"Treue" wird sehr oft als Ausdruck der "Liebe" für den Partner definiert, Untreue entsprechend als das diametrale Gegenteil, als Ausdruch dafür, das keine Liebe mehr besteht und als Demütigung für den, der betrogen wurde.
Gleichzeitig finden sich in den gleichen Treads bei der Diskussion, warum fremdgegangen wird, Aussagen wie: "Wenn mich eine Partnerschaft sexuell nicht mehr befriedigt, trenne ich mich lieber als fremdzugehen." In aller Regel liest man ein solches Statement von überwiegend denen, die "Treue" als Ausdruck von "Liebe" verstehen.
Da sehe ich auch große Widersprüche. Ich denke nicht, dass Liebe automatisch Treue bedeutet, bzw. dass Treue ein Gradmesser für die Liebe in der Beziehung ist, jedenfalls nicht zwangsläufig.
Aber ich glaube, hier muss man einfach Leute unterscheiden.
Es gibt die, für die das so ist. Und ich denke, dass muss man auch so akzeptieren. Für die gilt, ohne jede Absprache, dass man in einer Beziehung treu ist. Und wenn man ans Fremdgehen denkt, dann stimmt was mit der Beziehung nicht.
Insgesamt denke ich aber, dass mehrere Dinge für unterschiedliche Personen wahr sind. Manchmal kann es sein, dass Fremdgehen und Fremdgehen wollen ein Symptom für eine emotionale Loslösung von der Beziehung ist oder dass sie nicht mehr funktioniert. Für andere ist es einfach ein anderer Ansatz, die können gleichzeitig mehrere Personen lieben und/oder begehren und trotzdem in die eine Person verliebt sein.
Ich denke, wichtig ist, dass man sich abspricht. Vorher, bei der Beziehungsanbahnung. Und dann, wenn sich an den Gefühlen was ändert. Dass man Bescheid sagt, wenn man Fremdgeh-Gedanken bekommt und diese umsetzen will. Wenn dies ein Symptom für emotionale Distanz oder unerfüllte Wünsche in der Beziehung ist, dann sollte man dem Partner die Chance geben, da miteinander dran zu arbeiten. Ich finde es eigentlich in jedem Fall falsch, den Partner oder die Partnerin zu betrügen, also ohne Absprache und heimlich fremdzuvögeln. Auch wenn ich es bei manchen verstehen kann - aber selbst da frag ich mich, ob man es nicht zumindest offenlegen kann.
Dieses Trennen, weil es sexuell nicht mehr passt.....ist auch sehr ambivalent. Wenn der Fremdgeh-Gedanke ein Symptom dafür ist, dass die Beziehung nicht mehr passt, ist es sicherlich sinnvoll, sich "nur wegen dem Sex" zu trennen. Denn dann passt ja oft das emotionale auch nicht mehr. Aber den Partner nur zu verlassen, weil der Sex nicht passt, weil sie unterschiedliche Bedürfnisse entwickelt haben.. klar, das ist schade. Da sollte man meiner Meinung nach darüber sprechen und gucken, ob man die Beziehung öffnen kann.
Ich denke, da stehen wir uns, gesellschaftlich einfach tierisch im Weg mit unseren Vorstellungen von Anstand und Moral. Letzten Endes macht es Leuten das Leben schwer, weil eine offene Beziehung ja moralisch verwerflich ist - also lebt man lieber ein Doppelleben und betrügt den Partner. Oder wir klammern und halten fest an jemanden, dem wir gerade etwas Elementares nicht geben können und verlangen, dass die Person sexlos bleibt aus Angst, was die Nachbarn sagen oder verlassen zu werden und am Ende ist die Beziehung emotional mehr am Ende, als wie es ihr gehen würde, wenn sie offen wäre.
Das schaffen Menschen doch in so vielen gesellschaftlichen Bereichen. Alle wollen versaute, aufgeschlossene, experimentierfreudige Frauen im Bett. Aber wehe, eine macht es, dann ist sie eine Schlampe.
Insofern find ich es gut, dass unsere Gesellschaft offener wird und denke, wir bewegen uns sehr langsam und träge immerhin in eine richtige Richtung, hin zu mehr Toleranz.
Freiheit bedeutet oft auch immer mehr Unsicherheit. Aber ich finde, die Grundpfeiler einer Beziehung und von Liebe sollten Offenheit sein, Absprache, ehrliches Bemühen und weniger das, was irgendwelche veralteten Traditionen und gesellschaftlichen Konzepte vorschreiben.
Der Joy zeigt eigentlich ziemlich schön, wie all diese Einstellungen immer wieder aufeinander prallen - ich finde die Vielfalt hier schon ziemlich super. Aber es schadet sicherlich nichts, wenn man hier mit ein bißchen Skepsis und innerer Distanz durchliest