Meine Begegnung mit Natascha, der Tigerdame.
Am 8. Januar vor nun fast 38 Jahren.
Mein zweiter Sohn, Sebastian, hatte vor ein paar Stunden im Krankenhaus Stadthagen das Licht der Welt erblickt.
Nun war ich auf dem Weg zu einem Kollegen nach Bückeburg. Die Route führte vorbei an dem Festplatz, wo gerade der Zirkus Althoff gastierte. Es schneite etwas, die Straße hatte bestimmt 10 cm Neuschnee, es war bereits dunkel und ich fuhr also mit gemäßigtem Tempo in die Richtung des Festplatzes.
Seltsamerweise wunderte ich mich überhaupt nicht darüber, dass von rechts ein Tiger auf mich zukam.
Sofort bremste ich, konnte aber ein Zusammentreffen mit dem schönen Tier nicht ganz verhindern.
Die Großkatze bäumte sich auf und berührte kurz meinen Außenspiegel, tauchte dann aber hinter mir in der Dunkelheit unter.
Passanten machten mich darauf aufmerksam, dass ein Stück weiter ein Zirkus sei, und ich solle doch dort mal Bescheid sagen, dass hier ein Tiger in der Stadt herumläuft.
Nun ich fuhr zu dem Parkplatz, der bereits vollgeparkt war, denn die Vorstellung war schon in vollem Gange.
Schnell sah ich dann auf dem durch Bänder abgesperrten Gelände hinter dem Zirkus ein paar Zirkusleute in ihrer Livrée herumlaufen. Stieg aus, um den Livrierten zu sagen, dass dort ein Tiger ausgebrochen ist, doch da sah ich, wie die Zirkusleute versuchten, zwei weitere Tiger einzufangen, die dort auf dem Gelände umher liefen.
Einer der Tiger kam jetzt schnurstracks auf Lücke zwischen den parkenden Autos zu, wo ich gerade stand.
Man rief mir zu: "nicht bewegen und nicht weglaufen". Da war mir schon sofort klar, wenn du wegläufst, sieht dich dieses Raubtier als Wild an, um dann vielleicht die Jagd aufzunehmen.
Inzwischen kam die Domteurin dazu und rief immer wieder: "Natascha hier her". Aber Natascha wollte lieber in meine Richtung weiter. Darauf hob ich den Arm und herrschte das Tier an: "Natascha, zurück". Da fiel mir die Sache mit dem persönlichen Bannkreis ein, den ein anderes Wesen nicht unterschreiten darf, sonst könnte das als Angriff gewertet werden. Nun, Arm wieder runter, Natascha angesehen und nochmal rief ich der Tigerin zu: "Natascha zurück". Aber Natascha ging kurzentschlossen zur nächsten Lücke um dort zu entwischen. War ich nun mutig, ich weiß es nicht, jedenfalls ging ich auch rüber und verstellte der Ausreißerin abermals den Weg mit jetzt ganz energischem: "Natascha, geh zurück".
Das erste Mal in meinem Leben stand ich nun zwei Schritte entfernt Auge in Auge einem leibhaftigen Tiger gegenüber.
Es gelang der Dompteurin, Frau Althoff, nun endlich, Natascha zurück zu leiten. Sie wusste bereits, dass in der Stadt irgendwo einer ihrer Schützlinge frei herum lief, denn sie rief immer wieder voller Angst: "oh nein, die Polizei erschießt meinen Tiger". Ein Danke, dass ich mit meinem Einsatz verhindert habe, dass Natascha weglaufen konnte, durfte ich in der Aufregung nun auch nicht erwarten, also stieg ich ins Auto und fuhr normal weiter.
Bas Beste war, dass ich die ganze Zeit kein bisschen Angst verspürt habe. Erst jetzt merke ich, dass der linke Außenspiegel ab war. Am Ziele merkte ich auch noch, dass vorn im Kotflügel eine Beule war.
In der Zeitung las ich dann später, dass der in die Stadt entwichene Tiger eingefangen werden konnte.
Die Polizei war schon dazu entschlossen, dieses edle Tier zu erschießen. Gut, dass es nicht soweit kam.
Es war übrigens so, dass eine Tür zum Tigerkäfig nicht richtig verschlossen war.
Jahre später sah ich einen älteren deutschen Film, in dem der Zirkus Althoff vorkam. In der gezeigten Tigernummer konnte ich tatsächlich "meine" Natascha wiedersehen und in Aktion bewundern.
Solange ich dieses Auto besaß, zeigte ich jedem voller Stolz diese Beule, obwohl es nicht jeder glauben wollte.
Seht her, das stammt von meinem Zusammenstoß mit einem Tiger.
Denke ich an den 8. Januar 1979, und an diesen Moment mit Natascha, der Tigerin, dann komme ich zum Lächeln.
© Lotharerich