Eine verführerische Geschichte
Heute bin ich erstaunt. Irgendwie traumwandlerisch marschiere ich in den Combi, selbst der Umstand, dass das Laufband wieder einmal nicht funktioniert, ärgert mich nicht. Auch das wilde Geschnatter der in die Garage wimmelnden, einer Ameisenkolonie anmutenden Studiosi stört mich nicht. Wie üblich versammeln sie sich schwatzend, schmausend und rauchend vor den Einkaufswagen.
Wenn ich gestern noch mit absichtlich herunteroktavierter Lee Marvin-Whiskey-Gedächtnis-Stimme um "freie Bahn für freie Bürger" ranzte, trötete ich heute ein überaus freundliches: "Verzeihung?" in die illustre Runde kopfgesteuerter Supertypen und Typinnen. Den noch leeren Wagen zum Lift bugsierend vermisste ich meine Kinder. Früher, was für ein Spaß, saßen sie immer im Wagen und verlangten nach Pirouetten. Und mir schwindelte immer vor ihnen. Heute gehe ich allein einkaufen. An der offenen Küche vorbei direkt in die Gemüseabteilung.
Versonnen lächelnd betrachte ich, eine Fenchelknolle in der Linken, rote Zwiebeln in der Rechten, eine Mutter mit Zwillingen. Wie gut, dass der neue Combi großzügig ausgelegt ist. Die beiden Mädchen, vermutlich sind es Mädchen, sie haben beide rosafarbene Schals und Schuhe an, schlummern tief und fest. Nur ab und an, wenn ein ungewöhnliches Geräusch sich vom Hintergrund abhebt, gehen die Lider kurz hoch, um gleich darauf wieder niederzusinken. Was für eine friedliche, heile Welt der Supermarkt ist. Alles in Harmonie, umgeben von Schönheit und Geschmack, selbst die Ästhetik der angebotenen Waren ist ein Universum für sich. Ein Dutzend Sorten Kartoffeln, ebensoviele Sorten Zwiebeln, Brunnenkresse, Radieschenkresse, frischer Basilikum. Ich kann dem niemals widerstehen, auch wenn meine Frau mir Schelte angedeihen lässt. Ich muss eine Hand durch die Basilikumstaude streichen lassen und daran riechen. Wundervoll. Rosmarin funktioniert ähnlich aufregend. Wie gut, dass ich nicht mehr rauche. Diese Geruchsergüsse wären früher an mir vorbeigegangen.
Ich kaufe noch Salbei. Wer weiß, wozu man es braucht. Saltimbocca, stimmt. Und Minze, unabdinglich für sizilianische Küche. Mein Auge bleibt an den frischen Steinpilzen hängen. Wundervoll, es sind die kleinen Steinpilze. Mit Pilzen ist es wie mit Zucchini. Größe zählt nicht. In Italien werden zu große Gemüse entweder exportiert oder an die Schweine verfüttert. Wie schade, dass ich seit Jahren vergeblich versuche, Parasolpilze zu bekommen. Die könnte ich gerade gut brauchen. Paniert und ausgebacken sind die von einem Schnitzel nicht zu unterscheiden. Wirklich schade. Aber für ein Risotto reichen die Steinpilze allemal.
Natürlich muss ich mich fragen, ob Reis als Kohlehydratbombe meinen Abnehmprozess nicht unterbricht. Ich mache einmal eine Ausnahme. Maß halten ist Plan B. Schnell noch ein paar Orangen eingepackt, den Fisch und den Fleischstand schnöde ignorierend zum Käsestand und ein schönes Stück Grana Padano eingekauft.
An der Kasse die Überraschung. Alles leer, ich scheine der einzige Kunde zu sein. Ah, die Pause ist vorbei und die Pännz büffeln wieder. Schnell heimfahren. Vorfreude steigt auf. Mein letztes Pilzrisotto ist... ja, fast ein Jahr her. Ob ich es noch kann? Aber klar. Schockschwerenot, mir wird klar, dass ich nicht weiß, ob ich genug Hühnerbrühe habe! Umkehren? Eher nicht. Cherie ist ein Hamster, bestimmt haben wir noch Hühnerbrühe. Gemüsebrühe ginge ja auch, wäre aber die schlechtere Wahl. Zur Vorfreude gesellt sich Unsicherheit.
Albert ist wieder da. Was mache ich denn mit dem? Er ist wahrlich kein Freund von Reis, egal in welcher Form. Wat de Buur nit kennt, frät er nit. Ist wohl so.
Ich stürme ins Haus, in den Keller. In der Gefriertruhe finde ich Königsberger Klopse. Low carb, aber egal. Das kennt er, ich freue mich.
Es geht los. Mein Kai Shun - Messer habe ich nun schon vier Monate, aber es ist so scharf wie am ersten Tag und es ist ein Spaß, die roten Zwiebel in allerkleinste Würfel zu schneiden. Die letzten drei Zehen Knoblauch folgen. Hände waschen, und auf die Einkaufsliste für morgen Knoblauch schreiben. Hoffentlich haben die den geräucherten Knoblauch. Allein wie der riecht, ist sensationell. Betörend, ja beinahe aphrodisierend. Der kleine Stinker macht ganz furchtbar an. Den Stieltopf auf den Herd, eine gute Flocke Butter rein. Es dauert nicht lange und die Butter giert nach den Zwiebeln und dem Knoblauch. Induktion ist so schlecht nicht. Jetzt den Reis mit rein. Riso Superfino Carneroli vom Andronaco. Teuer, aber für ein Risotto perfekt. Den Reis anrösten und mit Weißwein ablöschen. Ich klaue eine Tasse voll Trebbiano D´Abruzzo von Cherie. Na, wenn das mal keinen Ärger gibt.
Während der Alkohol verkocht, nehme ich mir die Pilze vor. Trocken reinigen, da darf kein Sand dran sein, das wäre eine Todsünde! In kleine Würfel schneiden und bereitstellen. Jetzt der Supertrick. Eigentlich sind es zwei. Getrocknete Steinpilze zu den frischen würfeln und dann 4 Zweige Pilzkraut kleinschneiden und unter die Pilze mischen. Das ist ein Aroma-Brandsatz und lässt den Gaumen explodieren, ich schwöre es. Umrühren, am Topf riechen. Nein, da ist noch Alkohol. Also weiter. Hühnerbrühe suchen. In einen separaten Topf und sieden lassen. Eine Kelle bereitstellen.
Jetzt ist der Alkohol weg. Rein mit der Pilzmischung. Rühren, rühren, rühren. Eine Kelle Fonds dazu und weder rühren. Ich muss mit rühren die Stärke von den Reiskörnern lösen, das ergibt die cremige Schlotzigkeit am Ende. Das und eine Flocke Butter und eine Handvoll geriebener Parmesan. Mittendrin beginne ich mit dem Salat. Fenchelgrün abzwacken, Fenchel putzen und jetzt wieder mein schafes Messer. Ich schneide den Fenchel in feinste Halbmonde. Natürlich kann man einen Gemüsehobel nehmen, aber ich bin ein Freund des scharfen Stahles. Jetzt zwei rote Zwiebeln in ebensolche dünnen Halbmonde schneiden. Was für ein Spaß! Zwei Orangen filettieren, den Rest auspressen und den Saft auffangen. Püüüüh, ich habe vergessen, die Schale abzumachen! Trottel. Wie gut, dass mein Messer alles kann. Ganz vorsichtig die Schale anschneiden, das ist tricky. Denn das Weiße unter der Schale ist bitter, das will ich nicht haben. Ups... habe ich noch eine Limette? Eine ist noch da, wie gut! Den Limettensaft mit dem Orangensaft mischen, gutes Olivenöl und Salz dazu und abschmecken. Mehr Öl. Die Konsistenz muss leicht sämig sein, der Orangensaft darf nicht dominieren. Schnell noch drei Zentimeter Peperoni abgeschnitten. Die Probe: Schmeckt es? Eine Gabel.... schnell im Risotto eine frische Kelle Fonds nachgeben und rühren... eine Gabel Salat durch die Vinaigrette gezogen. Nein, da fehlt was! Hmm.... ich habe noch Kalamata-Oliven von der Caponata gestern. Ein Dutzend ist schnell habiert und der Stein entfernt..... eine Kelle Fonds ins Risotto, das allmählich aufgeht..... dann die Oliven dazu, probieren. Ja, das ist es! Vielleicht noch eine Prise Salz.... perfekt.
Zeit, das Risotto zu probieren. Ja, leckts mi de Söck, wie Henssler immer sagt. Das dauert nicht mehr lange und schmeckt jetzt schon großartig. Ich bin glücklich. Das Risotto jetzt noch zu vermasseln, dazu müsste ich an galoppierendem Schwachsinn leiden. Noch eine Kelle Fonds. Rühren, rühren, rühren. Probieren. Ja, der Reis ist fast bissfest. Eine letzte Kelle Fonds dazu und während das Risotto sich der Perfektion nähert, reibe ich den Grana Padano und stelle die Butterflocke bereit. Jetzt! Rein damit, aufkochen, umrühren. Abschmecken. Verdammt, wenn ich keine Ohren hätte, würde ich im Kreis grinsen. Schnell auf den Balkon, eine Flasche Roten suchen. Essen in Italien ohne Rotwein? Machen Sie Witze? Ein 2015er Languedoc. Frisch, fruchtig, das passt wundervoll. Schnell noch ein Bild geschossen und zu Tisch. Frühstück um 10 Uhr mit dem kulinarischen Highlight der Woche.
Wie bitte? Was soll da fehlen? Mir persönlich fehlt nichts. Okay, wer es hat, könnte noch eine Scheibe Ente oder noch besser: Ein Stück Rehfilet mit Kürbiskruste an das Risotte legen. Aber ehrlich gesagt, es fehlt mir nicht. Der Salat schmeckt fein, leicht nach Orange mit einem deftigen Gegengewicht, das die Olive liefert. Ein leichter, luftiger Frühlingssalat, das Risotto schmeckt erdig, pilzig und lässt die Säfte fießen. Wenn Cherie heim kommt, habe ich, allein was Säfte angeht, einen Vorsprung. Ob sie es mögen wird?
Tom
PS: Gilt das als Rezept?