zeitgemäß?
Das klingt nach Mode oder Trend - hat aber damit gar nichts zu tun. Die Gründe für eine rasant steigende Trennungsstatisik sind sehr vielfältig (viele sind auch schon genannt worden).
Einer der wichtigsten Punkte ist sicherlich die gestiegene Lebenserwartung beider Partner und die deutlich geringere "Reproduktionsquote". Wenig Kinder = schneller wieder frei (und dann noch dreißig oder vierzig gemeinsame Jahre vor sich - das ist länger als "früher" die gesamte "Lebensbeziehung" im Schnitt gedauert hat!).
Auch die "Entfamiliesierung" trägt natürlich deutlich bei: Menschen, die sich früh abnabeln, das Elternhaus oder besser die Sippengemeinschaft verlassen, verringern den sozialen Druck "von Außen" - der Weg zur Trennung wird leichter.
Dann die kürzlich erfolgte "sexuelle Revolution": Da wurde das Gegenteil der lebenslangen Zweierbeziehung postuliert ("Wer zweimal mit dem gleichen pennt, gehört schon zum Establishment" u.ä.).
Es folgten Oswald Kolle, Shere Hite & Co., die ganze Emanzipationsbewegung, dann kam eine massive Veränderung des Scheidungsrechtes (bessere Absicherung der Frau/Kinder, Wegfall der "schuldhaften Scheidung") - kurz: Die gesamte bisherige Sozialisation, die unsere Großeltern und teilweise unsere Eltern noch haben "trotz allem aushalten lassen" fiel nach und nach weg und wurde unmodern.
Die Religion hatte übrigens auch früher kaum Einfluss auf die sogennante Treue: Da gingen die Männer reihenweise fremd und handelten anschließend einen Ablass aus - auf die Weise mussten sie sich nicht vor der Hölle fürchten
Die Stellung und das Selbstverständnis der Frau haben sich in den letzten siebzig Jahren massiv verändert - insofern nicht verwunderlich, daß die meisten Trennungen heutzutage von Frauen initiiert werden (lt. Statistik jedenfalls).
Sicher haben auch die modernen Medien einen kleinen Einfluss auf die Beharrlichkeit, mit der man an seiner (Lebens-)Beziehung arbeitet, Informationen sind genauso inflationär verfügbar wie potentielle neue Partner ("Ich parshippe jetzt") - aber Soziologen nehmen eher einen allgemeinen Trend zur Beständigkeit wahr als das Gegenteil, zumindest in den letzten zehn Jahren. Die vielzitierte "Wegwerfgesellschaft" hat also eher weniger Einfluss auf die momentane Entwicklung.
*********Baum:
Aber ist das noch realistisch ? Oder ist diese Vorstellung einfach veraltet ?
Warum scheinen Beziehungen heute ein immer kürzer ausfallendes Mindesthaltbarkeits-Datum aufzuweisen, was meint Ihr ?
Also, Beziehungen
scheinen nicht nur ein immer kürzer ausfallendes Mindesthaltbarkeits-Datum zu haben, sie haben es definitiv (aus der Summe der oben genannten Gründe). Weiterhin muss man bedenken, dass die Idee der "frei gewählten Liebesbeziehung" recht jung ist - noch in der Biedermeierzeit wurden Ehen überwiegend arrangiert.
In der "frei gewählten Liebesbeziehung" aber agieren vorwiegend Hormone, die Beteiligten stehen quasi für einige Monate unter schweren Drogen, sind blind und taub vor Verlangen nacheinander und ignorieren daher alle möglichen Dinge, die ihnen am Partner unangenehm auffallen könnten. Lässt der Drogenrausch dann unweigerlich nach, kommt ein Kater, der "den Anderen" in einem eher schlechten Licht dastehen lässt - ein tiefer Fall nach dem emotionalen Höhenrausch, der den Wunsch nach Flucht eher beschleunigt.
Dann sickert ja langsam aber sicher auch die Erkenntnis ins Bewusstsein der Menschen unseres Kulturkreises, dass die Frauen eben doch nicht die "natürlichen Hüterinnen der Monogamie" sind - also löst sich dieser sozialisierte Druck von Außen ebenfalls langsam auf - mehr und mehr Frauen wagen es, aus langweilig gewordenen Partnerschaften auszubrechen. Und die Männer kapieren nicht, dass sie mehr tun müssen als nichts, um ihre Angebetete bei der Stange zu halten - war ja früher auch nicht nötig, entsprechende, funktionierende Alltags-Strategien fehlen genauso wie die Erkenntnis an sich.
Zudem haben wir sowieso keine positiven Vorbilder in Sachen "Beziehungsarbeit": Unsere Vorgeneration hat einfach durchgehalten und geschwiegen und sich irgendwann mit der Situation abgefunden und bloß nichts an die Öffentlichkeit dringen lassen - die meisten jedenfalls. Die, die es nicht geschafft haben, waren "skandalös", da gab es nur Schwarz oder Weiß.
Erst jetzt beginnen wir uns mit der Grauzone dazwischen auseinanderzusetzen - also wie eine Beziehung, die nicht gut läuft, wieder in Ordnung bringen? (Sucht mal spaßeshalber einen entsprechenden Ratgeber aus den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts - die gibt es einfach nicht
)
Und wenn man alle modernen Empfehlungen dazu, genau anschaut, springt einem förmlich ins Auge, dass die Patentlösung noch nicht gefunden wurde. Ob von "Berufenen" oder "Laien" - da hat jeder sein eigenes "Küchenrezept", das in Einzelfällen sogar funktionieren mag, das sich aber leider nicht auf die Allgemeinheit übertragen lässt.
M.E. der Hauptgrund für die kürzer werdende Halbwertszeit von Beziehungen: Wir haben keine bewährten, allgemeingültigen Methoden - wir probieren alle nur herum. Und einige haben Glück, die Mehrheit scheitert aber.
Und all jenen Ausnahmen, denen es trotz allem gelungen ist, in heutiger Zeit dieses nahezu unerreichbare Ideal einer einzigen, lebenslangen, glücklichen Beziehung zu verwirklichen: Einen Glückwunsch aus tiefstem Herzen! Ihr seid eine wertvolle Rarität!
Oha, das ist aber lang geworden - aber selbst schuld, wenn hier mein Hauptforschungsgebiet angerissen wird