Spannendes Thema
Es kam, glaube ich, immer wieder mal innerhalb von Themen vor, vielleicht in irgend einer Gruppe explizit auch einmal, hier aber meines Wissens noch nicht. Schaden kann es nicht.
Zu deinem Beispiel, es ist ein sehr schönes, weil es genau diese Abgrenzung schön offenlegt.
Zuerst einmal in kurz (ich habe jetzt mal Dom = männlich, Sub = weiblich gesetzt, gilt geschlechtsmäßig selbstverständlich auch in umgekehrter Rolle):
Grenzen verschiebt der Top,
Tabus die Sub.
Das bedeutet, dass du jedem Dom sagen kannst "dies und dies ist
grundsätzlich mein Tabu. Das rührst du nicht an."
In Stein gemeißelt muss es deswegen noch lange nicht sein
Allerdings bist du die Einzige, die dieses Tabu oder Teile davon aufheben kann. Wenn du ihm sagst "ich fühle mich jetzt bereit, mal testweise Ohrfeigen zu empfangen", vielleicht auch noch mit Einschränkungen "... wenn es nur sanfte sind", dann kannst du dieses Tabu auch temporär aufheben. Niemand zwingt dich dazu, Tabus auf immer und ewig beizubehalten.
Allerdings sollte dennoch von vorneherein klar sein, dass es sehr wohl ein Tabu ist und NUR DU entscheiden kannst, wann, wo und wie oft es aufgehoben wird! Erst wenn sich klärt, dass du dabei tatsächlich nicht abstürzt, dich vielleicht sogar geil macht, erst dann, wenn du selbst merkst, dass es für dich keines mehr ist, erst wenn du ihm das gesagt hast, dass es nun keines mehr ist,
erst dann ist es auch tatsächlich keines mehr. Ansonsten heißt es für ihn, bis auf die zeitlichen Korridore, die du ihm dafür freigibst: Finger weg.
Grenzen sind da etwas völlig anderes.
Das sind Dinge, wo du vielleicht in der Vergangenheit festgestellt hast, dass genau hier deine Grenze liegt.
Das kann eine körperliche Grenze sein (z.B. bei 10 Rohrstockschlägen ist Schluss, mehr überfordern deinen Körper) oder eine psychische (z.B. mehr als 1 Stunde lang die Augenbinde tragen kriegst du es psychisch nicht hin). Es können Grenzen sein, wo es dir unangenehm ist, z.B. dass dein Dom dir in den Schritt fasst, dir dieser Griff so unangenehm ist, dass du da schnell raus bist für dich.
Das alles aber kann er, behutsam freilich, dann auch selbst verschieben. Das ist kein "Finger weg!", sondern lediglich ein STOPP!-Schild. Die Straße ist hier aber nicht zu Ende, sie geht sehr wohl weiter. An diesem Schild vorbei darf er aber nur dann, wenn er sich dessen bewusst ist, dass es dort steht, einen Moment innehält und
ganz bewusst diese Grenze überschreitet. Alles andere wäre respektlos dir und deinen Grenzen gegenüber. Beispielsweise dass er dir mittendrin ankündigt "ich werde dir jetzt in den Schritt fassen, bist du bereit dafür?" und erst auf dein Nicken weiter geht, oder er mit seinen Fingern dich ihm zärtlich nähert, darum herum spielt, und er dich darauf vorbereitet, dass dies gleich geschehen kann und, solltest du entspannt bleiben und er das spüren, dann auch geschehen wird.
Beim Tabu gibt es aber keine Straße dahinter. Da ist nur noch ein Zaun, den er einreißen müsste, wenn er weiter möchte. DEIN Zaun. Nur du hast den Schlüssel dazu, nur du kannst ihn öffnen.
Fällt dieses Tabu, dann öffnest du ihn vorübergehend oder, bei Gefallen, auch dauerhaft. Dann ist diese Straße auch für ihn zugänglich. Vorbehaltlich eines STOPP-Schildes, sodass er das, was ehemals Tabu war, dennoch als Grenze wahr nimmt und nicht leichtfertig weiter geht.
Hilfreich für die Tops ist es, die Tabus nicht nur klar zu benennen, sondern auch zu sagen, warum sie welche sind. So erkennst du als Sub auch recht schnell, ob es auch wirklich eines ist.
Dein Beispiel ist da ausgezeichnet! Dein Vater ohrfeigte dich, das ist so negativ besetzt, dass du Abstürze fürchtest, sie aufgrund dieser Vorgeschichte ja auch durchaus möglich, wenn nicht gar wahrscheinlich sind. Dass dies dann ein Tabu ist, leuchtet hoffentlich jedem Dom ein.
Typische Tabus sind für mich solche Dinge:
• Dinge, die dich so anekeln, dass es sofort deine Lust killt. Auf der Stelle. (Darum steht für viele Kaviar, also das, was hinten raus kommt, auf der Tabuliste.) Bei mir ist z.B. "alles, was stinkt" ein Tabu deswegen.
• Dinge, die Abstürze wahrscheinlich machen. Dein Beispiel passt da schon.
• Dinge, vor denen die Angst so groß ist, dass Panik zu befürchten ist, geschähe es. Deswegen habe ich z.B. Atemreduktion am Hals als Tabu: Mund und Nase zudrücken geht, aber alles am Hals, da steige ich sofort aus. Vermutlich, weil ich als Kind starkes Asthma hatte und eine zugeschnürte Kehle mich an die damalige Todesangst erinnert.
Tabus können auch aufgehoben werden gegenüber bestimmten Personen. Oft sind dies ethische Tabus: Beispielsweise, dass Dom dich nicht küssen darf, weil dies deinem Partner vorbehalten ist. Sollte Dom aber zu deinem Partner werden, fällt dieses Tabu. Oder dass Fesseln erst dann kein Tabu mehr sind, wenn das Vertrauensverhältnis so gewachsen ist, dass es dann fällt, weil die Panik, einem Unbekannten sich auszuliefern, nicht mehr da ist. Er ist schließlich kein Unbekannter mehr.
Zu aller letzt verschieben sich Grenzen ständig. Wie oft lese ich hier "vor einem halben Jahr war xyz für mich noch unvorstellbar, jetzt mag ich es richtig gerne". Da sagt Sub z.B. anfangs, dass sich Sub Geschlagen werden nicht vorstellen kann, es zwar noch nicht erlebt hat, es aber als brutal einschätzt. Dann probieren es beide in Absprache doch mal aus, Sub stellt fest, dass das Unbehagen völlig unbegründet war, und so fällt selbst diese Grenze. Da wird dann das STOPP-Schild gleich noch mit abgebaut und ggf. durch ein "Mindestgeschwindigkeit 100 km/h" ersetzt, weil es auf einmal zu den größten Vorlieben mutiert ist.
Noch einmal:
Tabus kann nur Sub aufheben,
Grenzen können beide verschieben.
Tabus seitens Dom werden verletzt: Danach ist Dom hoffentlich nicht mehr der Dom.
Grenzen seitens Dom werden überschritten: Geschieht dies behutsam, ist Dom vielleicht anschließend noch mehr Dom als eh schon, weil die Grenzüberschreitung sogar gekickt hat.
Letzteres ist dann ja auch noch häufig erwünscht. "Das habe ich noch nie erlebt, ich habe gehörigen Respekt davor und weiß nicht, ob es mir überhaupt gefallen würde", ist also eigentlich eine Grenze, aber es ist erwünscht, dass Dom diese früher oder später doch überschreitet, weil Sub es ja doch mal erleben möchte. Um selbst entscheiden zu können, ob es dann künftig auf die Tabuliste kommt oder die Grenze, dieses STOPP-Schild, auf der gemeinsamen Straße der Lust nach hinten geschoben wird.