Ein Traktat zum Seitensprung...
Hallo liebe Gemeinde,
Ich hatte als Teenager klare Vorstellungen davon, wie so eine Beziehung auszusehen hat: Die Partner lieben sich, da ist kein Raum für andere. Der/die Geliebte hat Anspruch auf die ungeteilte Aufmerksamkeit und nicht nur auf körperliche sondern vor allem auch geistige Treue. Diese hatte ich auch versprochen, denn wer für Dritte empfindet, liebt nicht mehr genug.
Da bin ich schon nach kurzer Zeit an meinen eigenen Ansprüchen kläglich gescheitert: Hatte eine Affäre während einer Klassenfahrt, die mein Weltbild komplett zerstörte. Denn ich musste feststellen, dass ich sehr wohl etwas für die andere Frau empfand (ohne eine gewisse geistige Anziehung kann auch alles andere nichts richtiges sein, wie ich finde), ohne jedoch meine damalige Freundin auch nur einen Deut weniger zu lieben. In der damaligen äußerst emotionalen Zeit hielt ich es in Bezug auf die Liebe noch mit Kafka: Liebe ist nicht, wenn Du mir das Liebste bist, sondern wenn Du mir das Messer bist, mit dem ich in mir wühle...
Und da ich fast schon zwanghaft ehrlich bin, habe ich meinen „Fehltritt“ sofort kommuniziert und die Beendigung der Beziehung durch meine Freundin (wenn auch leidend wie ein Hund) akzeptiert. Aber ich hatte erkannt, dass meine Überzeugung von absoluter Treue – zumindest für mich – nicht haltbar war. Und ich habe vor allem erkannt, dass Glücksmomente mit anderen Menschen absolut gar nicht dazu führen müssen, dass von der Liebe, die man zu seinem Lebenspartner empfindet, etwas weggenommen wird. Die Vorstellung, man verfüge nur über ein begrenztes Maß an Gefühlen, welches nicht aufgeteilt werden dürfe, war schlichtweg falsch. Es kommen einfach noch neue Gefühle dazu, die alten werden nicht weniger.
Im Gegenteil, ich habe erlebt, dass durch die Schmetterlinge im Bauch, die Hochgefühle, die ein schöner Seitenspruch bietet, die Liebesfähigkeit auch gegenüber dem Lebenspartner zunimmt. Es ist manchmal auch unglaublich wohltuend, wieder zu spüren, dass man auf andere so wirkt, dass sie einen ganz dicht an sich ranlassen, dass sie sogar Zugang in den absoluten Intimbereich gewähren. Bei dem Menschen, den man liebt, glaubt man ja ab und an, dass er begehrt, weil er nun mal liebt und nicht weil man selbst ein toller Mensch ist.
Und wenn ein glücklicher, selbstbewusster Mensch seinen Partner an dieser positiven Stimmung teilhaben lässt, sorgt dies eigentlich nur für schönere Beziehungen.
Solange nichts heimlich geschieht, gibt es keinen Betrug, kein Hintergehen, keinen Verrat der Partnerschaft. Und eigentlich auch keinen Grund, sich nicht ab und an einen Höhenflug zu gönnen.
Das sagt einer, der schon als Zwanzigjähriger ist mit der Frau verlobt war, mit der er heute noch glücklich verheiratet ist. Und der um sich herum nur erlebt,
• dass die Partner sich Freiheiten nehmen, die sie dem „Liebsten“ aber auf keinen Fall erlauben würden
• dass dem/der „Liebsten“ dreist ins Gesicht gelogen wird
• oder dass Partnerschaften an den überhöhten Ansprüchen scheitern, so wie bei mir als Jungspund (nur dann mit Scheidung, wirtschaftlichem Totalschaden, verstörten Kindern etc.) und die folgenden Partnerschaften auf ein genauso unhaltbaren Fundament gestellt werden wie die erste...
Wenn mehr Menschen sich der Tatsache stellen würden, dass echte Treue (also eigentlich auch ohne jedes hingezogen fühlen!) auf Dauer ohne Einbuße an Lebensqualität nur denjenigen Menschen gelingen dürfte, die unter einem ausgeprägten Triebmangel oder Gefühlskälte leiden, könnte die Welt ehrlicher und viele Menschen glücklicher sein.
PS: Liebe von Besitzdenken zu trennen, ist der erste Schritt in die richtige Richtung...
So und jetzt seid Ihr am Zug!