, sehr gering. Ich kann nicht flirten, keinen Smalltalk führen. Unter fremden Menschen fühle ich mich unwohl. Das Durcheinander von vielen gleichzeitigen Stimmen und von lauter Musik überfordert mich. Ich würde nie von mir aus eine fremde Frau ansprechen, und erfahrungsgemäß werde ich auch nie angesprochen. Auf Datingplattformen konnte ich einen gewissen Erfolg verbuchen. Doch typischerweise enden auch da die meisten Unterhaltungen nach nur wenigen Minuten, sofern es denn überhaupt so weit kommt. Beim letzten Versuch schrieb ich einhundertdreißig Frauen an, jede individuell: ich variierte Inhalt, Stil und Länge meiner Briefe. Ich versuchte es witzig, charmant, frech, sachlich, auf jede mir erdenkliche Weise. Einhundertachtundzwanzig Frauen ignorierten meinen Brief. Zwei antworteten und beleidigten mich, da ich ihnen zu alt war. Ich gehöre nicht zu der Sorte Mensch, die unbeirrt weitermachen kann. Es benötigt überhaupt schon Überwindung, bevor ich eine fremde Frau einfach so anschreibe; nach so vielen Misserfolgen ohne den gelegentlichen Erfolg oder Lichtblick ziehe ich mich typischerweise wieder für eine Weile zurück.
Zweitens schmälert die Tatsache, dass ich im Verlauf der vergangenen zwanzig Jahre Dutzende Sexpartnerinnen hatte und erst recht noch für das Vergnügen bezahlte, meine Aussichten wohl gleich noch ein Stück. Es gibt Frauen, die eine Grenze ziehen, mit wie vielen Frauen ihr zukünftiger Freund im Bett gewesen sein darf. Es gibt wiederum Frauen, die einen Mann dafür verurteilen, dass er überhaupt je einmal für Sex bezahlt hat. Es handelt sich um Prinzipien. Es spielt dabei keine Rolle, ob dafür bezahlt wurde, um wenigstens gelegentlich ein Grundbedürfnis zu stillen – oder dass es lediglich drei Mal im Jahr dreißig Minuten braucht, um im Verlauf von zwanzig Jahren auf sechzig Prostituierte zu kommen. Früher oder später würde die Frage gestellt werden, wie viele Sexpartnerinnen man vorher hatte oder ob man bereits einmal ein Bordell besucht habe. Viele Männer würden an dieser Stelle wohl einfach lügen: Nein, Schatz, ich war noch nie in einem Bordell, und vor dir hatte ich nur drei andere Frauen. Möglicherweise wären auch die angegebenen sexuellen Erfahrungen der Partnerin ein wenig »geschönt«.
Eine Prostituierte als Freundin würde diese zwei Probleme lösen. Ich lerne automatisch Frauen kennen und hinterlasse dabei meist auch einen guten Eindruck; und es bestünde auf beiden Seiten keine Notwendigkeit, über die vergangenen sexuellen Erfahrungen zu lügen. Ob ich langfristig mit der Kenntnis über ihre Vergangenheit umgehen könnte, weiß ich heute natürlich nicht.
Seit einer Woche denke ich nun also ununterbrochen an Katy. Ich entschließe mich, dass ich ein neues Lebensziel habe: Ich will Katy zu meiner festen Freundin machen.
Eine Woche nach unserer ersten Begegnung suchte ich das gleiche Etablissement erneut auf. Eigentlich erwartete ich, dass Katy nun Urlaub hatte, und währenddessen wollte ich mich mit anderen Damen vergnügen. Katy war jedoch noch hier, denn ihr Urlaub würde erst am folgenden Tag beginnen. So entschied ich mich natürlich wieder für sie. Allerdings schien sie mich bei der Vorstellungsrunde nicht wieder zu erkennen. Auch fehlten das Lächeln und das Leuchten in ihren Augen.
Als wir im Zimmer waren, erzählte ich ihr gleich, dass ich sie vermisst hatte und ständig an sie denken musste. Dies kam wohl etwas überraschend für sie, und sie wirkte leicht ungläubig. Wir wendeten uns dann dem Geschäftlichen zu und Katy versuchte, mit ihrer zärtlichen Zunge meinen kleinen Mann aufzuwecken. Dies gelang ihr zwar zunächst auch, doch da sich meine Gedanken nur darum drehten, wie ich ihr meine Gefühle mitteilen könnte, und mir in dem Moment gar nicht danach war, jetzt gefühllosen Sex mit ihr zu haben, war dieses Unterfangen dann auch zum Scheitern verurteilt. Sie fragte mich, was wir die wenigen verbleibenden Minuten noch tun wollten. Ich entschied mich, aufs Ganze zu gehen: Ich musste es ihr sagen.
Ich wiederholte, dass ich seit meinem letzten Besuch bei ihr ununterbrochen an sie denken musste und dass mir so etwas noch nie zuvor passiert sei. Danach rang ich um Worte. Wir hatten nur noch wenige Minuten übrig. Ich gab Katy zu verstehen, dass ich ihr unbedingt etwas sagen müsse; dass ich ihr dies aber wahrscheinlich gar nicht sagen dürfe, und dass sie es wohl auch nicht hören wolle. Als ob sie in dem Moment die gleichen Gedanken gehabt hätte und nur darauf wartete, dass ich es ihr beichtete, flüsterte sie mir sanft ins Ohr: »Sag es!«
Wir saßen eng umschlungen auf dem Bett, unsere Wangen berührten einander. Also sagte ich die Worte, die mein Schicksal besiegeln und mein Leben in den Abgrund stürzen würden: »Ich habe mich in dich verliebt, Katy!«
Sie wusste im ersten Moment nicht mehr, was sie mir entgegnen sollte. Ich kann mir vorstellen, dass ihr so etwas nicht oft passiert. Sie gab mir zu verstehen, dass wir uns erst zwei Mal gesehen hätten und sie jetzt keine Entscheidung treffen könne. Dies hatte ich auch nicht anders erwartet. Ich wollte lediglich von ihr wissen, ob sie sich grundsätzlich vorstellen könne, einen Freund zu haben, oder ob dies für sie völlig ausgeschlossen sei. Sie antwortete, dass sie gerne einen Freund hätte. Dies stimmte mich bereits glücklich und hoffnungsvoll. Sie wiederholte auch, dass sie mich sympathisch finde und für einen schönen Mann halte. Es tut gut, dies zu hören.
Um ihre Entscheidung hoffentlich positiv in meiner Richtung zu beeinflussen, ließ ich sie noch wissen, dass ich nichts dagegen hätte, wenn sie als Prostituierte weiter arbeiten würde, falls sie mit mir zusammen wäre. Sie müsste sich nicht zwischen mir und ihrem Job entscheiden. Ich würde nicht von einer Frau verlangen, dass sie für mich ihre Arbeit aufgeben müsste, und ihr Job war nun einmal Prostituierte, und ich wusste es von Anfang an. Natürlich hatte ich einen Hintergedanken: Auf diese Weise würde sie auch nichts dagegen haben, wenn ich während unserer Beziehung weiterhin in Clubs mit anderen Prostituierten Sex haben würde. Was mehr kann ein Mann sich wünschen?
Die bezahlten fünfzehn Minuten waren um, und ich entschied spontan, CHF 50.- für weitere fünf Minuten zu bezahlen (was für ein Stundenlohn!). Wir lagen uns in den Armen und küssten einander zärtlich. Dies wäre im Preis eigentlich nicht inbegriffen gewesen, aber sie sagte mir, sie tue es, weil sie mich möge. Weiter gehen wollte sie jedoch nicht, da dies gegen die Clubregeln verstoßen hätte und sie ihren Job nicht aufs Spiel setzen wolle. Sie arbeitete seit drei Jahren dort und täte es gern. Dies respektierte ich natürlich. Während wir einander auf den Hals, die Wangen, die Backen und die Lippen küssten, nannte ich sie »Baby« und sie mich ebenfalls!
Als die Zeit endgültig um war, sagte sie mir, ich solle an sie denken, während sie für vier Wochen im Urlaub ist. Und sie sagte, sie würde nun ebenfalls an mich denken. Bei der Verabschiedung küssten wir uns nochmals, und schlussendlich hielt sie mich in den Armen und drückte mich. Sie erzählte mir, dass sie sehr glücklich darüber sei, dass ich ihr erzählt hatte, dass ich mich in sie verliebt habe.
Zu schade, dass wir uns nun vier Wochen lang nicht mehr sehen können. Ich denke weiterhin ständig an sie, und ich glaube, sie muss ebenfalls gelegentlich an mich denken. Es ist aber schwierig abzuschätzen, wie stark ihre Gefühle bereits für mich sind. Vier Wochen könnten bedeuten, dass sie zu viel nachdenkt und danach mit dem Kopf eine Entscheidung fällt. Wir werden sehen.