Schwierigkeiten
Tach !
Meine Erinnerung an die eigene kranke Phase und meine späteren Beobachtungen bis in die Gegenwart hinein lassen mich noch folgendes zu Protokoll geben:
Der Depressive wehrt sich zuweilen gegen eine wirksame Therapie, ein Angehen der Ursachen der Krankheit, mit Händen und Füßen. Eine klassische Strategie hierfür ist eine Art Aufschiebens-Zirkel: Erst muß ich mal meine Schulden abzahlen, bevor ich mir eine andere Wohnung nehmen kann, damit ich aus dem Scheiss Umfeld hier rauskomme und meine Ausbildung zuende machen kann - erst dann kann ich mal an eine Psychotherapie denken ! So oder so ähnlich sehen diese Beründungszirkel aus: ich kann jetzt nicht, ich muß erst ... In ein Argument zusammengefasst: viele Depressive sind einfach viel zu depressiv für eine Therapie.
Dahinter steckt zuweilen, daß man sich aufgrund langjähriger Krankheit "gemütlich eingerichtet" hat in einem Zustand wunschlosen Unglücklichseins, vor dessen Veränderung man regelrechte Angst entwickelt.
Eine Angst und eine Abwehrreaktion gibt es z.B. auch vor der Schlachtung heiliger Kühe, den "Lebenslügen". Nein - ich bin nicht homo- oder bisexuell, ich doch nicht ! (So war es z.B. bei mir mit meiner Bisexualität.) Nein, ich liebe meinen Beruf, für den ich jahrelang studiert habe, meinen Mann (oder meine Frau) ! Meine Familie geht mir über alles, mein Haus, mein Auto, mein Pferd, mein Boot ... - und das sind nur so ein paar aus dem Ärmel geschüttelte, drastische Beispiele. Der Therapeut kommt nur all zu oft in die Rolle des Überbringers einer sehr unerwünschten Botschaft - den man dann zum Teufel schickt, die Therapie abbricht, und dafür auf einen ganzen Kanon von Gründen zurückgreifen kann. Dies ist auch, nebenbei bemerkt, eine große Gefahr von nicht fachkundig moderierten Selbsthilfeforen oder -gruppen. Man hört sich an, welche Scheisse die diversen Therapeuten der anderen so angerichtet haben sollen, und "adoptiert" diese Gründe für die eigene Situation: genauso isses bei mir auch, und deswegen finde ich jetzt endlich die Kraft, die Therapie abzubrechen ! Diese Therapie, wohlgemerkt, weil selbstverständlich bemühe ich mich um eine andere Therapie, aber dafür muß ich erst mal wieder einen Antrag bei der Krankenkasse stellen, und ich bin so fertig im Moment ... siehe oben. Das ist natürlich durchaus nicht immer so, und will ich auch nicht behaupten. Für einen Therapieabbruch gibt es auch gute Gründe ... auch.
Eine Psychotherapie, egal welcher Schule, hat fast immer damit zu tun, daß man irgendwann einmal den Mut aufbringen muß, einer unangenehmen Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Der Weg dorthin kann sehr hart und steinig sein - ich erinnere mich selbst gut daran, daß ich aus jeder "Sitzung" förmlich herausgetaumelt bin, und mich zuhause erst mal unter die Kuscheldecke verzogen habe. Depressivität loszuwerden dauert so lange und ist so anstrengend, wie eigenhändig ein Haus zu bauen.
Der Weg aus der Depression ist nicht nur hart und steinig, sondern auch ein langer. Man hat häufig das Problem, daß man sich redlich bemüht, aber rechte Fortschritte nicht erkennen kann - im Gegenteil. Manchmal zieht einen die Therapie "erst recht runter". Meiner Meinung nach ist das häufig auch so ein "Wehren" des Kranken gegen seine Heilung.
Vielfach gibt es auch den "Co" - eine Bezugsperson (oder mehrere davon), die den Kranken in seiner Krankheit festhalten, ihm das kranksein erleichtern und einer Heilung im Wege stehen. Das machen sie regelmässig ohne bösen Willen, im Gegenteil: sie sehen garnicht, wieviel und was sie falsch machen. Meines Wissens nach ist diese Figur zum ersten Mal als der "Co-Alkoholiker" weiter bekannt geworden: es ist der gute Freund, der mal "ein Glas oder zwei" mittrinkt (wirklich nicht mehr !) und mit dem der Alkoholiker mal reden kann - bevor er dann alleine weitertrinkt. Er räumt den Saustall des Kranken auf, füllt ihm den Kühlschrank, zerrt ihn dann und wann einmal mit Gewalt raus zu einem Spaziergang, einem Abendessen, einem Kinobesuch, leiht im mal kleinere oder größere Geldbeträge, das Auto, das Fahrrad, besorgt ihm eine neue Wohnung, einen Job ... und alldies kann sehr gut dazu beitragen, daß sich der Kranke es in seiner Krankheit "gemütlich macht" - siehe oben. Damit ist der "Co" wohl nicht vollständig beschrieben - das kann ich wohl nicht, nur einige Umrisse zu skizzieren versuchen ... und auch hier gilt: nicht jeder gute Freund ist ein "Co". Das wesentliche am "Co" ist es wohl, daß er unbewußt die "Lebenslügen" bestärkt, hinter denen sich der Depressive einmauert. Und diese "Lebenslügen" erkennt er, der "Co" häufig garnicht als solche. Das schlimme ist: nicht selten ist der "Co" der Beziehungspartner.
Gruß vom
Nacktzeiger