Ich war früher in der Punkszene unterwegs (und in den 90ern war das noch ein echter Schocker) und musste selbst dort noch immer kräftig aus der Reihe tanzen.
Geradezu zwanghaft musste ich auffallen. Wenn ich eine Straße entlangging, sich alle Autofahrer nach mir umdrehten, und die Fußgänger wahlweise dumm aus der Wäsche guckten, mich beschimpften (wobei ich mich auf jeden Streit gerne einließ
) oder die Straßenseite wechselten, war das gerade richtig.
Nie hätte ich mit einer normalen Jeans, mit einem T-Shirt ohne provokanten Aufdruck, oder mit ungefärbten Haaren das Haus verlassen
Und auch innerhalb meines Freundeskreises musste ich immer auffallen, indem ich besonders außergewöhnliche Klamotten und Frisuren trug. Verbal habe ich durch radikale Ansichten zu unterschiedlichsten Themen so manche Gesprächsrunde aufgemischt.
Heute habe ich zwar immer noch meinen eigenen Stil, der manchmal auffällt, und meine Meinung halte ich auch nicht hinter dem Berg, aber zwanghaft Aufmerksamkeit erregen muss ich zum Glück schon lange nicht mehr. Außerdem habe ich gelernt, meinen Mitmenschen mehr Respekt und Wohlwollen entgegenzubringen: Ich muss nicht jedem alles an den Kopf knallen, und will in niemandem, der mir gar nichts böses will, schlechte Laune oder noch schlimmere Gefühle auslösen.
Meiner Individualität Ausdruck zu verleihen hat überhaupt keine Priorität mehr für mich. Ich weiß ja längst Bescheid wer ich bin, sehe gelassen zu, wie ich mich weiterentwickle. Es gibt soo viel wichtigeres im Leben. Gesundheit, Liebe und Achtsamkeit zum Beispiel, oder das Wohl der Menschen, die ich liebe.